Tübingen publiziert antike jüdische Münzen online

Professor Stefan Krmnicek präsentiert eine der 394 Münzen, die an der Universität Tübingen untersucht und historisch eingeordnet wurden. Foto: Universität Tübingen, Thomas Zachmann
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Antike jüdische Münzen sind in deutschen Museen eine Seltenheit und bislang auch kaum publiziert worden. Jetzt präsentiert das Institut für Klassische Archäologie der Universität Tübingen eine Sammlung, die in ihrem Umfang und ihrer historischen Bandbreite deutschlandweit außergewöhnlich ist. Sie umfasst 394 Münzen, die alle Epochen des antiken Judentums abdecken. Die Münzen wurden von einem Team unter Leitung von Professor Stefan Krmnicek wissenschaftlich untersucht und historisch eingeordnet. Die wissenschaftliche Bearbeitung und digitale Dokumentation der Sammlung wurde durch die finanzielle Förderung der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) ermöglicht.

Zusammengetragen wurde die Kollektion in den 1920er und 1930er Jahren von Arthur Müller, einem aus dem Schwarzwald stammenden Konditor, der viele Jahre in Palästina und danach in Australien lebte. Mitte der sechziger Jahre kehrte Müller nach Deutschland zurück.

Eine Münze des jüdischen Königs Herodes Agrippa I. illustriert den Spagat zwischen römisch-hellenistischer Herrschaftsrepräsentation und frommer Beachtung des jüdischen Bildverbots. Foto: Universität Tübingen, Thomas Zachmann.

Die Bronze- und Silbermünzen illustrieren verschiedene Epochen des antiken Judentums von der Bildung eines jüdischen Staats im Kampf gegen die Seleukidenherrscher im 2. Jahrhundert v. Chr. bis zur Niederschlagung des zweiten Aufstandes gegen die Römer im 2. nachchristlichen Jahrhundert. „Die Motive und Inschriften spiegeln das jüdische Streben nach Unabhängigkeit ebenso wider wie hellenistische Einflüsse und die römische Besatzungszeit. Auf diese Weise liefert die Sammlung einen eindrucksvollen Längsschnitt durch die wechselvolle Geschichte der Juden im Altertum“, sagte Stefan Krmnicek.

Im 1. Jüdischen Aufstand prägten die Aufständischen in Jerusalem Münzen aus Silber – ein Affront gegen den römischen Kaiser, der das alleinige Recht zur Ausmünzung von Edelmetall hatte. Foto: Universität Tübingen, Thomas Zachmann.

Auf vielen der Münzen, die teilweise hebräische, teilweise griechische Inschriften tragen, fehlt das sonst auf antiken Geldstücken gängige Herrscherporträt, denn das jüdische Bildverbot ließ zwar die Darstellung von Symbolen, nicht aber von Personen zu. Einen besonders spannenden Blick in die Historie bieten die Münzen, die während der jüdischen Unabhängigkeitskriege gegen Rom geprägt wurden. Hebräische Freiheitsparolen und religiöse Motive bezeugen die Dramatik dieser Kämpfe.

Während des 2. Aufstands gegen Rom überprägten Rebellen ältere Münzen mit religiösen Moti- ven wie der Leier: Sie steht symbolisch für den ersehnten Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels. Foto: Universität Tübingen, Thomas Zachmann.

Die letzten eigenständig jüdischen Münzprägungen fanden während des zweiten, schließlich niedergeschlagenen Aufstandes gegen Rom (132-135 n. Chr.) statt. Die Rebellen überprägten römische Münzen mit hebräischen Legenden wie „Jahr 1 der Erlösung Israels“ und religionspolitischen Motiven. Zu ihnen gehörte die Leier, die als Tempelgerät das Ziel des Aufstandes symbolisierte: Jerusalem mit dem jüdischen Tempel sollte nach der Zerstörung im Jahr 70 n. Chr. wiederaufgebaut werden. Eine Besonderheit sind auch die silbernen Schekel der phönizischen Stadt Tyros, gelegen im heutigen Libanon. Diese Münzen dienten den Juden zur Bezahlung ihrer Tempelsteuer – obwohl sie ein heidnisches Motiv trugen: Melkart, den Hauptgott der Stadt, der von den Griechen mit Herakles gleichgesetzt wurde.

„Durch die wissenschaftliche Erschließung und öffentliche Ausstellung dieser Münzen aus den historischen Landschaften des heutigen Israel – Galiläa im Norden, Judäa mit Jerusalem als Zentrum und das dazwischen gelegene Samaria – wird unsere lange jüdische Geschichte jetzt auch für die Bürgerinnen und Bürger im Land noch anschaulicher. Wir danken der Universität Tübingen für ihren Einsatz bei der Aufarbeitung dieses wichtigen Zeugnisses jüdischen Lebens“, so Professorin Barbara Traub, Vorstandssprecherin der IRGW, die die Patenschaft für die Sammlung übernommen hat.

Arthur Müller – Münzsammler, Zuckerbäcker, Weltbürger

Arthur Müller, 1889 in Lenzkirch im Schwarzwald geboren, erlernte das Bäcker- und Konditorhandwerk, heuerte als Schiffskoch auf Luxusdampfern an und arbeitete in den Jahren vor und nach dem ersten Weltkrieg im Vorderen Orient. Danach führte ihn sein Beruf quer durch Europa und bis nach Japan. Ab 1925 lebte er in Palästina, das ihm zur zweiten Heimat wurde. Dort legte er eine etwa 1.150 Stücke umfassende Münzsammlung an, darunter die Spezialsammlung der 394 antiken jüdischen Münzen. Müller wurde bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges von den Briten interniert und 1941 gemeinsam mit anderen Palästinadeutschen nach Australien verbracht. Dort arbeitete er nach Kriegsende für das australische Parlament als Koch und Konditor. 1965 kehrte Arthur Müller in seine Schwarzwaldheimat zurück, wo er nach schwerer Krankheit im März 1967 verstarb. Nach seinem Tod wurde die Sammlung von der Sparkasse Hochschwarzwald erworben, um ihren Erhalt im Ganzen sicherzustellen. Anfang 2009 übergab die Sparkasse Hochschwarzwald die Sammlung der Universität Tübingen als Dauerleihgabe.

 

Die Fotos und Beschreibungen stehen ab sofort im Digitalen Münzkabinett der Universität Tübingen als gemeinfreie Inhalte zur Verfügung (Suchbegriff „Müller“).

In unserem Who’s who haben wir Stefan Krmnicek vorgestellt.