Die Corona-Pandemie trifft den Kultursektor hart. Weltweit verkaufen Museen Objekte aus ihren Beständen, um zu überleben. Das widerspricht ihren eigenen Regeln und sorgt für heftige Debatten.
Sammeln, Entsammeln: Alles ganz normal?
Die zentralen Aufgaben von Museen sind das Sammeln und Bewahren von materiellen Hinterlassenschaften der menschlichen Kulturen; sie erforschen deren Geschichte, zeigen und vermitteln sie einer Öffentlichkeit. Zwar kaufen Museen auch auf dem Kunstmarkt Objekte an (so ihr Budget das überhaupt noch zulässt), das Verkaufen („Entsammeln“) ist bislang jedoch nicht gerne gesehen. Ausnahmen gelten in der Regel nur für beschädigte Objekte oder wenn durch der Erlös direkt für Neuerwerbungen investiert wird, um die Sammlung zu ergänzen oder zu erweitern; und wenn möglich sollten die Stücke anderen Museen angeboten werden. Dieses Verhalten regeln die Ethischen Statuen von ICOM, dem Internationalen Museumsrat, und anderen Museumsverbänden.
So heißt es im „Code of Ethics“ von ICOM, ein Erlös des Verkaufs solle im Interesse der Sammlung verwendet werden, nicht aber für allgemeine laufende Kosten. Und davon haben Institutionen wie Museen so viele, dass es aktuell zu massiven Problemen kommt.
Corona: Türöffner für eine neue Entsammlungs-Politik?
Auch Museen müssen Strom und Wasser bezahlen, Renovierungsarbeiten und Gehälter. In der Regel – bei staatlich finanzierten Museen – deckt ein fester Etat diese Posten. Doch bei zahlreichen Ausgaben sind die Einrichtungen auf sich selbst gestellt. Und in Anbetracht der einbrechenden Besucherzahlen stehen auch Museen vor der Frage, wie sie finanziell durch den Monat kommen sollen.
Die zitierte ICOM-Vorschrift erwartet übrigens unter Punkt 1.9, dass Museen durch die öffentliche Hand ausreichend finanziert werden. Aber diese Idealvorstellung trifft selbst auf viele staatliche Museen nicht zu, die chronische Unterfinanzierung beklagen. Daneben gibt es privat betriebene Museen, deren Situation noch gravierender ist.
Der nationale Museumsverband der USA AAMD (Association of Art Museum Directors) hat daher am 15. April 2020 seine Richtlinien überarbeitet. Wer nun Objekte aus den eigenen Sammlungen verkauft, um damit allgemeine Kosten zu bezahlen, muss bis 10. April 2022 nicht mit Strafen rechnen. Dieses Moratorium soll beitragen, die Einrichtungen überhaupt am Leben zu erhalten. Als eines der ersten Museen hat das Brookly Museum bekanntgegeben, noch im Herbst zwölf Kunstwerke bei Christie’s versteigern zu lassen, darunter Werke von Lucas Cranach d.Ä., Gustave Courbet und Francesco Botticini. Das Museum will nicht seine Sammlung umstrukturieren, sondern schlichtweg die Rechnungen begleichen.
Ähnliche Nachrichten sind aus Großbritannien und Frankreich zu hören. Die Londoner Museums Royal Academy of Arts ist eine der wichtigsten Kulturinstitutionen des Vereinigten Königreichs. Hervorgegangen aus einer Künstlervereinigung, fördert sie selbst Künstler – ohne öffentliche Unterstützung. Die Akademie finanziert sich vor allem über Ausstellungen. Eines ihrer Top-Stücke ist Michelangelos sogenannter Taddei Tondo. Und gerade den möchte man jetzt zu Geld machen – nicht aus kuratorischen Gründen, sondern um die Einnahmeverluste auszugleichen.
Ebenfalls in einer schwierigen Lage ist das Pariser Rodin-Museum. Das Museum, das sich ganz dem Werk des Künstlers Auguste Rodin verschrieben hat, ist zwar eine staatliche Einrichtung, finanziert sich aber als einziges Nationalmuseum Frankreichs vollständig aus eigener Kraft. Vor Corona war dies offensichtlich gut möglich gewesen, doch während der Pandemie brachen die Besucherzahlen um 70 Prozent ein. Jetzt hat das Museum bekanntgegeben, dass es sich von mehreren Bronzerepliken trennen möchte, die von Marmororiginalen angefertigt wurden. Das geschieht zwar nicht zum ersten Mal, aber nie war der Bedarf an zusätzlichen Erlösen so groß. In den Genuss der von Frankreichs Regierung beschlossenen Corona-Soforthilfen für staatliche Museen kommt das Rodin-Museum nämlich nicht.
Neue Regeln fürs Entsammeln
In den USA gibt es eine große Tradition privater Museen. Diese unterliegen daher weniger strikten Vorgaben und sind schneller zur Hand, wenn es darum geht, ihre Sammlung neu auszurichten. In Europa ist das anders. Die Vorbehalte gegenüber Verkäufen, die nicht nur dazu dienen neue Objekte anzukaufen, sind um so größer. Dabei spielt der Kunstmarkt dem Entsammeln in die Hände: Die Preise sind so gestiegen, dass die Museen gutes Geld machen können, während sie gleichzeitig ohnehin nur schwer bezahlbare Spitzenstücke ergattern werden.
In einem Thriller des britischen Journalisten und Schriftstellers Peter Watson (nebenbei bemerkt: einem exzellenten Kenner des Kunstmarktes) möchte ein sehr unkonventioneller Papst Gutes tun, indem er Kunstwerke über Auktionshäuser verkauft. Das Ergebnis: Großbritannien und Israel tun es ihm gleich, mit dramatischen Folgen für den Markt. Alles Weitere sollten Sie selbst lesen. Doch eines könnten wir daraus lernen: Wenn erstmal jemand damit anfängt, könnte das Tabu gebrochen sein.
Möglicherweise stößt Corona eine neue Diskussion in der Museumswelt an. Ohnehin sind die ICOM-Mitglieder dabei, die Aufgaben der Museen neu zu definieren. Vielleicht gehört dazu bald eine Überarbeitung der Vorgaben zum Entsammeln. Denn egal wie wir zum Entsammeln stehen: Es braucht klare und anwendbare Regeln für alle.
Ausführlich über die neuen Tendenzen beim Entsammeln berichteten die Süddeutsche Zeitung und die Deutsche Welle.
Über das Entsammeln können Sie zwei interessante Artikel in der Onlinezeitschrift Museumswissenschaft lesen: Wie deutsche Museen damit umgehen und was in den USA praktiziert wird.
Hier finden Sie den Beschluss der AAMD.
Und hier können Sie detailliert den Code of Ethics von ICOM lesen.
Wir haben vor kurzem ausführlich berichtet über die aktuellen Diskussionen bei ICOM zu der Frage, was die Aufgaben eines Museums sein sollten.