Wenn ich an Michael denke, dann sehe ich ihn in der Wartehalle des SBB, des Schweizerischen Bahnhofs Basel, vor mir. Es war früh am Morgen, irgendwann im Frühsommer des Jahres 1998. Michael und ich, wir standen da, jeder in seiner besten Geschäftsmontur und warteten auf eine Freundin, die losgelaufen war, um uns mit Schoggibrötli zu versorgen. Wir fuhren alle drei nach Bern, die Freundin, weil sie dort arbeitete, Michael und ich, weil wir dort ein Bewerbungsgespräch hatten. Ich am Vormittag, Michael am Nachmittag. Das Dumme daran war nur, dass wir uns beide auf dieselbe Stelle beworben hatten. Natürlich waren wir nervös. Ich überspielte das, indem ich Michael erklärte, dass er gegen mich sowieso keine Chance habe. Michael lachte nur darüber. Und dann sagte er mir, was für eine tolle Numismatikerin ich sei, und dass ich die Stelle absolut verdienen würde.
So war Michael Matzke. Wenn es einen Kollegen gab, in dem nicht der kleinste Funken Bosheit oder Neid existierte, dann war das Michael.
Einer der besten Kenner der mittelalterlichen Numismatik
Michael Matzke studierte an der Universität Tübingen im Hauptfach mittelalterliche Geschichte, dazu eine Reihe von anderen Fächern, darunter natürlich Numismatik. Einen Teil seines Studiums absolvierte er an der Università degli Studi di Pisa, wo er seine ausgezeichneten Kenntnisse des Italienischen vervollkommnete.
Seit 1991 arbeitete er als wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni Tübingen, und zwar – wie typisch für ihn – in ganz verschiedenen Bereichen: Am Institut für Landeskunde, an der Forschungsstelle für islamische Numismatik und am Institut für klassische Archäologie.
Michael Matzke sah eben gerne über den Tellerrand hinaus, und zwar in alle Richtungen. Er konnte genauso gut über die frühen Elektronprägungen diskutieren wie über den künstlerischen Wert zeitgenössischer Gedenkmünzen. Michael hatte zu vielen Dingen eine wohl begründete Meinung, die er aber, wenn er bessere Argumente hörte, gerne und leichten Herzens korrigierte.
1995 schloss er sein Studium mit der Dissertation ab. Seine Arbeit zu Daibert von Pisa wurde drei Jahre später vom renommierten Thorbecke Verlag herausgegeben. Natürlich legte Michael Matzke dabei den Schwerpunkt auf wirtschaftliche und numismatische Aspekte, doch der historische Hintergrund war ihm dabei genauso wichtig wie der Anspruch, seine Forschung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So erschien ein ausführlicher Artikel zu diesem Thema in der MünzenRevue, und zwar lange bevor seine Dissertation im Thorbecke Verlag erschienen war.
Nach seiner Dissertation teilte Michael Matzke das Schicksal vieler hervorragender Numismatiker: Er hielt sich mit kleineren und größeren Projekten, Lehraufträgen und anderen Tätigkeiten über Wasser. Er galt schon früh als einer der besten Kenner der mittelalterlichen Numismatik. So wurde er 1999 nach Cambridge berufen; bezeichnenderweise lehrte er an der Classics Faculty, arbeitete am Band 12 des Medieval European Coinage Programms über Norditalien und war als Assistant Keeper für die antiken und mittelalterlichen Münzen Europas des Fitzwilliam Museums zuständig.
Michael Matzke verfügte über eine unglaubliche Breite des Wissens. Und gleichzeitig schaffte er es, alle Welten der Numismatik zu verbinden. Während er selbst Mitglied der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Fundmünzen war und seit 2015 am Inventar der Fundmünzen der Schweiz mitarbeitete, besuchte er gerne Münzbörsen und hatte einen guten Draht zu Sammlern und Münzhändlern. Immer wieder schrieb er für ein breites Publikum populärwissenschaftliche Artikel zur neuesten numismatischen Forschung. Einige von ihnen sind auch im Rahmen der MünzenWoche erschienen.
Konservator am Münzkabinett des Historischen Museums Basel
Doch nicht sein untadeliges Fachwissen war es, was Michael Matzke zu so etwas Besonderem machte. Er war ein Mensch, der mit allen anderen Menschen umgehen konnte. Tolerant, offen, verständnisvoll und immer freundlich, ohne dabei auf eine eigene Meinung zu verzichten: seine soziale Kompetenz war es, die ihn zu so einem so großen Gewinn für das Historische Museum Basel machte, wo er seit 2006 in Teilzeit als Konservator arbeitete.
2013 konnte er dort die völlig neu gestaltete Dauerausstellung des Münzkabinetts eröffnen. Er ging dafür ganz neue Wege. Er arbeitete mit Medienstationen, Touchscreens und Hörspielen, was 2013 noch nicht so selbstverständlich war wie heute.
Die Bedeutung der Paduaner
2016 eröffnete Michael Matzke unter dem Titel „Gefälschte Antike? Die Paduaner und die Faszination der Antike“ eine Ausstellung, die nichts weniger war, als die Ehrenrettung einer Gruppe von seit Jahrhunderten vernachlässigten Kunstwerken. Als Vertreter eines interdisziplinären Ansatzes war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, das Vorurteil, das in der Numismatik gegenüber diesen „Renaissance-Fälschungen“ besteht, in Frage zu stellen.
Michael Matzke zeigte in seiner Ausstellung, dass die Paduaner zu ihrer Zeit nicht als Fälschungen, sondern als Kunstwerke betrachtet wurden, die antike Vorbilder nicht nachahmen, sondern übertreffen sollten. Anfang des Jahres 2019 veröffentlichte er den wissenschaftlichen Katalog zu dieser Ausstellung.
Sachorientiert, pragmatisch und unersetzlich
Michael ging sehr offen mit seiner schweren Erkrankung um. Wer ihn in seinen letzten Monaten erlebt hat, konnte nicht anders, als davon beeindruckt zu sein, wie unsentimental er sich nicht auf sein eigenes Schicksal konzentrierte, sondern systematisch aufräumte und alles dafür vorbereitete, dass es nach ihm weitergehen würde.
In den letzten Monaten seines Lebens, schon schwer beeinträchtigt von seiner Krankheit, hat er noch Texte für die Ausstellung „Gold und Ruhm“ formuliert, weil er nicht darauf verzichten wollte, in dieser bedeutenden Auswahl mittelalterlicher Kunst Münzen zu zeigen.
Michael Matzke starb in den letzten Stunden des 20. Mai 2020, im Kreis seiner Familie.
Wir verlieren in ihm einen Kollegen, der völlig uneitel immer im Dienste der Sache gestanden hat. Wir trauern mit seiner Frau Gerhild und seinen beiden Söhnen Beneke und Hendrik. Ihnen gilt unser tief empfundenes Beileid.
Für Michael Matzke gilt das Beste, was man über einen Menschen sagen kann: Die Welt ist ein kleines Stückchen heller geworden, weil es ihn gab.