Ich weiß nicht mehr, wann ich Edwin Tobler das erste Mal getroffen habe, aber dafür kann ich mich genau an das wo erinnern. Es war während eines der festlichen Mittagsessen, die auf die Verleihung des Otto-Paul-Wenger-Preises folgten. Ich durfte am Ehrentisch mit den ehemaligen Preisträgern Platz nehmen und war ein wenig beschwipst – mehr von der Ehre als vom Champagner. Ich hatte mich schon fast zwei Stunden mit dem netten älteren Mann neben mir unterhalten, als mir einer ins Ohr flüsterte: „Du weißt schon, dass das Edwin Tobler ist?“
Nein, ich hatte es nicht gewusst. Und von Suppe über Hauptgang bis hin zum Dessert war ich keine Sekunde lang auf die Idee gekommen, dass ich da neben einem der Päpste der schweizerischen Numismatik sitzen könnte! Edwin Tobler war wie immer viel zu bescheiden, um über sich selbst zu sprechen. Er hatte zugehört. Aber so war er einfach. Ein stilles Wasser, ein Mann mit einem enormen Wissen, der sich selbst nie wichtig nahm oder dem anderen aufdrängte.
Konditor, Tramkondukteur – und ein Sammler von musealen Münzen
Edwin Tobler wurde 1922 in St. Gallen geboren. Er lernte das Handwerk eines Bäckers und Konditors und arbeitete einige Jahre in seinem Beruf in Schweden. Nach seiner Rückkehr fand er in Zürich Arbeit als Tramkondukteur.
Für all diejenigen, denen dieses Wort nichts mehr sagt, ein Tramkondukteur war früher bei jeder Fahrt mit der Straßenbahn dabei. Er verkaufte aus seiner Kondukteurstasche die Fahrscheine und lochte sie.
Gut bezahlt war dieser Beruf sicher nicht, auch nicht als Edwin Tobler in der Hierarchie des Zürcher Verkehrsverbunds aufstieg zum Abrechner und Rechnungsführer. Und trotzdem baute Edwin Tobler eine Münzsammlung auf, die so bedeutend ist, dass sie heute nicht nur in einem Museum liegt, sondern auf mehrere Museen der Schweiz verteilt ist.
Raritäten, Neuentdeckungen und die liebe Wissenschaft
Bereits in Schweden hatte Edwin angefangen, Münzen zu sammeln. Er erwarb sich ein enormes Wissen. Denn ihn interessierte nicht der Wert oder gar das Investitionspotential einer Münze, sondern ihre historische, wirtschaftliche und geldgeschichtliche Aussage. Er beließ es nicht dabei, Münzen nebeneinander in einen Beba-Kasten einzureihen, sondern fing an, in die Archive zu gehen, sichtete dort das Material und lernte dafür, die alten Schriften zu lesen. So mancher Münzhändler dürfte überrascht gewesen sein, was ihm der bescheidene Mann über die Münzen zu erzählen wusste, die da auf den Tabletts lagen.
Edwin Tobler nutzte sein Wissen, um mit verhältnismäßig wenig Geld eine phantastische Sammlung von Schweizer Kleinmünzen zusammenzutragen. Denen hatte bis dahin noch niemand echte Aufmerksamkeit geschenkt. Deshalb konnte er immer wieder unerkannte Raritäten finden und wissenschaftliche Neuentdeckungen machen. Da sich damals „ernsthafte“ Wissenschaftler nicht mit so prosaischen Dingen wie neuzeitlichen Prägungen beschäftigten, wurde Edwin Tobler schnell zu einem geschätzten Experten und Buchautor, denn im Gegensatz zu den Wissenschaftlern interessierten sich unzählige Sammler für das gleiche wie Edwin Tobler.
Erinnern wir uns: In den späten 1960er Jahre wurde das Münzsammeln zu einem Massensport. Viele Menschen drängten in diesen Bereich, die bis dahin nichts, aber auch gar nichts von Münzen gewusst hatten. Die meisten großen Münzbörsen entstanden damals, aber auch Münzzeitschriften wie MünzenRevue und MoneyTrend. Sie hatten jenen dicken Bewertungsteil, in dem man eifrig jeden Monat überprüfte, wie die eigenen Münzen im Preis gestiegen oder gefallen waren. Doch es brauchte auch neuartige Literatur für die interessierteren unter den Neusammlern. Und so überzeugte Jean-Paul Divo, damals bei der numismatischen Abteilung der Bank Leu, Edwin Tobler, mit ihm zusammen ein Buch über die Schweizer Münzen des 19. und 20. Jahrhunderts zu verfassen.
Wir kennen es heute als „den“ Divo-Tobler. Ihm folgten zwei weitere Bände über die Münzen der Schweiz des 17. und 18. Jhs. Sie alle werden von soliden Münzhandlungen auch heute noch zitiert.
Es blieb nicht bei diesen drei Büchern. Vier Seiten umfasst Edwin Toblers Schriftenverzeichnis, das im August 1992 in den Schweizer Münzblättern anlässlich seines 70. Geburtstags veröffentlicht wurde.
Wer es zum ersten Mal sieht, wird sich fragen, wer jener Hans Schweizer war, der die frühen darin katalogisierten Aufsätze verfasste. Nun, Edwin Tobler war viel zu scheu, um die ersten seiner „grundlegenden Aufsätze und Bücher zur Münzprägung der Schweiz“ – wie das Historische Lexikon der Schweiz über sie urteilt – unter eigenem Namen zu publizieren. Er legte sich deshalb das Pseudonym Hans Schweizer zu. Und auch das war für ihn typisch: Er wählte keinen großartigen Künstlernamen, sondern beschränkte sich darauf, mit seinem Namen zum Ausdruck zu bringen, dass er halt nichts weiter als ein einfacher Schweizer sei.
Dass er wesentlich mehr war, wird jedem klar, der seine klugen, hervorragend recherchierten Artikel liest. Es ist bezeichnend, dass die meisten davon in der HMZ oder bei MoneyTrend erschienen, in den 80er Jahren die führenden Sammlerzeitschriften in der Schweiz resp. in Deutschland. Nur einige wenige Beiträge publizierte Edwin Tobler in wissenschaftlichen Journalen wie den Schweizer Münzblättern, kein einziger erschien in der Schweizer Numismatischen Rundschau! Und das, obwohl ihn Hans-Ulrich Geiger in seiner kurzen Gratulation zum 70. Geburtstag als „den anerkannten Spezialisten für schweizerische Kleinmünzen und die neuzeitliche Prägetätigkeit überhaupt“ feierte.
Erst sein letztes, 2008 erschienenes Werk wurde von der Schweizerischen Numismatischen Gesellschaft in ihre Reihe Schweizer Studien zur Numismatik aufgenommen. In Zusammenarbeit mit Benedikt Zäch und Samuel Nussbaum hatte Edwin Tobler seine in den 90er Jahren begonnene Arbeit an einer Münzgeschichte St. Gallens in einem Buch zusammengefasst.
Immer ein offenes Ohr und einen klugen Ratschlag für Mitsammler
Edwin Tobler gehörte nicht zu denen, die ihre Meinung den anderen aufdrängen. Aber wer ihn fragte, bekam immer eine offene, ehrliche und kenntnisreiche Antwort. Edwin hat viele mit seiner Begeisterung inspiriert, mit seiner freundlichen Art für sich eingenommen.
Am 14. März 2020 starb er im Alter von 97 Jahren. Er durfte neben seiner geliebten Tochter Ursula ruhig und friedlich einschlafen. Ihr gilt unser Mitgefühl.
Über allem aber ist eine unendliche Dankbarkeit. Für all das, was Edwin Tobler war und uns gegeben hat.
Edwin, wir werden Dich vermissen.