Kulturgüterschutz und Rechtsmissbrauch Teil 1

Rechtsmissbrauch gibt es leider auch im Bereich des Kuturgüterschutz – von seiten der staatlichen Behörden. Bild von succo auf Pixabay.
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In diesem Beitrag werden einige Gerichtsurteile im Bereich des Kulturgüterschutzes, insbesondere betreffend den Handel mit archäologischen Kulturgütern genauer betrachtet und analysiert. Diese Urteile gleichen sich insofern, als staatliche Kulturgüterschützer sich in diesen Fällen mehr oder minder grob rechtswidrig verhielten und dadurch den von diesem Verhalten Betroffenen – ob nun unabsichtlich oder absichtlich – Schaden zu verursachen versucht haben. Dafür haben sie Befugnisse, die ihnen aus ihrer Funktion oder Stellung als Organ einer staatlichen Behörde, eines Museums etc. erwachsen sind, absichtlich rechtsmissbräuchlich verwendet, um archäologische Kulturgüter in ihren Besitz zu bringen bzw. in diesem zu behalten, obwohl die Tatsache, wer deren rechtmäßige EigentümerInnen waren, zum jeweils relevanten Zeitpunkt nicht (mehr) umstritten, sondern bereits (durch ordentliche Gerichte oder auf anderem geeignetem Wege) mit Sicherheit festgestellt worden war.

Diese Fälle verdeutlichen, dass es im Bereich des (archäologischen) Kulturgüterschutzes wenigstens einige Organe staatlicher Einrichtungen, Museen etc. gibt, welche die ihnen vom Staat oder ihren jeweiligen dienstgebenden Einrichtungen anvertrauten Befugnisse grob und schwerwiegend missbrauchen, weil sie auf Basis eines totalitären Amts- und Kulturstaats- bzw. wenigstens Kulturgüterschutzverständnisses glauben, nicht an die in ihrem jeweiligen Land geltende Gesetzgebung gebunden zu sein. Sie scheinen irrtümlich zu glauben, dass sie über dem Gesetz stehen, anstatt nur geltendes Recht pflichtgemäß zu vollziehen zu haben. Dieses Problem – das schon für sich allein unangenehm genug ist – wird noch zusätzlich dadurch verschärft, dass innerfachliche Selbstkontroll- und Selbstreinigungsmechanismen fehlen, die es gestatten würden, die Personen, die derartiges, gravierendes Fehlverhalten an den Tag legen, zu sanktionieren oder gar aus dem Fach auszuschließen.

Schlimmer noch, wenigstens gewisse Teile der Fachgemeinschaft scheinen kein Problem mit derartigem, stark gesellschaftsschädigendem Verhalten von einzelnen Mitgliedern der Fachgemeinschaft zu haben, sondern nehmen dieses billigend in Kauf, wenn sie es nicht sogar aktiv unterstützen. Stattdessen versuchen VertreterInnen dieser innerfachlichen Fraktion, fachliche Selbstkritik zu verhindern und sowohl international fachintern hochrenommierte, aber bei Bedarf auch fachkritische, Fachgesellschaften als auch einzelne FachkritikerInnen durch Missbrauch ihres Einflusses bzw. ihrer Machtpositionen mundtot zu machen.

Disclaimer

Ich möchte damit, dass ich hier konkrete, hochproblematische Fälle von Fehlverhalten staatlicher Kulturgüterschützer bzw. Kulturgutschutzeinrichtungen diskutiere, keineswegs sagen oder auch nur implizieren, dass diese für den staatlichen Kulturgüterschutz charakteristisch sind oder häufig vorkommen. Ganz im Gegenteil sind solche wie die hier besprochenen Fälle glücklicherweise sehr selten. Bei der Lektüre dieses Beitrags ist daher stets zu bedenken, dass nahezu alle staatlichen Kulturgüterschützer – auch wenn ihnen dabei gelegentlich Fehler unterlaufen, wie sie immer und überall vorkommen und jedem gelegentlich passieren können – beinahe immer das geltende Recht nach bestem Wissen und Gewissen korrekt anzuwenden und durchzusetzen versuchen und sich mit ihrer ganzen Kraft bemühen, das beste Ergebnis für das Allgemeinwohl zu erreichen.

Einleitende Gedanken

Fehler kommen bekanntermaßen überall vor: niemand ist perfekt, jeder kann sich irren, und jeder kann unabsichtlich Dinge übersehen, die er eigentlich bedenken hätte sollen (oder sogar müssen), bevor er eine bestimmte Entscheidung trifft oder eine bestimmte Handlung setzt (oder unterlässt). Fehler kommen daher selbstverständlich auch in der archäologischen Denkmalpflege immer wieder einmal vor; und auch der staatliche Kulturgüterschutz ist nicht gänzlich vor ihnen gefeit.

Das ist zwar natürlich nicht erfreulich, aber wenigstens grundsätzlich kein Problem: schließlich gibt es diverse Kontrollmechanismen zur Identifikation und Behebung solcher Fehler, von der Selbstkritik des Einzelnen bis hin zu Rechtsinstrumenten, die jene, die sich durch eine mögliche Fehlentscheidung oder falsche Handlung (bzw. deren Unterlassung) geschädigt fühlen, in Anspruch nehmen können. Auch wenn auch diese Kontrollmechanismen nicht immer perfekt funktionieren – schließlich gilt auch hier, dass Fehler immer und überall vorkommen können – funktionieren sie dennoch zumeist wie vorgesehen und reduzieren damit die dennoch vorkommenden Fehler auf ein tolerables Mindestmaß. Dass es keine absolute Sicherheit gibt, mag zwar traurig sein, vor allem für konkret von Fehlern Betroffene, ist aber eine Tatsache des Lebens, mit der man sich abfinden muss: manchmal hat man halt einfach Pech.

Ein grundsätzliches Problem ist hingegen, wenn jemand nicht nur unabsichtlich eine bestimmte Entscheidung trifft oder eine bestimmte Handlung setzt (bzw. unterlässt), die er nicht treffen bzw. setzen (bzw. unterlassen) sollte (bzw. durfte), sondern intentionell fehlerhaft entscheidet bzw. handelt; z.B. indem er etwas Verbotenes tut. Es ist daher – wie wir ArchäologInnen und die staatliche Denkmalpflege immer wieder einmal ganz richtig und berechtigt anmahnen – ein durchaus ernsthaftes Problem, wenn sich ‚gewöhnliche‘ BürgerInnen nicht an geltendes Recht – wie z.B. Denkmalschutzgesetze – halten, sondern einfach tun (bzw. unterlassen), was sie wollen. Wie wir, wenn so etwas vorkommt, stets ganz richtig bemerken: das Gesetz gilt für alle gleichermaßen, auch wenn es dem, der etwas Bestimmtes tun (oder unterlassen) will, nicht gefällt oder er es für vollkommen sinnlos und kontraproduktiv hält; und es ist daher auch von jedem einzuhalten.

Ist es nun allerdings schon ein durchaus ernsthaftes Problem, wenn sich ‚gewöhnliche‘ BürgerInnen nicht an die in einem bestimmten Gesetz festgelegten Vorschriften halten, dann ist es ein noch viel größeres Problem, wenn sich jene nicht an das bzw. die Gesetze halten, die vom Staat damit betraut wurden, dieses (bzw. diese) durchzusetzen und seine (bzw. deren) Einhaltung – im Notfall mit staatlichen Gewaltmitteln – zu erzwingen. Denn diese haben schließlich die ihnen vom Staat anvertrauten Gewaltbefugnisse nicht dafür überantwortet bekommen, dass sie willkürlich BürgerInnen aufzwingen können, was sie subjektiv für richtig halten, sondern dafür, das geltende Recht gegenüber allen gleichermaßen durchzusetzen bzw. zu erzwingen. Missbrauchen sie also die ihnen vom Staat anvertrauten Befugnisse, dann ist das nicht nur ethisch besonders verwerflich, es gefährdet auch den modernen demokratischen Rechtsstaat an sich.

Nun kommt es leider – wenn auch glücklicherweise nur vergleichsweise sehr selten – auch vor, dass staatliche Kulturgüterschützer nicht nur unabsichtlich Fehler machen, sondern tatsächlich – aus welchen Gründen auch immer – die ihnen vom Staat anvertrauten Befugnisse absichtlich und wissentlich missbrauchen. Es sind solche Fälle, die Thema dieses Beitrags sind; und solche Fälle müssen auch in der Fachwelt entsprechend wahrgenommen, analysiert und selbst- bzw. fachkritisch diskutiert werden. Denn wenn sie auch nur vergleichsweise selten vorkommen, ist jeder derartige Fall ein ernsthaftes Problem; und es besteht noch dazu zumindest die Möglichkeit, dass solche Vorfälle nicht bloße Einzelfälle sind, sondern gleichartige Ursachen haben; d.h. Symptome eines fundamentaleren, insbesondere (fach)ethischen Problems sein könnten.

In diesem Beitrag sollen daher einige Fälle kurz vorgestellt werden, in denen es – wenigstens vermutlich, wenn nicht sogar erwiesenermaßen – zu derartigem Fehlverhalten gekommen ist. Anschließend daran wird dann diskutiert, ob es sich um reine (auch in Hinblick auf ihre Ursachen isolierte) Einzelfälle handelt oder ob sich solches Missverhalten aus einer exzessiven Übersteigerung an sich unproblematischer oder sogar positiv zu bewertender fachlicher Wertvorstellungen und Ziele ergibt; d.h. ob die Akteure in den hier diskutierten Fällen im Sinne Watzlawicks (2001) zu viel des Guten wollten und, um das was sie für richtig hielten (oder immer noch halten) zu erreichen, unerlaubte Mittel eingesetzt und somit das Schlechte erreicht haben.

Fallbeispiel A: Ein rechtsmissbräuchlicher Restitutionsversuch

Anlass für diesen Beitrag ist der jüngst ergangene Beschluss des Kammergerichts Berlin (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19) betreffend ein internationales Rechtshilfeersuchen. Bezüglich dieses Rechtshilfeersuchens hat der mit drei Berufsrichtern besetzte 4. Strafsenat des KG Berlin beschlossen, dass die Leistung der mittels einer vom 2.8.2018 datierenden Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) der Staatsanwaltschaft beim ordentlichen Gericht von Rom erbetenen Rechtshilfe durch deutsche Behörden unzulässig sei (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 1). Schon das ist ungewöhnlich, denn derartige Rechtshilfeersuchen sind zwar nicht unkompliziert, aber im Prinzip Routinesachen und werden daher von den zuständigen Organen des Vollstreckungsstaates gewöhnlich auch anstandslos erledigt: Zweck davon ist es schließlich, die internationale Zusammenarbeit in Strafverfahren sowohl zu erleichtern als auch zu beschleunigen.

Noch ungewöhnlicher an dem beinahe 30 Seiten langen Beschluss ist jedoch, dass das KG Berlin die Leistung der erbetenen Rechtshilfe mit der Begründung untersagt hat, dass „berechtigte Gründe zur Annahme bestehen, dass die Erledigung des Ersuchens mit dem (europäischen) ordre public unvereinbar wäre (§ 91b Abs. 3 i.V.m. § 73 Satz 2 IRG)“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 23) und es sich bei der EEA vom 2.8.2018 „insgesamt um ein rechtsmissbräuchliches Ersuchen“ handle, „das die Gefahr von erheblichen Grundrechtsverstößen in sich birgt“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 29). Mehr noch, es erläutert in der Begründung seines Beschlusses in einigem Detail, wie es zu dieser Überzeugung gelangt ist, und dass dieses Ersuchen von den italienischen Behörden offenkundig vorsätzlich rechtsmissbräuchlich gestellt wurde, um Kulturgüter (wieder) zu erlangen, „von denen sie behaupten, dass es sich um solche handelt, die ‚im italienischen Untergrund‘ entdeckt worden seien ‚und somit Eigentum des italienischen Staates und unveräußerlich‘“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 28) wären. Das ist ein sehr schwerer Vorwurf, den das oberste Berliner und älteste deutsche Gericht gegen italienische Justizbehörden erhebt: treffen nämlich die Schlussfolgerungen des KG Berlin zu, dann erfüllt das Vorgehen der italienischen Behörden in diesem Fall potentiell den Straftatbestand Abuso d’ufficio des Art. 323 Codice penale (ital. Strafgesetzbuch), der mit ein bis vier Jahren Haftstrafe bedroht wird.

Die Vorgeschichte

Aber nun zum Fall selbst, bei dem es um drei Keramikgefäße ging: einen rotfigurigen Kolonettenkrater (ca. 360 v.Chr.), eine rotfigurige Lekane (ca. 340-330 v.Chr.), und eine ebenfalls rotfigurige henkellose Loutrophore (ca. 330-320 v.Chr.). Diese wurden von einem deutschen Auktionshaus in Berlin in einer für den 31.5.2018 angekündigten Auktion angeboten, mit der Angabe, dass sie aus einer deutschen Privatsammlung stammten.

Ein italienischer Archäologe, der sie wohl im Online-Katalog des Auktionshauses gesehen und sie „als aus Apulien stammend und italienisches Kulturgut eingeschätzt“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 2) hatte, hat das wohl dem Comando Carabinieri per la Tutela del Patrimonio Culturale (in der Folge: CC-TPC; Kommando der Carabinieri für Kulturgüterschutz) gemeldet, das sich darauf am 29.6.2018 an das Landeskriminalamt (LKA) Berlin wandte. Das CC-TPC teilte dem LKA mit, dass für die Ausfuhr dieser Gefäße aus Italien nach den dort geltenden Gesetzen von 1939, 1997 und 2004 eine Genehmigung erforderlich gewesen, aber nicht erteilt worden sei und Beweismittel vorliegen würden, die den „Umgang“ eines „illegalen Antikenhändlers aus Italien“ mit der Loutrophore belegen würden, der „vor 2003 mit dem Handel von aus Raubgrabungen stammenden Stücken apulischer Herkunft und deren illegalem Export nach Deutschland“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 2) aufgefallen sei.

Die daraufhin von der Berliner Polizei wegen Verdachts der gewerbsmäßigen Hehlerei aufgenommenen Ermittlungen ergaben, dass die betreffenden Gegenstände im Februar 2018 dem Auktionshaus von ihrer Besitzerin eingeliefert worden waren. Diese hatte sie 2003 von ihrem Mann geerbt und damit zweifelsfrei gutgläubig erworben. Ihr verstorbener Mann hatte diese seinerseits in der Galerie eines „bis heute sehr renommierten und untadeligen“ Kunsthändlers in Baden-Württemberg in den Jahren 2002 bis 2003 erworben; aufgrund noch vorliegender Rechnungen über zwei der drei Gegenstände wohl ebenfalls gutgläubig, auch wenn italienische Ausfuhrgenehmigungen für keinen davon vorlagen. Das LKA Berlin stellte zudem auch am 31.5.2018 nach freiwilliger Herausgabe durch das Berliner Auktionshaus, das sie versteigern sollte, die drei Gefäße als Beweismittel im deutschen Ermittlungsverfahren sowie „zur Schadloshaltung des geschädigten Staates Italien“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 4) sicher.

Aus weiteren zeitnah zur ersten eingegangenen Mitteilungen des CC-TPC ergab sich, dass der schon genannte „illegale Antikenhändler aus Italien“ zwischen 1988 und 1996 zahlreiche archäologische Objekte mit Echtheitsgarantie an den deutschen Kunsthändler verkauft habe, die nach Einschätzung des CC-TPC aus Raubgrabungen aus Italien stammten. Aus den beim italienischen Antikenhändler beschlagnahmten Unterlagen übersandte das CC-TPC auch eine Kopie eines aus dem Jahr 1990 stammenden Schreibens eines (2011 verstorbenen) deutschen Universitätsprofessors für Archäologie mit drei Polaroid-Fotos der Loutrophore mit handschriftlichen Anmerkungen. Zudem teilte das CC-TPC mit, dass ihm eine ebenfalls beschlagnahmte Rechnung der Firma des italienischen Antikenhändlers an den deutschen Kunsthändler bezüglich des Kolonettenkraters aus dem April 1989 vorliege.

Der Fall wurde daraufhin von Berlin an die für den Wohnort des deutschen Kunsthändlers örtlich zuständige baden-württembergische Staatsanwaltschaft übergeben. Diese stellte nach Übernahme das Verfahren gegen den Kunsthändler am 14.7.2018 wegen Verjährung der verfahrensgegenständlichen Straftat ein.

Parallel zum deutschen Ermittlungsverfahren wegen Hehlerei ordnete auch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa am 6.6.2018 die Sicherstellung der 3 Gefäße an, um eine weitere Prüfung ihrer Herkunft zu ermöglichen und informierte darüber mit Schreiben vom 11.6.2019 auch das italienische Kulturministerium. In diesem Schreiben bat sie auch um Mitteilung, ob es sich bei den 3 Gefäßen um nationales Kulturgut Italiens handle, ob diese nach dem 31.12.1992 ohne Ausfuhrgenehmigung aus Italien verbracht und nach Deutschland eingeführt wurden, sie von italienischen ExpertInnen begutachtet werden sollten und ob Italien ein Rückgabeersuchen nach § 59 KGSG stellen werde. Das italienische Kulturministerium antwortete, dass Zeitpunkt und Umstände der Raubgrabung und illegalen Verbringung nicht nachgewiesen werden könnten und – nachdem somit eine gerichtliche Durchsetzbarkeit des Rückgabeanspruchs ungewiss sei – das italienische Kulturministerium um eine Unterstützung eines freiwilligen Rückgabeersuchens bitte. Dieses gab die Senatsverwaltung mit Schreiben vom 30.8.2018 auch an die Betroffene weiter. Die von der Senatsverwaltung verfügte Sicherstellung wurde daraufhin aufgehoben, da eine Rückgabe der Gefäße gem. KGSG nicht in Betracht kam.

Zwischenresümee

An dieser Stelle – bis hier war alles vollkommen rechtmäßig – hätte der Fall eigentlich abgeschlossen sein müssen: es stand fest, dass die 3 Keramikgefäße nach deutschem Recht in das rechtmäßige Eigentum ihrer langjährigen Besitzerin übergegangen waren, denn diese hatte sie nicht nur gutgläubig erworben, sondern etwa 15 Jahre be- und somit auch – selbst wenn es sich tatsächlich um ursprünglich gestohlene Sachen gehandelt haben sollte – ersessen. Ein allfällig gestellter Rückgabeantrag nach dem KGSG durch die Republik Italien war deshalb völlig aussichtslos und wurde vom italienischen Kulturministerium auch nicht gestellt, sondern stattdessen um freiwillige Rückgabe gebeten. Allfällige Straftaten, die durch die Bergung bzw. allfällig darauffolgende Ausfuhr der Gefäße aus Italien und ihrer Einfuhr nach und Weiterverkauf in Deutschland vom genannten italienischen Antikenhändler bzw. dem deutschen Kunsthändler bzw. Dritten im Zeitraum zwischen 1989 und Juli 2003 begangen worden sein könnten, waren zudem sowohl nach deutschem als auch (aller Wahrscheinlichkeit nach) nach italienischem Recht 2018 bereits verjährt (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 25-7).

Das mag für den Kulturgüterschutz bitter sein, vor allem, wenn man annehmen will, dass es sich bei den 3 Gefäßen tatsächlich um bei – wenn auch wohl wenigstens bezüglich zweier der drei Gefäße jedenfalls vor 1990 durchgeführten – Raubgrabungen in Apulien entdeckte und auch tatsächlich illegal aus Italien nach Deutschland verbrachte Kulturgüter handelt. Das ist sogar, soweit sich das aus der Sachverhaltsdarstellung im Beschluss des KG Berlin ableiten lässt, keine allzu unwahrscheinliche Annahme; auch wenn sich nicht hinreichend beweisen lässt, dass es tatsächlich der Fall war. Schließlich wusste Italien – wenn sie tatsächlich von dort stammen – gar nichts von ihrer Ausgrabung und wenigstens lange auch nichts von ihrer Verbringung aus Italien nach Deutschland und konnte daher auch gar nicht zu früherer Zeit tätig werden, um seinen Eigentumsanspruch rechtlich durchsetzen zu können, bevor dieser durch gutgläubige Ersitzung verdrängt und allfällig davor vorgekommene Straftaten verjährt waren.

Auch mag es dem Kulturgüterschützer, vor allem dem, der Kulturgut allgemein als Staatseigentum und als nicht privateigentumsfähige res extra commercium behandelt sehen möchte, als moralisch verwerflich erscheinen, dass irgendeine deutsche Staatsbürgerin, die – wenn auch gänzlich ohne ihr Wissen und Zutun – illegal nach Deutschland verbrachtes italienisches Kulturgut gutgläubig durch Erbschaft erworben und – allen außer ihr selbst unbekanntermaßen – 15 Jahre unbestritten besessen hat, nun tatsächlich die rechtmäßige Eigentümerin dieser drei Gefäße geworden sein soll. Schließlich wurden diese Funde der Allgemeinheit gestohlen, und deren Rechte wiegen doch wohl schwerer als das einer Einzelnen, die überhaupt nur durch eine Kombination von Zufällen und der „Verheimlichung“ ihrer Privatsammlung gegenüber der „Allgemeinheit“ einen Eigentumsanspruch an diesen drei Gefäßen erwerben konnte, wie gutgläubig auch immer sie dabei gehandelt haben mag.

Aus rechtlicher Sicht ist es allerdings vollkommen egal, ob das für Kulturgüterschützer bitter ist und ob sie es für ungerecht halten: geltendes Recht ist geltendes Recht, egal ob das irgendwelchen Normunterworfenen gefällt oder nicht. Nach abschließender Klärung der Fragen, wer derzeit tatsächlich die rechtmäßige Eigentümerin dieser drei Gefäße ist und dass allfällig in Zusammenhang mit ihrer Bergung und Verbringung nach Deutschland vorgekommen sein könnende Straftaten jedenfalls sowohl in Deutschland als auch in Italien bereits längst verjährt sind, waren die rechtlichen Möglichkeiten erschöpft und der Fall somit erledigt. Vorbei. Finito.

Die EEA vom 2.8.2018

Umso überraschender ist es, dass die italienischen Behörden mit EEA vom 2.8.2018 (validiert am 3.8., ausgefertigt am 27.8. und eingegangen bei der Staatsanwaltschaft Berlin am 20.9.2018) die deutsche Justizbehörde um dringliche Ermittlungsmaßnahmen für ein angeblich in Italien anhängiges Strafverfahren gegen Unbekannt in diesem Fall ersuchten. Angeschlossen waren der EEA Ausdrucke des Online-Katalogs des Berliner Auktionshauses und eine Kopie des bereits dem LKA Berlin bekannten Schreibens des deutschen Universitätsprofessors mit drei angeschlossenen Fotos. Die in der EEA enthaltene Sachverhaltsdarstellung fasste im Wesentlichen die bereits in der Vorgeschichte erwähnten Ermittlungsergebnisse der italienischen und deutschen Behörden zusammen, ergänzt um geringfügige weitere Detailangaben wie: dass der italienische Antikenhändler häufig Polaroid-Fotos angefertigt habe, „die unmittelbar nach der illegalen Ausgrabung der Gegenstände genommen wurden“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 8); die Echtheit, besondere Bedeutung, das Alter und die Herkunft sachverständig bestätigt worden sei; und eine staatliche Exportgenehmigung seit 2011 nicht erteilt worden sei. Als im Fall anwendbare gesetzliche Bestimmungen wurden Art. 648 Codice penale (Hehlerei), Art. 174 Decreto Legislativo 22 gennaio 2004, n. 42 (Illegales Verlassen oder Export) und Art. 81 Codice penale (Tateinheit. Fortgesetzte Handlung) angegeben. Im Formular war des weiteren angekreuzt, dass die Gegenstände, auf die sich die angeordneten Maßnahmen beziehen würden, dem Anordnungsstaat (d.h. Italien) übermittelt werden sollten.

In der EEA begehrten die italienischen Behörden nicht nur die Einvernahme des gesetzlichen Vertreters und von MitarbeiterInnen des Berliner Auktionshauses als „Zeuge/Dritter“ und die Sicherstellung der drei Gefäße als Vermögensgegenstände bzw. Beweismittel, sondern erbaten gleichzeitig auch eine ganze Reihe weiterer Hilfestellungen. An erster Stelle wurde bemerkenswerterweise darum ersucht, dass die „Vermögenswerte“ (die drei Gefäße) zur Beschlagnahmung für die Rückerstattung an die zuständige Oberaufsicht (Sopraintendenza) nach Italien zurück überführt werden, die diese einem geeigneten Museum zuweisen und damit deren öffentliche Nutznießung gewährleisten werde. Darüber hinaus wurde erbeten, diverse Zeugen einzuvernehmen; Dokumente zur rückwärtsgerichteten Rekonstruktion der Kette von Besitzübertragungen dieser Vermögenswerte und Identifikation der daran beteiligten Personen zu erwerben; Hausdurchsuchungen bei Personen durchzuführen, die dem Berliner Auktionshaus Vermögenswerte übergeben hätten, um weitere illegal ins Ausland verbrachte Vermögenswerte der Republik Italiens aufzufinden, samt allfällig zugehörigen Beweismitteln zu beschlagnahmen und der italienischen Staatsanwaltschaft weiterzuleiten und wenn sinnvoll die gleichen Maßnahmen auf weitere Verdachtspersonen zu erweitern; sowie Polizeibeamten des CC-TPC, gegebenenfalls unterstützt von Experten des Ministeriums für Kulturgüter, die Teilnahme an den angeordneten Maßnahmen zu erlauben.

Schon die Staatsanwaltschaft (STA) Berlin teilte der italienischen Ausstellungsbehörde am 29.10.2018 mit, dass die Rückführung der Gegenstände nach Italien im Rahmen der Strafrechtshilfe nicht erfolgen könne, sondern nur eine Beschlagnahme in Deutschland zu Beweiszwecken in Frage käme. Diesbezüglich ersuchte die STA Berlin um Mitteilung, wann die verfahrensgegenständlichen Straftaten nach italienischem Recht verjähren würden; bat um Übermittlung eines Fragenkatalogs für die angeordneten Zeugenbefragungen und ersuchte um Klarstellung bezüglich eines unklar formulierten Ansuchens. Die erbetenen Durchsuchungen beim Berliner Auktionshaus und allfälligen weiteren Personen wurde hingegen in Ermangelung eines konkreten Anfangsverdachts abgelehnt. In einem Anmahnungsschreiben vom 1.3.2019 bat die STA Berlin ergänzend um Mitteilung, ob ein italienischer Beschlagnahmebeschluss bezüglich der Gefäße vorliege, und gegebenenfalls dessen Übermittlung in Abschrift und setzte die Ausstellungsbehörde gleichzeitig in Kenntnis, dass das AG Tiergarten mit Beschluss vom 27.2.2019 die Anschlussbeschlagnahme der drei Gegenstände auf Grundlage der italienischen EEA angeordnet habe. Beide Schreiben der STA Berlin blieben jedoch gänzlich unbeantwortet (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 5-11).

Gegen die Anschlussbeschlagnahme durch Beschluss des AG Tiergarten (27.2.2019, 348 Gs 562/19) erhob nun schließlich die rechtmäßige deutsche Eigentümerin der drei Gefäße mit 6.3.2019 Beschwerde beim Landgericht Berlin (zu 511 Qs 63/19) mit dem hauptsächlichen Argument, dass die EEA insgesamt rechtsmissbräuchlich erlassen worden sei. Dieses legte in weiterer Folge über die STA und Generalstaatsanwaltschaft (GSTA) Berlin, denen der Fall allen nicht ordnungsgemäß erschien, dem KG Berlin vor, das schließlich wie schon oben erwähnt entschied, dass die Leistung der mit EEA erbetenen Rechtshilfe nicht zulässig und die EEA insgesamt mutwillig rechtsmissbräuchlich gestellt worden sei. Schon die GSTA schloss sich in ihrem Antrag an das KG Berlin dem Argument der rechtlichen Vertretung der Eigentümerin an, dass die EEA als insgesamt rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren sei; nicht zuletzt, weil erhebliche Zweifel daran bestehen würden, dass die italienischen Behörden eine Beweismittelsicherstellung und nicht eine Rückführung der drei Gefäße nach Italien auf anderem als dem (keinen Erfolg versprechenden) durch das KGSG gesetzlich vorgesehen Weg anstreben würden (von dem die Republik Italien daher auch bereits abgesehen habe).

Die Begründung des Beschlusses des KG Berlin

Das KG Berlin (7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 22-30) begründete seinen Beschluss in einigem Detail, wohl nicht zuletzt auch deshalb, weil er einigermaßen brisant ist.

Es stellte zuerst fest, dass der sonstige (strafrechtliche) Rechtshilfeverkehr trotz der Bestimmungen des KGSG und KultGüRückG betreffend der Kulturgüterrückführung auch im Bereich des Kulturgüterschutzes keineswegs ausgeschlossen sei. Denn selbstverständlich würden auch Kulturgüter „als Beweismittel für ein in dem Mitgliedsstaat, aus dem sie unrechtmäßig verbracht worden sind, geführtes Strafverfahren oder als Einziehungsgegenstand in diesem Kontext in Betracht kommen“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 23). Daher könne auch in einem Fall wie dem gegenständlichen ein Rechtshilfeersuchen z.B. in Form einer EEA gestellt und grundsätzlich gewährt werden.

Es setzte jedoch fort, dass die Leistung der mittels EEA vom 2.8.2018 begehrten Rechtshilfe sowohl bezüglich der Sicherstellung der drei Gefäße als Beweismittel als auch der Vernehmung der Mitarbeiter des Berliner Auktionshauses (alle anderen Ersuchen des Anordnungsstaates hatte schon die STA Berlin als unzulässig abgelehnt) nicht zulässig sei, „weil berechtigte Gründe zur Annahme bestehen, dass die Erledigung des Ersuchens mit dem (europäischen) ordre public unvereinbar wäre (§ 91b Abs. 3 i.V.m. § 73 Satz 2 IRG)“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 23). Sowohl aus der EEA selbst, dem weiteren Verhalten der italienischen Behörden im Rechtshilfeverfahren als auch aus den Erklärungen Italiens gegenüber der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa durch das italienische Kulturministerium würden sich konkrete und tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Rechtshilfeersuchen mit schwerwiegenden Fehlern behaftet sei und sich demnach als „offenkundig rechtsmissbräuchlich“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 24) erweise: „Das auf dem hierfür vom Recht der Bundesrepublik Deutschland (in Umsetzung europarechtlicher Richtlinien) vorgesehenen Weg aus tatsächlichen Gründen nicht zu realisierende Rückgabebegehren der Republik Italien auf die in der EEA bezeichneten drei antiken Gefäße (wahrscheinlich) apulischer Herkunft soll ersichtlich auf der Basis der europarechtlichen Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung durch Erlass einer EAA, deren Voraussetzungen nicht gegeben sind, erzwungen werden“ (ibid.).

Als für diese Schlussfolgerung sprechende Gründe führt das KG Berlin an:

  1. Die EEA vom 2.8.2018 sei erst erlassen worden, nachdem das italienische Kulturministerium von der Stellung eines – auch nach italienischer Ansicht keine Erfolgsaussichten versprechenden – Rückgabeersuchens nach § 59 KGSG abgesehen und stattdessen die Senatsverwaltung um Unterstützung eines freiwilligen Rückgabeersuchens an die Eigentümerin ersucht hatte. Ausschlaggebend dafür war die hinsichtlich der Lekane gegebene (schlichte) Nichterweislichkeit der nach dem 31.12.1992 erfolgten und der (hinsichtlich der Loutrophore) nachweislich bzw. (hinsichtlich des Kolonettenkraters) wenigstens höchstwahrscheinlich vor diesem Zeitpunkt erfolgten Verbringung der Gefäße aus Italien.
  1. Die europarechtlichen Voraussetzungen für den Erlass der EEA lagen offensichtlich nicht vor, denn die dem Rechtshilfeersuchen zugrundeliegenden Straftaten seien mit hoher Wahrscheinlichkeit in Italien nicht mehr verfolgbar und die EEA könne folglich nicht für ein konkretes Strafverfahren erlassen worden sein. Es habe schon die Ausstellungsbehörde selbst keine bestimmten Handlungen mitgeteilt, die die genannten Tatbestände der Art. 648 Codice penale und/oder Art. 174 Decreto Legislativo 22 gennaio 2004, n. 42 erfüllen und den unbekannten Beschuldigten zur Last gelegt werden würden. Ebenso würden Angaben zum Tatzeitpunkt bzw. Tatzeitraum fehlen.Zudem sei den italienischen Behörden bekannt gewesen, dass sich der Kolonettenkrater bereits seit 1989 und die Loutrophore sicherlich seit spätestens 1990 nicht mehr auf italienischem Hoheitsgebiet befunden hat. Alle drei Gefäße hätten sich außerdem nachweislich seit spätestens der ersten Hälfte des Jahres 2003 ununterbrochen in der deutschen Privatsammlung befunden, deren Eigentümerin sie im Februar 2018 dem Berliner Auktionshaus übergeben hatte. Damit könnten alle die in der EEA genannten Tatbestände (in Tateinheit) erfüllenden Handlungen jedenfalls nur vor dem 9.7.2003 begangen worden sein.Beiseitelassend, dass somit keinesfalls gegen ein erst am 22.1.2004 erlassenes Gesetz verstoßen worden sein konnte, bestünden auch massive Zweifel, dass aufgrund der generellen Verjährungsfristregelung für Straftaten im italienischen Recht die genannten Delikte in Italien überhaupt noch strafrechtlich verfolgt werden können. Darauf weise zudem auch der Umstand hin, dass die italienischen Behörden trotz entsprechender Nachfrage (samt späterer Anmahnung der ausständigen Antwort) der STA Berlin nicht mitgeteilt haben, wann die genannten Straftaten nach italienischem Recht verjähren.

    Zudem bestünden auch Zweifel, dass sich das angeblich dem Erlass der EEA zugrundeliegende Strafverfahren gegen „Unbekannt“ richten könne. Denn sowohl laut der EEA selbst als auch den vom CC-TPC dem LKA übermittelten Informationen hatten die italienischen Behörden „deutliche Anhaltspunkte (wenn nicht sogar Beweise) dafür“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 27), dass sowohl die Loutrophore als auch der Kolonettenkrater durch den von ihnen selbst namentlich bezeichneten italienischen Antikenhändler außer Landes verbracht worden wären. Die Angabe in der EEA, dass sich das Verfahren (insgesamt) gegen „Unbekannt“ richte, erscheine daher „bewusst irreführend“ (ibid.).

  1. Es gehe „den italienischen Behörden auch offenkundig nicht um die Gewinnung von Beweismitteln für ein Strafverfahren, sondern um die (Rück-)Erlangung von Kulturgütern, von denen sie behaupten, dass es sich um solche handelt, die ‚im italienischen Untergrund entdeckt worden seien ‚und somit Eigentum des italienischen Staates und unveräußerlich‘.“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 28).Weder sei von den italienischen Behörden mitgeteilt worden noch sonstwie ersichtlich, dass es erforderlich wäre, die drei Gefäße im gerichtlichen Verfahren zu Beweiszwecken zu verwenden. Italienische Sachverständige wären imstande gewesen, anhand der vorliegenden Fotografien die Herkunft der drei Gefäße aus Apulien und ihre Entstehungszeit festzustellen, die Begutachtung der Gefäße selbst daher nicht erforderlich. Diese könnten auch weder Auskunft über Zeitpunkt und Ort ihrer Ausgrabung geben, noch darüber, wann und wie sie aus Italien ins Ausland verbracht wurden und auch für den Straftatbestand der Hehlerei keinen Beweis erbringen. Folgerichtig seien sie auch trotz erfolgter Beschlagnahme und diesbezüglicher Mitteilung an die italienischen Behörden durch die STA Berlin nicht in Deutschland durch italienische Sachverständige besichtigt oder begutachtet worden.Vielmehr könne dem Text der EEA das wirkliche Ziel des Ersuchens zweifelsfrei entnommen werden: die (Rück-?)Erlangung der Gefäße, damit sie „der ‚zuständigen Oberaufsicht‘ übergeben, von dieser ‚einem geeigneten Museum‘ zugewiesen und durch Ausstellung dort“ der öffentlichen Nutznießung zugänglich gemacht werden können (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 29). Es ginge also nicht um ihre Verwendung als Beweismittel in einem Strafverfahren.

    Dieses Ziel werde auch durch die sonstigen von der Ausstellungsbehörde begehrten Maßnahmen illustriert, die durch Vernehmung von Mitarbeitern des Berliner Auktionshauses und Durchsuchungen beim Einlieferer der Gegenstände weitere Artefakte apulischer (bzw. sonstiger italienischer) Herkunft oder Dokumente, aus denen sich weitere Besitzer derartiger Gegenstände ergeben könnten, aufzufinden. Letztendlich ginge es also den italienischen Behörden um die Herausgabe möglichst vieler in Deutschland befindlicher Kulturgüter, die im italienischen Untergrund entdeckt worden seien.

  1. Schließlich deute auch der Umstand, dass die italienischen Behörden die von der STA Berlin (zwei Mal) erbetenen ergänzenden Erklärungen nicht abgegeben hätten, „dass mit dem Erlass der EEA sachfremde Zwecke verfolgt und das auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung beruhende Instrument der Rechtshilfe in Strafsachen hierfür missbraucht werden sollte“ (ibid.).

Damit kam das KG Berlin zum Schluss, dass es sich bei der EEA vom 2.8.2018 um ein insgesamt rechtsmissbräuchliches Ersuchen gehandelt habe. Es bestünden „berechtigte Gründe für die Annahme, dass bei Erledigung des Ersuchens das grundrechtlich geschützte, (spätestens) durch Ersitzung erlangte (Mit-)Eigentum der Betroffenen – sowohl durch die (vorläufige) Beschlagnahme als auch durch die Herausgabe der drei antiken Artefakte an Italien – beeinträchtigt werden würde (was die Herausgabe der Gegenstände an den italienischen Staat nach § 66 Abs. 2 Nr. 3 IRG jedenfalls unzulässig macht). Die Vernehmung von Verantwortlichen des Auktionshauses [Name] erscheint unverhältnismäßig, wenn sie nicht für ein konkretes Strafverfahren erfolgen soll, zumal der mit der Einbringung der verfahrensgegenständlichen Gefäße befasste Mitarbeiter des Auktionshauses bereits im (deutschen) Ermittlungsverfahren wegen Hehlerei befragt worden ist.“ (KG Berlin 7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 29-30).

Resümee

Die Schlussfolgerungen des KG Berlin (7.2.2020, 4 Ws 1-3/20 – 151 AR 58/19, 22-30) sind sowohl gut begründet als auch überzeugend: das Vorgehen der italienischen Behörden kann nicht mehr als bloße unglückliche Verkettung unabsichtlicher Fehler erklärt werden.

Vielmehr kann man bei vernünftiger Betrachtung des Falls nur zum Schluss gelangen, dass Organe der Republik Italien, nachdem sie erkannt hatten, dass eine Rückführung der drei Gefäße auf dem dafür vorgesehenen gesetzlichen Weg nicht zum erwünschten Erfolg führen konnte, absichtlich und wissentlich ein internationales Rechtshilfeinstrument zweckwidrig dafür missbraucht haben, diesen Erfolg doch noch – wenn auch auf grob rechtswidrigem Weg – zu erreichen. Dabei haben sie bewusst versucht, die zuständigen deutschen Behörden durch Vortäuschung falscher Tatsachen und – trotz Nachfrage – Vorenthaltung relevanter Informationen dazu zu verleiten, weitestgehend undifferenziert die deutsche Staatsgewalt gegen zahlreiche – wenigstens in diesem Fall jedenfalls nachweislich vollkommen unschuldige – EinwohnerInnen der Bundesrepublik Deutschland einzusetzen. Diese wiederum wären bzw. sind durch diesen Einsatz der deutschen Staatsgewalt – wenigstens teilweise – in ihren (abgesehen vom deutschen Grundgesetz [GG]) sowohl durch die Charta der Grundrechte der europäischen Union gewährleisteten Grund- als auch durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten Menschenrechten verletzt worden, zu deren Achtung sich auch die Republik Italien (und damit mittelbar auch alle in ihrem Namen handelnden Organe) verpflichtet hat.

Oder, um es etwas schärfer zu formulieren: man kann nur zum Schluss gelangen, dass Organe italienischer (Kulturgüterschutz-) Behörden durch vorsätzlich missbräuchliche Verwendung eines der Bekämpfung grenzüberschreitender Straftaten dienenden internationalen Rechtshilfeinstruments und bewusste Täuschung der zu deren Ausübung befugten deutschen Behörden die deutsche Staatsgewalt dazu einsetzen wollten, eine unschuldige deutsche Staatsbürgerin ihres rechtmäßigen Eigentums zu berauben und andere grundlos wenigstens unverhältnismäßig zu beschweren. Bei allem Verständnis für den in diesem Fall vermutlich bestehenden moralischen Anspruch der Republik Italiens auf Rückführung von bedeutendem nationalem Kulturgut: das geht nicht nur ein klein wenig zu weit, sondern ist wenigstens ebenso rechtswidrig wie und noch viel unmoralischer als die wahrscheinlich (wann auch immer sie erfolgt ist) tatsächlich illegale Ausgrabung in und Verbringung der fallgegenständlichen Gefäße aus Italien. Wenn Staatsorgane, deren Aufgabe es eigentlich ist, geltendes Recht durchzusetzen, internationale Rechtshilfeinstrumente dazu missbrauchen, um Unrecht zu tun, dann bringen diese die Rechtsstaatlichkeit an sich in Gefahr; ein Kulturgut, dass zweifelsohne um ein großes Vielfaches bedeutender ist als irgendwelche antiken apulischen Keramiken.

Besonders bemerkenswert bei diesem Fall ist auch, dass das gesamte Prozedere vollkommen unnötig Massen an öffentlichen Ressourcen verschwendet hat: alleine die Arbeitszeit von hochbezahlten JuristInnen, die dadurch unnötig verbraucht wurde, muss mehr wert sein als die drei Gefäße selbst. Hätte also die Republik Italien, nachdem sich herausgestellt hatte, dass eine Rückforderung gem. KGSG aussichtslos und eine freiwillige entschädigungslose Rückgabe nicht zu erreichen war, der – schließlich erkenntlich an ihrem Verkauf interessierten – rechtmäßigen deutschen Eigentümerin ein faires Kaufangebot gemacht bzw. ihr eine faire Entschädigung angeboten, stünden die drei Gefäße wohl seit Mitte 2018 bereits in einem apulischen Museum. Selbst die Ersteigerung der Gefäße durch Italien in der ursprünglich für den 31.5.2018 vorgesehenen Auktion hätte vermutlich deutlich weniger gekostet als das, was ein paar übereifrige italienische Organe an – zugegebenermaßen hauptsächlich deutschen – Steuermitteln aus dem Fenster geworfen haben.

Das rechtsmissbräuchliche Vorgehen italienischer Behörden in diesem Fall war damit letztendlich ausschließlich kontraproduktiv. Nicht nur sind die drei Gefäße immer noch nicht zurück in Apulien, sie werden dorthin wohl auch nicht mehr zurückkommen; es sei denn Italien bezahlt ihrer deutschen Eigentümerin einen deutlich überhöhten Preis, der sie auch für die Beschwerungen kompensiert, die ihr der Versuch übereifriger Staatsorgane, sie ihres Eigentums zu berauben, beschert hat. Und die Stücke sind nun auch effektiv wirtschaftlich (wenn auch vielleicht nicht moralisch) reingewaschen: sie sind nun zweifelsfrei rechtmäßiges Eigentum einer deutschen Privatperson mit gesicherter Provenienz und damit sicher vollkommen legal verhandelbare Antiken.

Noch problematischer ist allerdings, und noch viel schädlicher für den Kulturgüterschutz, dass die Verantwortlichen für diesen Missbrauch enorm viel soziales, diplomatisches und rechtliches Kapital verspielt haben. Denn solches Fehlverhalten spielt direkt dem illegalen Kunst- und Antikenmarkt in die Hände: es erweckt nämlich wenigstens nach außen hin den Eindruck, als ob hier Staatsorgane nicht Recht und Ordnung aufrechterhalten, sondern die ihnen anvertraute Staatsgewalt mutwillig zur Verfolgung unbescholtener AntikenhändlerInnen und Beraubung unschuldiger PrivatsammlerInnen missbrauchen würden. Und es schädigt auch massiv die internationale Reputation des italienischen Kulturgüterschutzes und der Republik Italien: die deutschen, und nicht nur die deutschen, Polizei- und Justizbehörden werden gut beraten sein, in Hinkunft italienische Rechtshilfeersuchen im Bereich des Kulturgüterschutzes besonders genau zu prüfen, ehe sie ihnen nachkommen; und werden das wohl auch tun und generell weniger großzügig bei der Gewährung von Rechtshilfeersuchen sein. Und auch ArchäologInnen und archäologische Denkmalschützer müssen sich überlegen, ob Behauptungen italienischer Kulturgüterschutzbehörden in Hinkunft dasselbe Vertrauen entgegengebracht werden sollte wie bisher, oder ob deren genauere Prüfung angebracht ist; auch und insbesondere die von Behauptungen bezüglich vergangener „Erfolge“ in der Bekämpfung von Kulturgüterverbrechen.

 

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