Indiennes. Stoff für tausend Geschichten

Wandbehang (Palampore) mit Lebensbaum von der Koromandelküste, Indien, um 1740. Das Lebensbaum-Motiv gehört im 17. und 18. Jahrhundert zu den weit verbreiteten Darstellungen auf Indiennes für den Export nach Europa. Foto: Rainer Wolfsberger, Courtesy Museum Rietberg.
[bsa_pro_ad_space id=4]

Im 17. Jahrhundert werden Indiennes – bedruckte und bemalte Baumwollstoffe aus Indien – ein beliebtes Handelsgut in Europa. Die neue Wechselausstellung im Landesmuseum Zürich bis zum 19. Januar 2020 zeigt zahlreiche dieser prachtvollen Stoffe, erzählt die Geschichte rund um die Textilproduktion, thematisiert das koloniale Erbe und wandelt auf den Handelswegen zwischen Indien, Europa und der Schweiz.

Baumwollpflanze. In Indien ist Baumwolle bereits für die Zeit um 2600–1900 v. Chr. nachgewiesen. Sie wächst nur in tropischen und subtropischen Gebieten – insbesondere in Südostasien sowie dem Nahen Osten. Foto: Omar Lemke, 2018, IIa 6466, Museum der Kulturen Basel, all rights reserved.

Der Beginn einer Erfolgsgeschichte

Die Baumwolle gehörte bis weit in das letzte Jahrhundert zu den wichtigsten Handelsgütern der Welt. Aus der Pflanze, die nur in den tropischen und subtropischen Regionen wächst, entstehen Stoffe, die – neben der Rohbaumwolle – zu einem der wichtigsten Handelsprodukte wurden. Indien spielte eine zentrale Rolle: Dort wurden seit vorchristlicher Zeit Färbe- und Drucktechniken entwickelt, die für lange Zeit unerreichbar blieben und Vorbild für Stoffdrucke in Asien und Europa waren.

Indische Stoffe mit ungewöhnlichen Motiven, später als Indiennes bezeichnet, erreichten ab dem 16. Jahrhundert Europa. Clevere Geschäftsleute imitierten diese im 17. Jahrhundert und lösten im 18. Jahrhundert einen wahren Sturm der Begeisterung aus. Westliche Manufakturen, darunter zahlreiche Unternehmen aus der Schweiz, ahmen diese Kostbarkeiten nach und schon bald sind Indiennes allgegenwärtig.

Indiennes erobern Europa

Die Stoffe wurden für Kleider, Vorhänge und Tapeten oder Überzüge für Sessel und Sofas in den Wohnräumen der gehobenen Gesellschaft verwendet. Der Erfolg war so groß, dass Frankreich seine Grenzen schließen ließ, um die heimische Seidenproduktion zu schützen. So eröffneten sich für die Schweiz neue Möglichkeiten und bald waren Schweizer Firmen groß im Geschäft mit den Baumwollstoffen. Der beispiellose Enthusiasmus für die Stoffe mit den exotischen Motiven prägte fast zwei Jahrhunderte lang nachhaltig die damalige Gesellschaft, Wirtschaft und Mode.

Der Erfolg europäischer Handelsunternehmen

Bereits Ende des 18. Jahrhundert wurden in Europa industriell hergestellte Indiennes konkurrenzfähig, und in der Folge kehrten sich die Handelsströme um: Indiens ehemals blühende Textilindustrie geriet durch den Import von günstigeren Textilien aus Europa in Schwierigkeiten. Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger griffen um sich. Exportiert wurde ab dem 19. Jahrhundert vor allem Rohbaumwolle, die im industrialisierten Europa verarbeitet wurde. Bombay wurde zu einem Zentrum des globalen Baumwollhandels, und es etablierte sich eine eigenständige Textilindustrie mit einem rasanten Aufschwung. Die Schweizer Handelsgesellschaft Gebrüder Volkart, die Ende des 19. Jahrhunderts eine der größten Baumwollexporteure der Welt waren, gründeten 1851 die erste Niederlassung in Bombay.

Kolonialer Lebensstil in Indien

Doch aus der Schweiz waren zu dieser Zeit nicht nur Geschäftsleute auf dem Subkontinent anzutreffen. Die protestantische Missionsgesellschaft Basler Mission, gegründet 1815, schickte ihre Missionare, um die Inder, zumeist Hindus, zu bekehren. Gleichzeitig mussten die Sozialwerke, Spitäler, Schulen, die die Missionare errichten, finanziert sein. Mit Ziegeleien, Druckereien und Webereien wurde Geld verdient, aber gleichzeitig die Debatte ausgelöst, ob es statthaft sei, mit der Mission Gewinne zu erwirtschaften.

Im 20. Jahrhundert erfuhr die Baumwolle in Indien nochmals eine neue Bedeutung. Ab 1930 wurde handgesponnene und -gewebte Baumwolle, sogenannter Khadi, zum Symbol der Befreiungsbewegung Indiens und zum Markenzeichen Mahatma Gandhis. Vor Ort war der Schweizer Pressefotograf Walter Bosshard, der das Geschehen mit seiner Kamera festhielt. Seine Fotoreportage von 1930 zeigte Gandhi von Hand spinnend, quasi eine Homestory. Die Fotos gingen um die Welt.

Die Ausstellung im Landesmuseum Zürich präsentiert ausgewählte indische und europäische Stoffe, darunter hochkarätige Leihgaben aus dem In- und Ausland. Sie zeigt auch, wie die Schweizer Unternehmen eingebettet sind in das Geschäft mit dem weißen Gold: Es ist eine Verflechtungsgeschichte, ein Beispiel dafür, dass Schweizer Geschichte stets auch Globalgeschichte ist.

Indiennes. Stoff für tausend Geschichten, Schweizerisches Nationalmuseum (Hg.), 136 Seiten, 75 meist farbige Abbildungen, in Leinen gebunden, 20 x 29,5 cm. © Christoph Merian Verlag.

Parallel zur Ausstellung hat das Landesmuseum Zürich eine gleichnamige Publikation herausgebracht. Anhand zahlreicher farbiger Abbildungen von Meisterwerken aus indischen Werkstätten und den namhaftesten französischen und schweizerischen Manufakturen werden die Produktionsgeheimnisse und Mythen des blühenden und weitläufigen Markts aufgezeigt, der die Indiennes zum ersten globalisierten Produkt überhaupt machte.

Im Buch werden zahlreiche Verflechtungen der Indiennes-Produktion in der Schweiz thematisiert.

 

Mehr zur Ausstellung erfahren Sie im Blog des Schweizerischen Nationalmuseums oder direkt auf der Seite der Ausstellung „Indiennes. Stoff für tausend Geschichten“.

Einen Einblick in die Ausstellung erhalten Sie in diesem Kurzfilm.