Nah am Leben

Kopf des Moses (Grabmal für Papst Julius II.), Gelatineform, 1914. 95 x 51 x 34 cm (Positiv), (Original: 1513-1515, San Pietro in Vincoli al Colle Oppio, Rom). Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / Philip Radowitz.
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Anlässlich ihres 200-jährigen Jubiläums zeigt die Gipsformerei als älteste Einrichtung der Staatlichen Museen zu Berlin erstmals eine umfassende Präsentation ihrer Bestände – als Eröffnungsausstellung in der am 13. Juli 2019 eröffnenden James-Simon-Galerie. Die weltweit größte noch existente Museumsformerei verfügt über ein mehrere Tausend Stücke umfassendes Konvolut historischer Gussformen und Modelle, die auf Werke aller Epochen und Weltkulturen zurückgehen.

Liegebüste Luise Königin von Preußen, Mastermodell, vor 1965. Gips, schellackiert, 32 x 41 x 43 cm. Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / Philip Radowitz.

Mit rund 200 Exponaten widmet sich die Ausstellung dem Thema der Lebend- und Naturabformung und verdeutlicht, wie „nah“ der Gipsabguss dem Leben kommen kann. Anhand einer „Gipsspur“, die sich über die gesamte Museumsinsel Berlin zieht, werden die engen Verknüpfungen der Gipsformerei mit den Skulptu-renbeständen der Staatlichen Museen zu Berlin erfahrbar.

Niccolò da Uzzano, Mastermodell und Gipsstückform, 1914. Gips, schellackiert, 34 × 20 × 22 cm. Original: 1455–1470, Museo Nazionale del Bargello, Florenz. Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / Philip Radowitz.

Das Abformen von Gegenständen in Gips oder anderen Gieß- und Abformmassen ist eine Kulturtechnik, die zu den ältesten bildnerischen Mitteln der Menschheit gehört. Durch den Direktkontakt mit dem abgeformten Gegenstand gilt die Abformung als authentisch und wirklichkeitsnah. In der Kunst- und Bildhauereigeschichte Europas und Nordamerikas, die sich vom Altertum bis in die Gegenwart an der Darstellung des „echten“ Lebens abgearbeitet hat, ist das Abformen und Abgießen deshalb seit jeher ein beliebtes künstlerisches Verfahren. Der Allgegenwärtigkeit dieser Praxis zum Trotz wurden Skulpturen, die qua Abformung entstanden sind, jedoch traditionell mit einem Negativurteil versehen und bis in die Moderne hinein als Nicht-Kunst disqualifiziert.

In fünf thematischen Sektionen geht die Ausstellung der Idee nach, dass die Abformung dem Leben (und dem Tod) buchstäblich am nächsten kommt. Sie macht die tragende Bedeutung der Abformung in der Geschichte der Bildhauerei deutlich und weicht Grenzlinien zwischen Kunst, Nicht-Kunst, Handwerk und Wissenschaft auf. Gezeigt werden alle Arten von Abgüssen, aber auch Gemälde, Bücher, Druckgrafiken, Fotografien und Videos.

Wand mit Mastermodellen von Totenmasken und Gesichtern in der Gipsformerei. Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei.

Von Tierabgüssen über Totenmasken von Geistesgrößen des 19. Jahrhunderts, Körperteilmodelle aus der Künstlerausbildung und den sensiblen Sammlungsbestand von Menschenabgüssen aus kolonialen Kontexten wird der Bogen zu prominenten Werken von Donatello, Auguste Rodin oder Marcel Duchamp geschlagen, die (vermeintlich) mit Hilfe von Körperabformungen entstanden sind.

Casting George Segal for “George Segal, Self-portrait”, 1990. Silbergelatineabzug, 21,5 × 32 cm. Foto: Donald Lokuta 1990.

Die Ausstellung erschließt den Bestand der Gipsformerei querschnittsartig und stellt ihm Objekte aus den anderen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin sowie herausragende Leihgaben u.a. aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, dem Kunstmuseum Göteborg, dem Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main oder den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gegenüber. Eine zentrale Rolle spielen zeitgenössische Werke von George Segal, Donald Lokuta, Allan McCollum, Asta Gröting, Teresa Margolles, Liane Lang, Pauline M’barek oder Maria Volokhova, anhand derer die Emanzipation des Abgusses vom technischen Hilfsmittel zum eigenständigen Kunstwerk nachvollzogen werden kann.

Formenlager der Gipsformerei. Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei / Philip Radowitz.

Anhand von Schwerlastregalen überführt „Nah am Leben“ die Werkstattsituation der Gipsformerei in den Ausstellungsraum. In einem Prologbereich informiert die Ausstellung über die Geschichte der Gipsformerei so-wie die traditionellen, bis zum heutigen Tag angewendeten Handwerks-techniken. In Form von ausgesuchten Interventionen durch die Daueraus-stellungen der Museumsinsel Berlin wird gezeigt, dass die Gipsformerei eine Art „3D-Archiv“ der Skulpturenbestände der Staatlichen Museen zu Berlin ist. Zugleich verweisen die Interventionen auf die Wurzeln der Gips-formerei, die eng an die Gründung der Königlichen Museen gebunden ist.

Zur Ausstellung erscheint eine Publikation im Prestel-Verlag.

 

Die James-Simon-Galerie öffnet am 13. Juli 2019 erstmals ihre Türen. Die Sonderausstellung „Nah am Leben“ beginnt am 29. August 2019 und läuft bis zum 1. März 2020.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der Staatlichen Museen zu Berlin.

Dieses Video bietet einen Einblick in die Arbeit der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin.

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