von Ursula Kampmann
11. August 2016 – 111 Mio. Schweizer Franken hat der neue Erweiterungsbau gekostet, der dem Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich zusätzliche 2.200 Quadratmeter Ausstellungsfläche beschert.
Das Landesmuseum Zürich: Ensemble aus Alt und Neu. Blick vom Neumühlequai im Januar. © Roman Keller
Die Schweizerische Eidgenossenschaft stellte dafür 76 Mio. bereit, der Kanton Zürich 20 Mio., die Stadt Zürich 10 Mio. Über die letzten beiden Summen entschieden übrigens nicht einige Politiker, sondern in einer Volksabstimmung die Bürger von Kanton und Stadt Zürich.
Am zweiten Festtag lockte das sonnige Wetter Tausende ins Landesmuseum. ©Schweizerisches Nationalmuseum.
Man kann dies durchaus als Signal verstehen, wie wichtig den Zürchern „ihr“ Nationalmuseum ist. Und man darf es nicht nur als einen Marketing-Gag, sondern durchaus als ein Zeichen der Verbundenheit verstehen, dass die Bevölkerung bei der Eröffnung des Neubaus im Mittelpunkt stand.
Schwingen oder Hosenlupf ist eine schweizerische Abart des Ringens, die stilgerecht auf Sägemehl ausgeübt wird. ©Schweizerisches Nationalmuseum.
Groß und klein wurde eine Reihe von Spezialführungen geboten, dazu Podiumsdiskussionen, Konzerte, Filme, ein Tanzkurs Renaissance sowie eine ganz moderne Party. Dazu gab es verschiedenste Kurse in Schweizer Spezialwissen wie dem Sport Schwingen oder dem Armbrustschießen neben einem eindrucksvollen Kinderprogramm. Die Gotthard-Pferdepost fuhr einmal nicht die Route von Andermatt nach Airolo, sondern beförderte Museumsbesucher. Insgesamt 23.000 Besucher machten in den 26 Stunden der Eröffnungs-Gala von diesem breiten Angebot Gebrauch.
Bundesrat Alain Berset eröffnet den Neubau des Landesmuseums offiziell.
Und natürlich war auch die Schweizer Politprominenz anwesend. Bundesrat Alain Berset, Leiter des Eidgenössischen Departements des Inneren, eröffnete den Neubau des Landesmuseums offiziell.
Blick vom Gartenhof auf die Brücke mit Wasserspiel. © Schweizerisches Nationalmuseum.
Geben wir es zu: Nicht alle mögen moderne Architektur. Zürcher Bürger lassen sich in den verschiedenen Kommentarseiten wortreich über die Hässlichkeit des neuen Bauwerks aus. Dabei sind sie nicht allzu erfinderisch. Gebetsmühlenartig tauchen Wörter auf wie „Betonbunker“, „Betonklotz“ und „verschandeln“. Was der neue Bau keineswegs verdient. Dem Architekturbüro Christ & Gantenbein ist es gelungen, eine sinnvolle Erweiterung zu gestalten, die sich keineswegs in den Vordergrund drängt, die alten Baulichkeiten kontrastreich ergänzt und – vor allem – einen idealen und wandelbaren Rahmen für Ausstellungen jeder Art bietet.
Der arme Neubau hat eigentlich nur ein Problem: Er ist neu. Die Augen haben sich noch nicht daran gewöhnt. Warten wir fünf Jahre, dann werden selbst die Kritiker zugeben, dass das Landesmuseum durch diesen gut geplanten Neubau nur gewonnen hat.
Die Ausstellung Archäologie ist geteilt in drei Einheiten: Terra – Natura – Homo. © Atelier Brückner. Foto: Daniel Stauch.
Gewöhnungsbedürftig ist auch die vom Atelier Brückner gestaltete neue Ausstellung „Archäologie Schweiz“. Sie präsentiert die für die Schweizer Identität sinntragenden archäologischen Funde in einem ganz neuen Zusammenhang. Geteilt ist sie in drei Einheiten: Terra – Natura – Homo. Genauso intellektuell wie das klingt, ist die Ausstellung selbst. Der erste Raum – „Terra“ – wird beherrscht von einem über den Besuchern schwebenden, gewaltigen topographischen Modell der Schweiz, in dem mit Hilfe der Beleuchtung einzelne Fundstellen verortet sind, die auf Objekte im Raum verweisen.
Kernstück der Ausstellung „Archäologie“ ist die Einheit Homo. © Atelier Brückner. Foto: Daniel Stauch.
Kernstück der Ausstellung ist die Einheit „Homo“. Hier werden die Hinterlassenschaften des Menschen, gegliedert in die traditionelle Zeiteinteilung „Steinzeit – Bronzezeit – Kelten – Römer – Frühmittelalter“, in gewaltigen Vitrinen präsentiert.
Schale, Gold. Um 1100 v. Chr. Zürich-Altstetten. Kanton Zürich. © Schweizerisches Nationalmuseum.
Zentrales Schaustück in der Mitte des Raumes sind die bronzezeitliche Goldschale von Zürich-Altstetten und der frühkeltische Schatz von Erstfeld. Die vier Hals- und drei Armringe im Gewicht von insgesamt 640 g., die am Fuß des Gotthards gefunden wurden (Erstfeld spielt auch heute noch eine wichtige Rolle für den Bahnverkehr über den Gotthard), sind vor einer Animation zu sehen, die die Objekte in Zusammenhang mit menschlichem Tun zeigt: Im Fall der Ringe von Erstfeld übergibt ein Kelte die Ringe der Erde, ehe er zu seiner Reise über den Gotthard aufbricht.
Die Technologie-Explosion der Bronzezeit, gespiegelt in der Anordnung der Objekte. © Atelier Brückner. Foto: Daniel Stauch.
Beim Gang durch die Ausstellung muss man eines im Auge behalten: Sie ist nicht für den Fachmann gemacht, der über viel Wissen verfügt und sich ins einzelne Objekt vertiefen will. Sie richtet sich an den Besucher eines Nationalmuseums, an das Schulkind und den Touristen aus dem fernen Ausland, und will diesen Zielgruppen einen schnellen Überblick über die vorgeschichtliche Vergangenheit der Schweiz vermitteln.
Die römischen Objekte, angeordnet zwischen mit Münzen gelegten Straßen. © Atelier Brückner. Foto: Daniel Stauch.
Ähnlich den vollgestopften Vitrinen des 19. Jahrhunderts werden die zusammengeordneten Objekte selbst zu einem graphischen Kunstwerk, das mehr einen Gesamteindruck vermittelt als auf die Schönheit des einzelnen Objekts verweist. Wer in letzterem schwelgen will, ist auf die Computerschirme verwiesen, die jedes Objekt der Vitrine in gewaltiger Vergrößerung mit Kommentar von allen Seiten abbilden. Für Führungen ist das sicher nützlich. Der private Besucher mag sich die Frage stellen, warum er sich überhaupt ins Museum bemühen soll, wenn das ihn interessierende Objekt so angebracht ist, dass er es nicht sehen kann und sich statt dessen mit einem digitalen Abbild begnügen muss.
Die dritte Einheit: Natura. © Atelier Brückner. Foto: Daniel Stauch.
Die dritte Einheit von „Archäologie Schweiz“ beschäftigt sich mit etwas, das häufig bei archäologischen Ausstellungen verloren geht, nämlich mit den Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur bzw. mit der Tatsache, dass der Mensch die Natur verändert und prägt, sie umgekehrt durch die Möglichkeiten, die sie ihm gibt, seinen Alltag gestaltet.
An sieben Themenstationen kann der Interessierte die Flora, die Fauna und die Welt der Mineralien erforschen. Untermalt wird das Ganze mit Hilfe einer riesigen animierten Zeichnung, die sich schräg an der Rückwand aufspannt.
Es ist schwer für jemanden, der sich einigermaßen in der Vor- und Frühgeschichte auskennt, diese Ausstellung zu bewerten. Zu viel, was einem selbst wichtig erscheint, bleibt auf der Strecke. Bei den Vitrinen handelt es sind um gewaltige, augenfällige Inszenierungen, die gleichzeitig ein wenig oberflächlich daherkommen. Es stecken viele hochkomplexe Überlegungen darin, die sich allerdings nicht ohne Erklärungen erschließen. Jedes einzelne Objekt wird am Computer ausführlich erläutert, aber eine Gewichtung fehlt. Diese bleibt dem damit wahrscheinlich überforderten Besucher überlassen.
Auf jeden Fall lohnt sich ein Besuch. Schon allein, um sich seine eigene Meinung zu bilden. Was am meisten fasziniert ist die Tatsache, wie wunderbar Architektur und Szenographie optisch zusammenwirken. Was man danach von der Präsentation der Objekte hält, dürfte vom Interessensschwerpunkt des Besuchers abhängen.
Das Schweizerische Nationalmuseum hat auch eine neue Website.
Hier finden Sie einen Überblick zu allen Sammlungen des Landesmuseums.
Sie können die Sammlungen auch online besuchen.
Christ & Gantenbein ist im Moment ein in der Schweiz äußerst angesagtes Architektenbüro. Hier kommen Sie zu den Projekten, die in den letzten Jahren realisiert wurden.
Einen Film über den Neubau finden Sie hier.
Über Projekte des Ateliers Brückner hatten wir schon wiederholt berichtet. Hier kommen Sie zur Website des Szenographiestudios.
2011 gab Prof. Eberhard Schlag vom Atelier Brückner der MünzenWoche ein Exklusiv-Interview zur Szenographie für numismatische Objekte.
Das Atelier Brückner wird auch verantwortlich sein für die Neugestaltung der archäologischen Staatssammlung München, wie wir in der MünzenWoche berichten konnten.
Das vor- und frühgeschichtliche Lieblingsmuseum der Autorin ist und bleibt das Museum für Urgeschichte(n) in Zug, weniger intellektuell, aber enorm emotional.