Warum wurden eigentlich die ersten Münzen geprägt? Für den Handel waren sie nicht nötig. Der hatte Jahrhunderte lang ohne sie funktioniert. Wir sind in dieser Frage bis heute nicht wesentlich weiter. Dies mag daran liegen, dass wir zu eurozentrisch denken. Handel und Tausch muss nicht unbedingt unter dem Blickwinkel der Gewinnoptimierung gesehen werden. Die Ethnologie kann die Bereitschaft fördern, über alternative Wirtschaftssysteme nachzudenken. Der Mensch ist eben nicht nur ein homo oeconomicus, sondern auch ein soziales Wesen.
Der Fall Palau
Palau ist ein Staat in der Südsee. Heute wohnen auf elf der insgesamt 356 Inseln rund 17.000 Einwohner. Ein Alptraum für jeden, der einen rentablen Supermarkt aufbauen möchte. Bei der niedrigen Bevölkerungsdichte ist die Rentabilität – Abgott unserer kapitalistischen Gesellschaft – eher klein geschrieben.
Der soziale Zusammenhalt dagegen funktioniert. Er muss funktionieren, denn jeder einzelne ist auf seine Sippe angewiesen. Und dies spiegelt sich im Geldsystem auf Palau und darin, wie dieses Geld eingesetzt wird, sobald es nicht um die Notwendigkeiten des modernen Miteinander geht. Hier auf Palau entwickelte sich nämlich ein Gabentausch zur Vollendung, der alle Mitglieder der Gesellschaft untereinander verbindet. Constanze Dupont untersuchte ihn systematisch. Sie reiste nach Palau und machte dort das, was die Ethnologie als Feldforschung kennt.
Männergeld – Frauengeld
Zwei grundsätzlich verschiedene Formen von Geld haben Ethnologen für die Insel Palau beschrieben: Udoud el dil (Perlgeld) und Toluk (kleine Tabletts aus dem Panzer der Karettschildkröte). Auch wenn daneben durchaus amerikanische Dollars kursieren, haben diese beiden Geldformen bis heute nicht ihre Bedeutung verloren.
Constanze Dupont beschreibt in ihrer fundierten Arbeit exakt die Vorgänge, bei denen diese beiden Geldformen, ergänzt mit Münzen und Geldscheinen, zum Einsatz kommen. Ihr gelang es, das Vertrauen der Frauen von Palau zu gewinnen, die eine Hauptrolle in beim Gabentausch spielen. Frau Dupont durfte an ihren Zeremonien teilnehmen und Fragen stellen. Daneben fasst sie auch die frühere Literatur zum Gabentausch auf Palau zusammen. Dies ist wichtig, da gerade die auf uns exotisch wirkenden Gebräuche, die dem damaligen Moralsystem Europas nicht entsprachen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts verboten wurden.
Eines aber kann man heute noch auf Palau beobachten, das Gesetz der Reziprozität. In ihm sind die beiden Geschlechter eng miteinander verwoben. Wichtige Stationen im Leben des Einzelnen, seiner Kleinfamilie und seiner Großfamilie sind in einem unvermeidlichen Ritual des Gabentauschs eingebunden, das jedem Mitglied der Gesellschaft seinen ganz spezifischen Platz zuweist.
To get is to give – to give is to get
Die Autorin beobachtete und interpretierte Gabentausch bei folgenden Ereignissen: Bei der Eheschließung, die zumeist mit dem Fest zur Geburt des ersten Kindes einhergeht, beim Tod des Ehepartners oder einer Scheidung, bei Versöhnungen, bei denen sich jemand, der einen tödlichen Autounfall verschuldet oder einen gewaltsamen Übergriff begangen hat, durch eine Zahlung von der Schuld reinigt, bei der Ernennung einer Autorität sowie bei Ehebruch und Festen, die veranstaltet werden, um Kapital aufzubringen.
Sie gibt in ihren farbigen Schilderungen einen tiefen Einblick in eine Gesellschaft von Palau, deren Werte und Normen uns auf den ersten Blick unsagbar fern vorkommen. Das Buch liest sich spannend, voller interessanter Details, mit einem wachen Blick auf das Fremde.
Entscheidend ist aber für die fruchtbare Lektüre, anhand der fremden Gebräuche die eigenen in einem neuen Licht zu sehen und in Frage zu stellen.
Antikenhandel
Dass es trotzdem überall menschelt, wird besonders im Kapitel zum Antikenhandel deutlich. Der läuft in diesem Fall nämlich sozusagen in die andere Richtung.
Für den sozialen Status einer Familie auf Palau ist nämlich entscheidend, wie reich sie an Perlengeld Udoud el dil ist. Alle die darin erfassten Perlen kamen durch den Handel der vergangenen Jahrhunderte auf die Insel. Auf Palau wurden und werden diese Perlen nicht hergestellt – im Gegensatz übrigens zu den Schildpatt-Tabletts Toluk.
Theoretisch sollte deshalb die Menge der umlaufenden Perlen gleich bleiben und jede Inflation unmöglich sein. Praktisch aber haben die Bewohner von Palau einen Weg entdeckt, um an zusätzliche Perlen zu kommen. Sie reisen nach Indonesien und auf die Philippinen, wo genau diese Perlen von Grabräubern aus archäologischen Fundstätten geholt werden. Auch wenn der Handel damit natürlich verboten ist, halten philippinische Antikenhändler unter ihrem Tresen genau solche Perlen bereit für ihre Kundschaft aus Palau bereit. Und natürlich sind Fälschungen inzwischen ein riesiges Problem! Die lokalen Antikenhändler haben sich auf ihre Kundschaft eingestellt und nutzen die Nachfrage für ein ständig fließendes Einkommen …
Diese Perlen von den Philippinen – ob echt oder falsch – haben ihren Weg in die Gabentauschzeremonien von Palau gefunden und für eine Art Inflation gesorgt.
Die Regierung überlegt nun, ob sie nicht jede einzelne, auf Palau kursierende Perle katalogisieren soll, um diesen Handel zu verunmöglichen. Wie erfrischend, dass auf der fernen Südseeinsel Palau derselbe Kontrollwahn regiert wie in der Europäischen Union.
So fern scheint die Südsee also gar nicht zu sein.
Erschienen ist die lesenswerte Publikation von Constanze Dupont im Reimer-Verlag, wo sie für 49,00 Euro gekauft werden kann. Und wenn Sie mich fragen: Sie ist jeden Cent davon wert!