Irgendwann im März 2010 kontaktierte mich eine Repräsentantin von ZOOM, dem Berliner Kindermuseum. Man plane, eine kindgerechte Ausstellung zum Thema Geld zu machen. Ein Sujet solle ein riesiger Tresor mit ganz vielen Fächern sein, darin unzählige Formen von Geld. Das Budget war begrenzt, sehr begrenzt, und ich sollte mit diesem marginalen Budget Wunder vollbringen und einige ikonische Münzen, Banknoten und Primärgelder kaufen. Ich rief damals all die Händler an, die über ein großes Lager verfügten. Die Ausbeute war klein. Irgendwann landete ich bei Jürgen Ritter. Ich schilderte ihm mein Anliegen. Seine Antwort war: „Ich unterstütze alles, was die Numismatik fördert. Wir schauen, was wir haben, und das bekommt das Museum selbstverständlich kostenlos.“
So war Jürgen Ritter. Er unterstützte, was gut für die Numismatik war – übrigens auch die MünzenWoche. Er war der dritte Händler, der mit seinem Inserat half, die MünzenWoche zu finanzieren. Nicht etwa, weil er sich zu Beginn einen großen Werbeerfolg davon versprochen hätte, sondern weil er gute Ideen, wie man die Numismatik einem interessierten Publikum näher bringen könne, aus Prinzip förderte. Für ihn bedeutete Sammeln nämlich weit mehr als nur sein Geld sicher anzulegen. Ihm ging es darum, seinem Kunden ein Stück Geschichte zu verkaufen.
Geschäftsgründung in Recklinghausen
1968 gründete Jürgen Ritter in Recklinghausen, also mitten im Ruhrgebiet, seine Münzhandlung. Damals wuchs in der Bevölkerung das Interesse an alternativen Anlagemöglichkeiten. Hatten traditionell nur bürgerliche Schichten Münzen gesammelt, begann auf dem Höhepunkt des deutschen Wirtschaftswunders die breite Öffentlichkeit zu sammeln. Wie schnell sich dabei das Potential an Sammlern entwickelte, zeigen die Zahlen, in denen die deutschen Gedenkmünzen ausgegeben wurden. Genügten für die Jahre 1964/5 noch 500.000 Stück, wurden 1966 und 1967 schon je 2 Millionen Gedenkmünzen ausgegeben. 1968 explodierten die Prägezahlen auf über 10 Millionen. Dass ein großer Teil der Kosten für die Olympischen Spiele von 1972 mittels deutscher Gedenkmünzen aufgebracht wurde, sei hier nur kurz erwähnt.
Ein cleverer Münzhändler machte damals gute Geschäfte. Und Jürgen Ritter war clever. So clever, dass er auf dem Höhepunkt des Münzbooms sein Geschäft ins geschäftige Düsseldorf verlegte, wo die Münzhandlung Ritter heute noch ihr Quartier hat.
Wir verkaufen nicht nur Münzen, sondern ihre Geschichte
Seine Idee war es, nicht nur Münzen, sondern ihre Geschichte zu verkaufen. Bei ihm konnten Kunden ganze Sammlungen im Abonnement erwerben. Er lieferte ihnen zum monatlichen Festpreis nicht nur die Münzen selbst, sondern auch historische Informationen. Sein Wahlspruch „Wir lassen Sie mit Ihren Münzen nicht allein!“ war ernst gemeint: Die Materialien, die Sammler zu ihren Münzen erhielten, erklärten ihnen alles, was es über ein Stück zu wissen gab – und zwar so, dass es auch einer verstehen konnte, der in der Schule kein Latein gelernt hatte. Gerade für Menschen, die bis dahin noch nicht so viel Kontakt mit der Antike gehabt hatten, waren die fertigen Kollektionen mit den dazugehörigen Materialien ein wunderbarer Einstieg in die bunte Welt der Münzen.
Natürlich war Jürgen Ritter kein Philanthrop, sondern ein gewiefter Geschäftsmann. Keiner konnte so hart um den Preis einer Partie feilschen wie er. Die Erhaltung spielte ihm nie diese Rolle, aber die Inschrift musste komplett und mit allen Münzzeichen auf jeder Münze zu sehen sein, damit die Damen, die in Heimarbeit seine Münzen bestimmten, dafür nicht allzu lange brauchten. Sein System, komplette Sammlungen zu verkaufen, war nach dem Prinzip der Arbeitsteilung effizient durchorganisiert.
Daneben existierte natürlich auch der „normale“ Münzhandel mit An- und Verkauf. Dabei hat Jürgen Ritter nie den Schritt zu Auktionen vollzogen. Noch heute gibt die Münzhandlung Ritter ihre beliebten Lagerlisten zu Fixpreisen heraus.
Über 30 Jahre als Vereidigter Sachverständiger
Münzen waren für Jürgen Ritter nicht nur eine Leidenschaft, sondern auch etwas, mit dem man sich beschäftigen muss. Er hatte eine umfassende Fachbibliothek, verkaufte seinen Kunden auch Bücher und verfügte selbst über genug Wissen, um über 30 Jahre im Dienste der Öffentlichkeit als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger der IHK vor Gericht anerkannte Gutachten zu erstellen.
IAPN, VddM, BddM
Jürgen Ritter war die Zusammenarbeit wichtig – national und international. Deshalb war er ein Mitglied der IAPN, der International Association of Professional Numismatists, und der beiden deutschen Verbände, des VddM, des Verbands der deutschen Münzenhändler, und des BddM, des Berufsverbands des Deutschen Münzfachhandels.
Gerne nahm er an den Verbandstagungen teil, nicht nur um das Geschehen mitzubestimmen, sondern auch um mit seinen Kollegen zusammen zu sein und um am alle verbindenden Netz zu weben.
Harley Davidson und Hühner
Dabei war Jürgen Ritter ein Mensch, der sich weigerte, sich nur über das Geldverdienen zu definieren. Seine Freiheit war ihm heilig. Er liebte es, Motorrad zu fahren. Auf seiner Harley eroberte er die Welt. Der Gegenpol zu dieser wilden Seite waren seine geliebten Hühner, die er mit Begeisterung züchtete.
Jürgen Ritter war ein großzügiger Mensch, der Ideen entwickelte und engagiert umsetzte. Er war jemand, mit dem man hart verhandeln musste, und mit dem man danach auf ein Bierchen gehen konnte. Er hatte für neue Ideen immer ein offenes Ohr und war bereit, andere zu unterstützen.
Außerdem besaß er die seltene Gabe, loszulassen und anderen Verantwortung zu übertragen. So ist seine Nachfolge in der Münzhandlung Ritter schon seit Jahren geregelt. Sein Lebenswerk wird in seinem Sinne und in seinem Namen von den von ihm ausgewählten Mitarbeitern mit derselben Motivation und Freude weitergeführt.
Normalerweise würden sich viele Münzenhändler und Sammler am Grab von Jürgen Ritter treffen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Wir möchten allen Hinterbliebenen sagen, dass es uns schwer fällt, wegen der momentanen Situation auf diese Ehrerbietung zu verzichten.
Jürgen Ritter war ein wichtiger Bestandteil der numismatischen Welt. Wir werden ihn vermissen!