Er war ein vertrautes Gesicht in New York, ein Mann, der nie an meinem Tisch vorbeiging, ohne nicht wenigstens ein paar freundliche Worte mit mir zu wechseln. Er lächelte immer und wusste viele interessante Geschichten zu erzählen.
Doch richtig kennengelernt habe ich Jay M. Galst erst vor drei Jahren, bei einem der großartigen Dinners des New York Numismatic Clubs. Christoph von Mosch hatte mich mitgenommen und von den unterhaltsamen Gesprächen geschwärmt, mit denen der Abend dort vergeht. Er hatte recht. Zu meiner rechten saß eben jener nette Mann, den ich von so vielen Begegnungen kannte, ohne doch seinen Namen zu wissen. Aber braucht es Namen, um sich in ein Gespräch über Münzen zu verlieren? Er erzählte von seiner Begeisterung für Prägungen, die mit dem Thema Augen und Augenoperationen in Verbindung stehen. Ich fragte, ob es da überhaupt viel gäbe. Mir fiel einfach keine einzige dazu passende ein. Er sagte ja und erwähnte beispielhaft einen Guldiner der Stadt Luzern, auf dem die Blendung des Leodegar dargestellt sei. Leider befände sich diese Münze nicht in seiner Sammlung. Er hätte sie in dieser Schweizer Auktion damals verpasst. Jetzt läge sie in irgendeinem Schweizer Museum. Und das wusste ich, denn ich konnte mich noch gut an die Aufregung erinnern, als mein Mann sie für das Museum zu Allerheiligen kaufte. Irgend so ein Amerikaner hatte damals heftig gegen ihn geboten! Jay Galst und ich, wir lachten beide. Und ich lud ihn ein, „seine“ Münze einmal in Schaffhausen zu besuchen. Zu diesem Besuch kam es nie. Und es wird auch nie mehr dazu kommen.
Ein bekannter Ophthalmologe mit sozialer Verantwortung
Jay M. Galst ist eines der mehr als Zehntausend New Yorker Opfer von COVID-19. Wir verlieren mit ihm einen engagierten Menschen, der viel für die Numismatik getan hat. Er war ein Sammler, der zwei Leidenschaften verband, die des Augenarztes und die des Münzbegeisterten.
Denn der aus Milwaukee stammende Dr. Galst war nicht nur numismatisch eine Kapazität in Sachen Ophthalmologie. Er studierte Medizin an der University of Wisconsin. Seinen Abschluss absolvierte er am College of Physicians and Surgeons der Columbia University. Für seine Praktika reiste er ins afrikanische Sambia und danach nach New York, ehe er 1980 eine private Praxis für Ophthalmologie in dieser Stadt eröffnete.
Dr. Galst wurde zu einem der bekanntesten Ophthalmologen der Stadt. Er gab seine Kenntnisse als Assistant Clinical Professor des New York Medical College, Abteilung Ophthalmologie an Studenten weiter. Er übte die Funktion eines Honorary Police Surgeon des New York City Police Departments aus. Für alle Nicht-New Yorker, das bedeutet, dass er auf freiwilliger Basis Polizisten und ihren Angehörigen beistand, wenn sie eine schwere Augenverletzung erlitten hatten. Er war ein Offizier des Order of St. John, einer Partnerorganisation des deutschen Johanniterordens, die – ob in Deutschland oder in USA – immer noch einen entscheidenden Anteil an der Krankenversorgung hat.
Der beste Kenner von Münzbildern in Zusammenhang mit der Augenheilkunde
Jay M. Galst begeisterte sich nicht nur für die Möglichkeiten der modernen Ophthalmologie. Er interessierte sich auch für ihre Geschichte, unterstützte deshalb das Museum of Vision als Vorstandsmitglied und Präsident des Ankaufskomitees. Er gehörte zum Vorstand der Cogan Ophthalmic History Society und präsidierte von 1989 bis 1990 und 2009 bis 2010 die Ocular Heritage Society.
Und dieses geballte Wissen über das Auge, seine Heilung und die Geschichte der Ophthalmologie brachte Jay M. Galst ein in seine Münzsammlung. Er erwarb über 1.700 numismatische Objekte in Zusammenhang mit der Ophthalmologie, die er 2012 in einem umfangreichen Katalog in Zusammenarbeit mit der ANS publizierte.
Wobei sich sein Interesse übrigens nicht ausschließlich darauf beschränkte. Er besaß ferner eine umfangreiche Sammlung von Münzen der Jüdischen Welt und moderner Münzen und Medaillen, die sich mit der Geschichte des Staates Israel und des jüdischen Volkes beschäftigten.
Eine zentrale Gestalt der Numismatik in New York
Jay M. Galst war ein Mann, der Menschen mochte. Er liebte es, seine Begeisterung für die Numismatik mit anderen zu teilen. So war er natürlich auch eine zentrale Gestalt in der New Yorker Sammlerszene. Er bekleidete das Amt eines Präsidenten des Bronx Coin Clubs und des New York Coin Clubs. Darüber hinaus engagierte er sich in der American Numismatic Society, der American Numismatic Association und der Royal Numismatic Society.
Wir verlieren in ihm einen Mann, den Peter van Alfen folgendermaßen beschrieb: „Ein ungewöhnlich guter Freund, großzügig über jede Vorstellungskraft hinaus, Ehemann seit 48 Jahren, Vater, Großvater, Mitautor, Ophthalmologe, Numismatiker, Weinliebhaber. Ein so lieber und guter Mann, der so schnell lächelte.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die numismatische Gemeinschaft hat einen schweren Verlust erlitten. Wir trauern mit den Hinterbliebenen.