Antiken-Schmuggel lohnt sich nicht

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Der 27. Oktober 2020 beginnt für den LKW-Fahrer Dimitar D. nicht gut. Als der 41-jährige Bulgare aus der Kleinstadt Pasardschik um halb 6 Uhr morgens mit seinem LKW über Dover in das Vereinigte Königreich einreisen will, wird er vom britischen Zoll kontrolliert. Neben der eigentlichen Ladung – Hosen – werden zwei gut versteckte schwarze Päckchen sichergestellt, die antike Artefakte und zahlreiche Münzen enthalten. Natürlich weiß der Fahrer nichts davon; sie müssen dort ohne sein Wissen versteckt worden sein, gibt er bei der Verhaftung an. Untersuchungen der Polizei in Kent mit Unterstützung von Kunstdeliktsexperten und der bulgarischen Behörden finden auf seinem Handy andere Informationen.

In diesem LKW wurden die Schmuggelwaren entdeckt.

Kurier des organisierten Verbrechens

Schnell schließt die Polizei aus den Daten, dass Dimitar D. ein Kurier für das organisierte Verbrechen in Bulgarien sei. Er sollte die Antiquitäten an Mittelsmänner in London übergeben, über die die Objekte an Londoner Antiquitätensammler verkauft werden sollten.

Der mit den Ermittlungen betraute Beamte Detective Constable Max Gregory der Kent Police sagte dazu: „Illegale Ausgrabung von Altertümern stellt ein andauerndes Problem in Bulgarien dar, das seinen Bürgern einen wichtigen Teil ihres kulturellen Erbes entzieht. Die verantwortlichen Kriminellen bedenken nicht den Schaden, den es anrichtet, wenn sie ihre unrechtmäßige Beute in Länder wie das Vereinigte Königreich schmuggeln. Mit dem Erlös ihrer Schmuggelei finanzieren sie oftmals weitere internationale kriminelle Aktivitäten.“

Der Wert der Schmuggelware wird von der Polizei Kent mit £76,110 (aktuell fast 90.000 Euro) angegeben. Allerdings: Wenn die Fotos der Polizei halbwegs repräsentativ sind, ist diese Einschätzung ernsthaft zu hinterfragen.

Wertloser Schmuggel?

Werfen wir einen genaueren Blick auf die Fotos der Polizei. Gehen wir davon aus, dass die Qualität der abgebildeten Objekte repräsentativ ist und in den zwei schwarzen Päckchen nicht abertausende Objekte lagern, erscheint der genannte Wert viel zu hoch. Wir haben Experten aus dem Handel um eine Einschätzung gebeten. Unsere Einschätzung wurde bestätigt: Die abgebildeten Stücke sind – pardon – Ramsch.

Bei den Münzen handelt es sich um 45 byzantinische Münzen in schlechter Erhaltung, die, wenn ein Händler sie überhaupt kaufen würde, bestenfalls als Lot in eine Auktion kommen würden. In dem Fall wäre ein Preis von 200 Euro realistisch, 500 mit viel Glück.

Dazu kommt eine spätantike römische Schnalle – Massenware, wie sie meist ebenfalls in Lots verkauft werden – und zwei Statuetten von Pferd und Reiter, die meist als „thrakischer Reiter“ verkauft werden, in diesem Fall aber wahrscheinlich nicht zusammengehören. Beide Objekte haben nach Einschätzung der Experten einen Wert von weit unter 100 Euro.

Gehen wir also von enorm großzügigen 500 Euro für die Münzen und 100 Euro pro Antiquität aus, sind wir noch weit unter 1000 Euro. Es müsste also noch der ein oder andere Schatz in den Päckchen sein, um auch nur in die Nähe von £76.110 zu kommen.

Trotzdem richtig und wichtig

Warum gehen wir dem jetzt eigentlich nach? Der Wert der Waren führt den ganzen Fall ein Stück weit ad absurdum, sowohl die stolzen Pressemeldungen der britischen Polizei als auch das Schreckgespenst von der Finanzierung des organisierten Verbrechens. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich ist es richtig und wichtig, wenn dem kriminellen Kunstmarkt der Nachschub entzogen wird und in internationaler Zusammenarbeit entschlossen gegen organisiertes Verbrechen dieser Art vorgegangen wird.

Dimitar D.

Und Dimitar D.? Der bekannte sich vor Gericht schließlich doch schuldig und muss für den geschmuggelten Plunder nun zwei Jahre ins Gefängnis. Sicher ist das gerechtfertigt, aus oben genannten Gründen. Und doch kann man kaum umhin, Mitleid zu haben, wird doch wie so oft nur das arme Schwein erwischt, das den LKW gefahren hat. Die verantwortlichen Hintermänner bleiben anscheinend unerreichbar – noch.

 

In unserer Partnerpublikation Bookophile berichteten wir vor einigen Monaten über einen Fall, bei dem wertvolle antiquarische Bücher in spektakulärer Art und Weise in Großbritannien gestohlen und später in Rumänien sichergestellt werden konnten.

Traurig, wie viele Meldungen man inzwischen in unserer News-Rubrik „Verbrechen“ findet.