Kulturgüterschutz und Rechtsmissbrauch Teil 3

Rechtsmissbrauch gibt es leider auch im Bereich des Kuturgüterschutz – von seiten der staatlichen Behörden. Bild von succo auf Pixabay.
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In diesem Beitrag werden einige Gerichtsurteile im Bereich des Kulturgüterschutzes, insbesondere betreffend den Handel mit archäologischen Kulturgütern genauer betrachtet und analysiert. Diese Urteile gleichen sich insofern, als staatliche Kulturgüterschützer sich in diesen Fällen mehr oder minder grob rechtswidrig verhielten und dadurch den von diesem Verhalten Betroffenen – ob nun unabsichtlich oder absichtlich – Schaden zu verursachen versucht haben. Dafür haben sie Befugnisse, die ihnen aus ihrer Funktion oder Stellung als Organ einer staatlichen Behörde, eines Museums etc. erwachsen sind, absichtlich rechtsmissbräuchlich verwendet, um archäologische Kulturgüter in ihren Besitz zu bringen bzw. in diesem zu behalten, obwohl die Tatsache, wer deren rechtmäßige EigentümerInnen waren, zum jeweils relevanten Zeitpunkt nicht (mehr) umstritten, sondern bereits (durch ordentliche Gerichte oder auf anderem geeignetem Wege) mit Sicherheit festgestellt worden war.

Nähere einleitende Gedanken und einen juristischen „Disclaimer“ finden Sie im ersten Teil dieser Artikelreihe.

Hier hatten wir bereits ein Beispiel vorgestellt.

Fallbeispiel C: „Jäger des geraubten Schatzes?“

Nachdem wir schon im Mittelrheingebiet und bei der scheinbar nicht ganz uninteressanten grenzüberschreitenden Kollaboration zwischen Kulturgüterschutzeinrichtungen in Hessen und Rheinland-Pfalz sind, lohnt es sich auch noch, einen Blick auf einen weiteren Fall zu werfen, der in diesem Umfeld die Gerichte beschäftigt hat. Dieser Fall hat eine ganze Flut von Gerichtsurteilen bis zum BGH nach sich gezogen (z.B. LG Frankfurt/Main 4.12.2009, 5 K 4154/09.F; LG Frankfurt/Main 18.8.2011, 2-13 O 212/10; OLG Frankfurt/Main 4.2.2013, 16 U 161/11; BGH 23.10.2013, V ZR 60/13), von denen an dieser Stelle nur ein einziges, VG Frankfurt/Main 2.6.2010, 5 K 1082/10.F,[10] genauer betrachtet werden soll.

Die Vorgeschichte und sonstigen Umstände des Falles

In diesem Fall geht es um drei 2008 von der hessischen Polizei beschlagnahmte antike Schalen und zwei byzantinische Räucherkesselchen, die ihr Eigentümer, der Inhaber eines Antiken-Kabinetts in Hessen, seinen eigenen (durch Zeugenaussagen der Verkäufer bestätigten) Angabe im auslösenden Strafverfahren wegen Verdachts auf Hehlerei zufolge um € 200 auf einer Antiquitätenmesse in München erworben hatte. Die ebenfalls befragten Verkäufer gaben an, die Gegenstände 1980 als Gratis-Zugabe zu einem in der Türkei von einem armenischen Teppichhändler erworbenen Teppich bei der Übersendung des letzteren nach Deutschland erworben zu haben. Sowohl der diese vernommen habende Polizist als auch alle Gerichte hatten in der Folge keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angaben der Verkäufer als auch des hessischen Antikenhändlers. Das LG Frankfurt/Main hob daraufhin mit Beschluss vom 4.12.2009 (5 K 4154/09.F) die Beschlagnahme der Gegenstände auf und stellte fest, dass wegen des feststehenden gutgläubigen Erwerbs durch den Antikenhändler kein Tatverdacht der Hehlerei bestehe. Man sollte meinen, dass der Fall damit zu Ende gewesen wäre, aber das Gegenteil ist der Fall: damit hat er eigentlich erst begonnen.

Mit Verfügung vom 16.12.2009 stellte nämlich daraufhin das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst die genannten Gegenstände sicher. Warum das geschah und das darauffolgende Urteil des VG Frankfurt/Main vom 2.6.2010 (5 K 1082/10.F) wird weiter unten noch genauer eingegangen. Es genügt hier zu sagen, dass der Sicherstellungsbescheid von Hessischen Ministerium nach dementsprechender gerichtlicher Aufforderung mit 19.4.2010 aufgehoben wurde und die Gegenstände nach dem Urteil vom 2.6.2010 ihrem Eigentümer wieder ausgefolgt wurden.

In weiterer Folge klagte allerdings die Republik Türkei, die auf diesen Fall durch einen Mitarbeiter des RGZM aufmerksam gemacht worden war, auf den noch genauer einzugehen sein wird, durch den gesamten Instanzenzug, um diese 5 Gegenstände ihrem Staatseigentum einzuverleiben (siehe dazu, allesamt im Original lesenswert, LG Frankfurt/Main 18.8.2011, 2-13 O 212/10; OLG Frankfurt/Main 4.2.2013, 16 % 161/11; BGH 23.10.2013, V ZR 60/13). Bezüglich dieses Verfahrens genügt es hier, festzustellen, dass diese Schritte aufgrund des bereits in LG Frankfurt/Main 4.12.2009, 5 K 4154/09.F rechtskräftig festgestellten, gutgläubigen Eigentumserwerbs des Antikenhändlers ohne überwältigende neue Beweise – welche die Türkei nicht einmal ansatzweise zu erbringen versuchte – vollkommen aussichtslos waren und auch entsprechend eindeutig verloren wurden. Wesentlich ist eigentlich nur die – nicht im mindesten überraschende und daher auch höherinstanzlich voll bestätigte, aber in diesem Artikel später noch relevant werdende – Feststellung, dass auch bei der Frage des Eigentumserwerbs bei grenzüberschreitendem Bezug von Kulturgütern der Grundsatz der lex rei sitae gelte, d.h. die Rechtsvorschriften des Staates anzuwenden seien, in dem sich die Sache zu diesem Zeitpunkt befand (LG Frankfurt/Main 18.8.2011, 2-13 O 212/10, 5).

In der Nähe geistiger Verwirrtheit

Trotzdem ich hier das Urteil des VG Frankfurt/Main vom 2.6.2010 (5 K 1082/10.F) genauer besprechen werde, empfehle ich dringend dessen vollständige Lektüre. Ich habe bislang kein anderes Gerichtsurteil gesehen, das so deutlich zeigt, wie schockiert das entscheidende Gericht war, und das so deutliche Worte für das Vorgehen mancher Kulturgüterschützer findet.

Wie schon erwähnt, verfügte das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst am 16.12.2009 die neuerliche Sicherstellung der soeben erst durch Beschluss des LG Frankfurt/Main vom 4.12.2009 (5 K 4154/09.F), der ihren rechtmäßigen Eigentümer festgestellt und diesen – den Antikenhändler – vom Tatverdacht der Hehlerei befreit hatte, auch von der polizeilichen Beschlagnahmung freigegebenen Gegenstände; und zwar mit der Begründung, „das Eigentum an den Gegenständen solle dem noch zu ermittelnden Eigentümer nicht weiterentfremdet werden; schließlich bestehe der Verdacht der Hehlerei“ (VG Frankfurt/Main 2.6.2010, 5 K 1082/10.F, Rn 5). Eine dagegen gerichtete Klage des Antikenhändlers endete „auf Anregung des Gerichts mit der Zusage der Behörde, die genannte Verfügung vom 16.12.2009 aufzuheben und die sichergestellten Gegenstände an den Kläger herauszugeben“ (ibid.).

Das Hessische Ministerium kam der damit eingegangenen Verpflichtung mit Bescheid vom 19.4.2010 nach und wies gleichzeitig das RGZM an, bei dem das Land Hessen (warum eigentlich?) die Gegenstände eingelagert hatte, diese an den Antikenhändler herauszugeben. Die Herausgabe scheiterte jedoch daran, dass ein Mitarbeiter des RGZM sich trotz wiederholter Aufforderungen, anwaltlicher Schreiben und sogar persönlicher Vorsprache eines Beauftragten des Eigentümers schlicht weigerte, diese Gegenstände herauszugeben. Auch das hessische Ministerium scheiterte mit seinen eigenen Bemühungen, das RGZM zur Herausgabe der Gegenstände zu bewegen. Der Antikenhändler erhob daraufhin am 30.4.2010 Klage gegen das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst auf Herausgabe der Gegenstände (ibid., Rn 6-10).

Beachtenswerterweise beantragte das beklagte Hessische Ministerium die Klage abzuweisen und begründete das damit, dass es nicht verpflichtet sei, dem Antikenhändler die Gegenstände zu überbringen sondern es sich um eine Holschuld handle, die Gegenstände seien beim RGZM abzuholen. Außerdem habe Hessen keine Möglichkeit, auf das RGZM als Gewahrsamsinhaber einzuwirken (ibid., Rn 11-13).

Es kann nicht überraschen, dass das Gericht die Klage des Antikenhändlers als statthaft und in der Sache begründet betrachtet und sowohl dem Land Hessen als auch dem RGZM – um es sehr euphemistisch zu formulieren – sehr ernsthaft ins Gewissen geredet hat. Begründet hat es seinen Spruch gegen das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das RGZM und insbesondere den die Herausgabe verweigert habenden Mitarbeiter des RGZM im Wesentlichen wie folgt:

Eine sichergestellte Sache sei jedenfalls mit Wegfall der Voraussetzungen für die Sicherstellung an ihren letzten Gewahrsamsinhaber zurückzuerstatten, weshalb ohne jeden Zweifel das Ministerium zur Herausgabe verpflichtet sei. Der Antikenhändler sei zudem – wie schon gerichtlich festgestellt gewesen sei, ehe die Sicherstellung überhaupt erfolgt sei – eindeutig der rechtmäßige Eigentümer der Gegenstände. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus einem eingeleiteten und durch die Behörde selbst wieder aufgehobenen Verfahren nach dem KultGüRückG, wobei die Voraussetzungen für eine Rückgabe nach diesem Gesetz offensichtlich nicht vorliegen würden, weil die Türkei sich weder in der Lage gesehen habe einen entsprechenden Antrag nachvollziehbar zu begründen und noch nicht einmal „die vorliegend umstrittenen Antiken der Sache nach zutreffend zu bezeichnen“ (VG Frankfurt/Main 2.6.2010, 5 K 1082/10.F, Rn 19). Ein in der mündlichen Verhandlung vorgelegtes Schreiben der Türkei sei eine schlichte Bitte ohne Rechtsqualität und auch die Begutachtung durch das LKA Brandenburg habe nichts rechtlich Relevantes erbracht.

Das Land Hessen sei auch verpflichtet, die Gegenstände dem Kläger zu bringen und ihn nicht bloß zur Abholung ans RGZM zu verweisen; schon allein deshalb, weil sich Hessen in der mündlichen Verhandlung vom 19.4.2010 durch entsprechende Zusicherung zur Herausgabe der Gegenstände an den Antikenhändler verpflichtet hatte; einmal völlig abgesehen davon, dass der Kläger die Abholung seines Eigentums beim RGZM bereits erfolglos versucht hatte. Das sei umso mehr der Fall, als „die Sicherheitsverfügung vom 16.12.2008 grob und evident rechtswidrig“ gewesen sei, weil „auch nur entfernte Ansatzpunkte für eine Hehlerei […] bereits mit der Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 04.12.2009 ausgeräumt“ waren (ibid., Rn 19).

„Es ist für das Gericht beim besten Willen nicht nachvollziehbar, warum das Ministerium für Wissenschaft und Kunst nach dieser Kollegialentscheidung eines Landgerichts den Vorwurf der Hehlerei erneut aufgegriffen hat. Ebenso wenig nachvollziehbar war das weitere Begründungselement der Verfügung, die Entfremdung des Eigentums vom bisherigen Eigentümer. Denn Eigentümer ist allein der Kläger. Nachdem die Behörde diese eklatant rechtswidrige Sicherstellungsverfügung auf Anregung des erkennenden Gerichts im Verfahren 5 K 4154/09.F (1) aufgehoben hat, ist sie jedenfalls auch im Wege der Folgenbeseitigung verpflichtet, dem Kläger die sichergestellten Sachen wieder zu übergeben.“ (ibid., Rn 19).

Auch bestreite Hessen die Rückgabeverpflichtung gar nicht ernsthaft, habe auch das RGZM tatsächlich zur Rückgabe aufgefordert und müsse im Zweifel die betreffende Sachen vom RGZM wiederbesorgen.

„Es kann nicht sein und liegt in der Nähe eines Skandals, wenn das Land Hessen durch seine Behörden Gegenstände sicherstellt und diese Gegenstände dann an beliebige Dritte weiter gibt ohne hinreichende Vorkehrungen und Sicherungen zu treffen, damit diese Gegenstände auch wieder nach Aufhebung der Sicherstellung herausgegeben werden können. Vorliegend kommt noch hinzu, dass bereits die Sicherstellungsverfügung evident rechtswidrig war und sich dem Kläger, dem allein rechtmäßigen Eigentümer, mit einer gewissen Berechtigung allmählich der Eindruck aufdrängen muss, dass sein Eigentum und sein Herausgabeanspruch durch die Behörde hintertrieben wird. Bereits vor der Sicherstellung wurden die Antiken wiederholt beschlagnahmt. Unmittelbar nach Verkündung des vorliegenden Urteils hat ein Vertreter des Polizeipräsidiums Mainz beim erkennenden Gericht angerufen und mitgeteilt, dass eine Sicherstellung nach Herausgabe der Gegenstände durch das RGZM in Erwägung gezogen würde.“ (ibid., Rn 21, Hervorhebung in Fettdruck: RK).

Hessen müsse jedenfalls alle Möglichkeiten nutzen um dem Kläger sein Eigentum wieder zu verschaffen, nachdem es sie rechtswidrig sichergestellt und an einen unberechtigten Dritten herausgegeben habe. Notfalls müsse Land Hessen das RGZM verklagen oder auf höherer politischer Ebene auf das Land Rheinland-Pfalz einwirken, damit das dortige Ministerium für Wissenschaft seine Aufsicht über das RGZM wahrnehme und es zur Herausgabe der Gegenstände bewege.

„Bei den Hessischen Behörden stellt sich die Frage der beamten- und disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit der handelnden Beamten, wenn sie sichergestellte Gegenstände, die sich in ihrer Verwahrung und Obhut befinden, einfach an Dritte weitergeben. Darüber hinaus steht die Frage der Amtshaftung im Raum, wenn sich das Land Hessen außer Stande sieht, dem Kläger sein Eigentum zurückzugeben, das es grob rechtswidrig sichergestellt und ebenso rechtswidrig an einen Dritten weitergegeben hat.“ (ibid., Rn 22).

Das Gericht hatte sich zu diesem Punkt wohl bereits tatsächlich in Rage geschrieben und nahm daher auch im letzten Absatz seines Urteils kein Blatt mehr vor den Mund, was das Verhalten des RGZM und seines renitenten Mitarbeiters betrifft:

„Das RGZM selber ist zur Herausgabe der Gegenstände an das Land Hessen bzw. den Kläger verpflichtet, hat es diese Gegenstände doch lediglich im Wege der Verwahrung überlassen bekommen. Da das Land Hessen diese Verwahrung nunmehr beendet und das RGZM angewiesen hat, die Sachen wieder herauszugeben, hat das RGZM keinen irgendwie gearteten Rechtsgrund, die Sachen weiter zu behalten. Im Übrigen erfolgt die Herausgabe mit dem Kläger an den allein berechtigten Eigentümer. Das an das RGZM gerichtete Schreiben der Türkei besitzt keinerlei Rechtsqualität. Soweit der Mitarbeiter des RGZM […] die Herausgabe bislang verweigert hat, sollte sich innerhalb des RGZM die Frage nach der beamten- oder arbeitsrechtlichen Haftung dieses Mitarbeiters stellen. Das Schreiben dieses Mitarbeiters vom 10.05.2010 (Bl. 26 – 28 5 L 1081/10.F. (1)) ist dermaßen unverständlich, dass sich die Frage der Dienstfähigkeit dieses Mitarbeiters stellt. Es ist für das Gericht beim besten Willen nicht nachvollziehbar, wie ein Mitarbeiter auf dem Briefkopf des RGZM derartige Schreiben verfassen kann. Hier stellt sich die Frage, warum die Museumsleitung und ggf. das zur Aufsicht berufene rheinland-pfälzische Ministerium nicht eingreifen. In dem genannten Schreiben macht […] die Herausgabe der Antiken an den Kläger von der Zahlung von über 17 Millionen Euro abhängig. Dieses Schreiben liegt in der Nähe geistiger Verwirrtheit. Weiter heißt es in diesem Schreiben z. B., dass die Richter des Landgerichts Frankfurt am Main und des Verwaltungsgerichts den zu Gunsten des Klägers ausgestellten „Persilschein“ ebenfalls in Rechnung stellen würden. Damit wird dem Landgericht Frankfurt am Main und dem Verwaltungsgericht der Sache nach Bestechlichkeit und Rechtsbeugung vorgeworfen. Auch hier ist nicht nachvollziehbar, wie ein derartiges Schreiben unter dem Briefkopf des RGZM diese seriöse Einrichtung verlassen kann. Ist die Leitung des RGZM offenbar nicht in der Lage, die Aufsicht über diesen Mitarbeiter auszuüben, sollte das rheinland-pfälzische Ministerium für Wissenschaft als Aufsicht über dieses Museum eingreifen. Das RGZM hat diese Sachen an den Kläger bzw. das Land Hessen herauszugeben, es gibt keinen irgendwie gearteten Rechtsgrund, die Sachen zu behalten. Sollten die Sachen an Dritte weitergegeben werden, stellt sich auch hier die Frage der Amtshaftung und dienst- und disziplinarrechtlicher Konsequenzen.“ (ibid., Rn 23; Hervorhebung in Fettdruck: RK).

Resümee

Dieser Fall ist so atemberaubend, dass es verwunderlich ist, dass er nicht in der deutschen Archäologie und im internationalen Kulturgüterschutz breit diskutiert wurde und das Organ des RGZM, das sich hier offensichtlich grob rechtlich fehlverhalten hat, nicht massiven innerfachlichen Erklärungsbedarf hatte. Noch atemberaubender ist, dass eben jener Mitarbeiter – zu dem wir gleich noch genauer kommen werden – immer noch in Amt und Würden ist und sogar in der Fachwelt als Experte für das Thema illegaler Kulturgüterhandel reüssiert und auch international eingeladen wird.

Um es kurz und schmerzhaft zu machen: in diesem Fall hat der Mitarbeiter des RGZM sich einfach selbst dazu ermächtigt, sich über Rückgabeforderungen des Eigentümers, des Hessischen Ministeriums, das dem RGZM die Gegenstände zur zeitweiligen sicheren Verwahrung anvertraut hatte, und der hessischen Gerichtsbarkeit hinwegzusetzen, weil er subjektiv der Ansicht war, dass diese Gegenstände jemand anderem als deren rechtmäßigen Eigentümer gehören. Es handelt sich also dabei wohl ebenfalls entweder um versuchte Unterschlagung (§ 246 StGB) oder um Untreue (§ 266 StGB); und zwar mit wenigstens stillschweigender Duldung durch sowohl die Leitung des RGZM als auch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das sich seinerseits schon bei der Sicherstellung und Verbringung der Gegenstände ins RGZM – man sollte doch annehmen, dass es auch in Hessen Museen mit archäologisch kompetentem Personal und Asservatenkammern o.Ä. gibt – grob rechtswidrig verhalten hat.

Es ist also wohl schon als Euphemismus zu betrachten, wenn das Gericht bemerkt, dass sich dem rechtmäßigen Eigentümer dieser Sachen mit einer gewissen Berechtigung allmählich der Eindruck aufdrängen müsse, dass die Behörde(n) seinen Eigentums- und Herausgabeanspruch bewusst hintertreiben würden (VG Frankfurt/Main 2.6.2010, 5 K 1082/10.F, Rn 21). Tatsächlich sind in diesem Fall die einzig möglichen vernünftigen Schlussfolgerungen, dass hier entweder wenigstens von einigen Organen der beteiligten Kulturgüterschutzeinrichtungen durch Ausübung ihrer Amtsbefugnisse vorsätzlich und wissentlich Unrecht getan wurde oder diese – wie das Gericht selbst als Möglichkeit anzudeuten scheint – die Grenze zur „geistigen Verwirrtheit“ (ibid., Rn 23) bereits überschritten hatten.

Wenn das Gericht hier von der „Nähe eines Skandals“ (ibid., Rn 21) spricht, untertreibt es ebenfalls deutlich: stellen Sie sich einfach als umgekehrten Fall vor, ein Kunsthandelsvertreter würde aufgrund eines Hinweises auf deren illegale Herkunft ins Landesmuseum für Vorgeschichte Sachsen-Anhalt gehen, die dort befindliche Himmelsscheibe von Nebra mit Androhung von Gewaltanwendung bei Widerstand gegen sein Vorgehen beschlagnahmen und diese an einen bekannten Experten bei einem renommierten Münchner Auktionshaus für Kunst und Antiken zur Begutachtung und zeitweiligen sicheren Verwahrung verbringen; obwohl wenige Tage zuvor ein ordentliches Gericht das Eigentum des Landes Sachsen-Anhalt an der Himmelsscheibe bestätigt hatte. Der Experte wiederum, dem sie zur sicheren Verwahrung übergeben wurde, würde auch noch dann willkürlich ihre Ausfolgerung verweigern, wenn er auf Basis eines gerichtlichen Vergleichs zwischen dem ihm die Himmelsscheibe überantwortet Habenden und dem Land Sachsen-Anhalt zur Rückgabe der Scheibe aufgefordert wird, weil er der Ansicht ist, dass die Scheibe in Wahrheit dem Land Schleswig-Holstein gehört. Genau darüber reden wir in diesem Fall, nur mit umgekehrten Vorzeichen.

Es mögen sich Kulturgutschützer natürlich in ihrer Fantasiewelt mit dem jungen (und nicht mehr so jungen) Indiana Jones identifizieren, wenn er zu Beginn des „letzten Kreuzzuges“ gleich zweimal das „Kreuz des Coronado“ dessen rechtmäßigen Eigentümern stiehlt bzw. raubt, in zweiterem Fall mit mehrfacher Todesfolge von sowohl Sicherheitskräften als auch dem rechtmäßigen Eigentümer des Kreuzes. Aber das ist eine fiktionale Handlung in einem Film – von dem ich zugegebenermaßen auch ein großer Fan bin – in dem Indiana der Held und die von ihm zusammengeschlagenen, erschossenen, in die Luft gesprengten etc. Gegner ‚die Bösen‘ sind und ihr Schicksal daher ‚verdient‘ haben. In der Wirklichkeit wäre das Verhalten von Dr. Jones Jr. hingegen eine nahezu ununterbrochene Reihe von schweren Gewaltverbrechen; und das alles, weil er der Meinung ist, dieses Kreuz sei „ein bedeutender historischer Gegenstand und gehört in ein Museum“. In der Wirklichkeit würde Dr. Jones vor Gericht gestellt und von der Fachgemeinschaft geächtet, so würde man wenigstens hoffen.

Das wirklich bemerkenswerte an dem Frankfurter Fall ist also, dass scheinbar niemand, aber wirklich auch gar niemand, nicht einmal der offenbar renitente Mitarbeiter des RGZM, der in und für diesen Fall absolut zentral ist, auch nur disziplinär, geschweige denn strafrechtlich, verfolgt worden zu sein scheint; ganz ebenso wie Indiana Jones nicht hinter Gittern sitzt. Es scheint also in den beteiligten Kulturgüterschutzeinrichtungen und Behörden – wie auch das VG Frankfurt vermutet (ibid., Rn 22-3) – die Dienstaufsicht auf allen Ebenen versagt zu haben oder sogar das grob rechtswidrige Vorgehen von Subalternen stillschweigend gebilligt worden zu sein, auch nachdem es ruchbar geworden war. Auf diesen Punkt wird noch einmal zurückzukommen zu sein.

 

Sie finden den kompletten Artikeln (mit allen Fußnoten) als Blogbeitrag auf der Seite „Archäologische Denkmalpflege“ von Raimund Karl.

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