Erinnern Sie sich noch an „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“? Sie wurde 1979 in der erfolgsverwöhnten BRD zum ersten Mal ausgestrahlt und löste im ganzen Land eine Diskussion über die deutschen Verbrechen des Holocaust aus. Die Serie erreichte das, was Tausende von Geschichtsstunden nicht zustande gebracht hatten. Sie schaffte es, dass die Nachkommen der Täter sich mit den Opfern identifizierten und ihre Eltern fragten, ob sie auch dabei gewesen seien. Nach der Ausstrahlung der einzelnen Folgen boten die Fernsehsender offene Diskussionen ab, bei denen sich Teilnehmer per Telefon melden konnten. 23.000 Menschen meldeten sich zu Wort. Und danach war nichts mehr wie zuvor. Man sagt, dass die Aufhebung der Verjährungsfrist für Mord, die vom deutschen Bundestag 1979 beschlossen wurde, auch wegen des Meinungsumschwungs in der Bevölkerung durch diese Fernsehserie zustande kam.
„Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ erreichte ihr Ziel nicht, indem sie auf besondere Drastik setzte. Sie agierte mit den Mitteln einer Seifenoper und brachte die Zuschauer dazu, sich mit den Protagonisten zu identifizieren und mit ihnen mitzuleiden. Dieses Mitleid veränderte die Mentalität der Deutschen effektiver als jeder Appell an den Verstand es getan hätte.
Filme als Spiegel der Realität
Es geht mir sicher nicht darum, den Holocaust mit irgendeiner anderen Stigmatisierung zu vergleichen. Im Gegenteil. Für mich ist dieser Fall lediglich ein Musterbeispiel dafür, in welch hohem Grad Filme unsere Wahrnehmung von Realität formen. Sie bringen uns Realitäten nahe, von denen wir bis dahin nichts ahnten. Und sie regen Diskussionen zu Themen an, die vorher tabuisiert waren.
Die Zusammenarbeit von staatlichen Archäologen mit privaten Detektorgängern zählt in vielen Ländern zu diesen Tabus. Wie verhärtet die Fronten sind, merkt jeder, der in Deutschland gegenüber einem Mitarbeiter eines Landesamts für Denkmalpflege das britische System des Portable Antiquities Scheme anspricht. Eine echte und faktenbasierte Auseinandersetzung über Pros und Contras, Gefahren und Chancen ist nur mit ganz wenigen Archäologen möglich.
In diesem Zusammenhang ist es zu begrüßen, dass Arte nun eine britische Erfolgsserie über zwei Detektorgänger mit deutschen und französischen Untertiteln noch bis zum 28. Oktober 2021 auf ihrer Website zum Streamen anbietet. Vielleicht gewinnt diese wunderbar witzige Serie einen Bekanntheitsgrad, der ausreicht, um eine offene Diskussion darüber anzustoßen, warum das Suchen mit dem Metalldetektor in Großbritannien ein in allen sozialen Schichten verbreiteter Volkssport ist.
Zwei Freunde: Andy und Lance
Wenn Sie trockenen britischen Humor zu schätzen wissen, werden Sie diese Serie lieben. Sie schildert die Abenteuer von Andy und Lance, zwei Freunden, die alles andere als die typischen stromlinienförmigen Helden sind, wie wir sie aus unseren Vorabendprogrammen gewohnt sind. Lance, gespielt von Toby Jones, ist Gabelstapler-Fahrer in einem Gemüsehof und hängt mit hingebungsvoller Kritiklosigkeit an seiner Ex, die ihr neues Glück längst bei einem Pizza-Restaurant-Manager gefunden hat, ihren Ex nichtsdestotrotz hemmungslos ausnutzt. Andy Stone, gespielt vom Drehbuchautoren der Serie Mackenzie Crook, träumt davon Archäologe zu werden. Sein geradezu endlos dauerndes Studium verdient er sich in einer Zeitarbeit-Firma, die ihn mit immer wieder neuen Jobs als Reinigungskraft knechtet. Ihren deprimierenden Alltag vergessen die beiden, wenn sie jedes Wochenende auf den Äckern der Umgebung mit ihren Metalldetektoren nach dem großen Fund suchen, der ihr Leben ändern könnte.
Das wahre Leben
Lance und Andy entsprechen mit Sicherheit nicht den glorifizierten Schatzsuchern im Stile eines Indiana Jones. Sie sind die skurrilen Protagonisten einer britischen Komödie und dem Genre natürlich angepasst. Dennoch agieren die beiden nicht im luftleeren Raum: Das rechtliche Umfeld, auf dem die Suche mit Detektoren in Großbritannien basiert, ist implizit, aber äußerst eindrücklich dargestellt. So freuen sich die beiden Freunde, als sie von einem herrlich versponnenen Bauern – der dem Dorftratsch nach seine Frau umgebracht und auf einer Weide verscharrt haben soll – die Exklusiverlaubnis zum Graben auf seinen Äckern erhalten. Dass es in Großbritannien ganz feste Regeln gibt, welche Gebiete von wem mit der Metallsonde begangen werden dürfen, prägt sich jedem ein, der die erste Staffel von Detectorists gesehen hat: Zwei fiese Mitglieder des konkurrierenden Vereins der „Antiquisearchers“ fädeln eine Intrige ein, um Lance und Andy um ihre Erlaubnis zu bringen.
Dass es sich beim Detektorgehen in Großbritannien um ein gesellschaftlich höchstangesehenes Hobby handelt, dem man höchstens ein bisschen altbackenen Mief unterstellen kann, diese Tatsache wird durch die Club-Freunde von Lance und Andy illustriert: Der Club-Präsident – Vorsicht! Er interessiert sich für Knöpfe und kann stundenlang über diese faszinierende Objektgattung sprechen. – ist ein pensionierter Polizist.
Spaß und Entmystifizierung
Diese herrlich politisch unkorrekte britische Komödie führt den Mythos vom verbrecherischen Detektorgänger, der sich am Erbe der Menschheit bereichern will, ad absurdum. Er verweist das Feindbild so mancher staatlicher Archäologen in das Reich der Phantasie und präsentiert stattdessen Menschen wie Du und ich, mit ihren Stärken, ihren Schwächen, ihrer Gesetzestreue und ihrem Erfindungsreichtum, wenn es darum geht, die Gesetze zu ihren Gunsten auszulegen. „Detectorists“ ist keine Seifenoper mit schön eindimensionalen Charakteren, sondern ein anarchischer Spaß, der zeigt, wie wunderbar es die Briten verstehen, über sich selbst zu lachen.
Wenn Sie also mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen wollen, dann schauen Sie sich diese Serie an. Sie werden viel darüber erfahren, wie das Portable Antiquities Scheme im britischen Alltag funktioniert. Vielleicht, wenn Sie gaaaanz ehrlich mit sich sind, erinnern Sie die Clubabende von Lance und Andy an eigene Erfahrungen – natürlich nicht in ihrem heimatlichen Münzverein.
Es wäre schön, wenn die Serie „Detectorists“ die Diskussion wieder anregen würde, wie man mit archäologischem Erbe umgeht. Vor allem weil – angesichts der hohen Ausgaben, die das vergangene Pandemie-Jahr notwendig gemacht hat – die Ausgaben für die archäologische Forschung wohl in den kommenden Jahren zurückgehen dürften.
Hier kommen Sie zur Seite von Arte, wo Sie bis zum 28. Oktober 2021 die Serie „Detectorists“ mit deutschen Untertiteln sehen können.
Es gibt „Detectorists“ übrigens bei Arte auch mit französischen Untertiteln.
Das englische Original von „Detectorists“ offeriert BBC Four.
Auf Youtube gibt es einen Trailer zur Serie „Detectorists“.
Für den juristischen und administrativen Hintergrund von „Detectorists“ vergleichen Sie unseren Artikel zu 20 Jahren Portable Antiquities Scheme.
Detektorgänger wie Andy und Lance haben mittlerweile mehr als 1,5 Mio. Objekte gefunden, die in der Datenbank des Portable Antiquities Scheme erfasst sind und wissenschaftlich ausgewertet werden können.