Ulla Westermark (1927-2020)

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Ich habe Ulla Westermark schon bewundert, bevor ich sie im Jahr 1995 persönlich kennenlernte. Nicht etwa wegen Ihres großen Wissens im Bereich der griechischen Numismatik, sondern weil mich gleich zwei Professoren baten, ihr in ihrem Namen Blumen zu überreichen. Beide Professoren waren weltweit bekannt – aber sicher nicht dafür, dass sie weibliche Numismatiker gefördert hätten. Was war das für eine Frau, die sich trotz ihres überragenden Wissens die liebevolle Bewunderung dieser – sagen wir es ruhig – Machos erworben hatte?

Ulla Westermark im Juni 2018 zwischen Ursula Kampmann und Harald Nilsson. Foto: KW.

Ulla Westermark war auf jeden Fall besonders: ruhig, still, mit einer immensen inneren Kraft und Selbstsicherheit. Und sie war offen für den anderen und das, was sie von ihm vielleicht lernen konnte. Sie überraschte mich, die blutige Anfängerin, damit, dass sie in dem dreitägigen Seminar, das ich damals in Uppsala geben durfte, saß, um mir zuzuhören. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Ulla Westermark war zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als ein Jahrzehnt von ihrem Amt als Direktorin des Stockholmer Münzkabinetts zurückgetreten. Sie koordinierte weltweit die Arbeit an den Bänden des Sylloge Nummorum Graecorum, und trotzdem fand sie nichts dabei, ein paar Tage ihrer Zeit zu opfern und von Stockholm nach Uppsala zu fahren, um anzuhören, was eine junge Frau zu sagen hatte, die gerade erst ihren Doktor gemacht hatte! Aber so war Ulla Westermark.

Ein Leben in Fülle

Ulla Westermark wurde am 30. März 1927 geboren. Sie verwies immer gerne darauf, dass sie das Glück hatte, von Willy Schwabacher persönlich für die Numismatik gewonnen worden zu sein. Der hatte als Jude während des Zweiten Weltkriegs Sicherheit im neutralen Schweden gefunden, wo er von 1954 bis 1963 am Königlichen Münzkabinett arbeitete. Zusätzlich unterrichtete er seit 1952 an der Universität Stockholm und dort traf er die junge Studentin Ulla, die sich für Kunstgeschichte, klassische Archäologie und Literaturgeschichte eingeschrieben hatte, sich aber trotzdem so leicht für die Numismatik begeistern ließ. Sie wurde 1961 mit ihrer in deutscher Sprache verfassten Dissertation „Das Bildnis des Philetairos von Pergamon. Corpus der Münzprägung“ promoviert. Und bis heute gilt ihre Arbeit als Standardwerk zur Pergamenischen Münzprägung.

Es folgten viele Jahre als Kuratorin für griechische Münzen im königlichen Münzkabinett Stockholm, das sie am Ende ihrer Karriere von 1979 bis 1983 als Direktorin leitete. In diese Zeit fallen einige ihrer wichtigsten Arbeiten. Genannt sei stellvertretend nur ihre Monographie „The Coinage of Kamarina“, die sie zusammen mit Gilbert Kenneth Jenkins verfasste und 1980 in den renommierten Special Publications der Royal Numismatic Society publizierte.

Nicht dass der Ruhestand für Ulla Westermark ein ruhiges, numismatikfreies Leben bedeutet hätte. Sie koordinierte von 1986 bis 1996 die Publikation der wichtigen Sylloge Nummorum Graecorum und arbeitete in den Räumen der Schwedischen Numismatischen Gesellschaft in der Banérgatan an ihrem Corpuswerk zu den Münzen von Akragas.

Sie durfte noch sehen, dass dieses Corpus 2018 in Druck ging, und das obwohl Ulla Westermarks Manuskript nicht den technischen Voraussetzungen entsprach, die heutige Verlage an Texte stellen. Geholfen haben ihr zwei Freunde aus Uppsala, Harald Nilsson und Hendrik Mäkeler, und das ist typisch für Ulla: sie gewann die Zuneigung und Liebe aller, mit denen sie arbeitete. Und jeder hatte das Bedürfnis, ihr etwas zurückzugeben.

Ein weltumspannendes Netzwerk

2002 gab Harald Nilsson anlässlich von Ullas 75. Geburtstag eine Festschrift heraus. Und es ist bezeichnend zu sehen, wer alles für diese Festschrift Beiträge lieferte. Das Inhaltsverzeichnis mit seinen 47 Autoren liest sich wie ein internationaler Who’s who der griechischen Numismatik. Denn jeder, der sich in diesem Bereich tummelte, kannte und mochte(!) Ulla Westermark.

Ihre Tätigkeit fand durchaus auch die offizielle Anerkennung, die sie verdiente: 1995 zeichnete sie die Gesellschaft für Internationale Geldgeschichte mit ihrer Preismedaille aus, 1997 verlieh ihr die ANS die Archer M. Huntingdon Medaille. Die Internationale Numismatische Kommission und die Royal Numismatic Society ernannten sie zu ihrem Ehrenmitglied. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass ihr die Universität von Stockholm im Jahr 1988 die Ehrendoktorwürde verlieh.

Vergessen?

Und trotzdem, wenn man heute im Internet nach einer Biographie dieser Numismatikerin sucht, sucht man vergebens. Während Männer wie Willy Schwabacher oder Kenneth Jenkins bei Wikipedia ausführliche Einträge in mehreren Sprachen haben, wird Ulla Westermark nur in den Anmerkungen als Autorin vieler, vieler Bücher zitiert.

Vielleicht liegt es daran, dass sie Numismatikerin war in einer Zeit, in der Männer das Feld beherrschten. Ihre etwas ältere Zeitgenossin, Elvira Clain-Stefanelli, die in den Jahren zwischen 1956 und 1982 die numismatische Sammlung des Smithsonian Museum von 60.000 auf 960.000 Stücke vergrößerte, ist zwar in der Wikipedia vorhanden, aber ihr vielseitiges und abenteuerliches Leben wird mit einem Eintrag von zwei Zeilen abgetan.

Deshalb ist Ulla Westermark für mich viel mehr als eine wichtige Wissenschaftlerin, die unser Wissen um die griechische Numismatik bereichert hat. Sie ist für mich ein Rollenmodell, eine der großen Pionierinnen, die der Männerwelt bewiesen haben, dass Frauen zu den gleichen Leistungen fähig sind. Sie hat es unaufgeregt getan, vielleicht weil sie sich selbst nie etwas beweisen musste.

Ulla, Du wirst uns allen fehlen. Du hast so gut verstanden zuzuhören. Und die Wissenschaft hat viel zu wenig Menschen, die nicht nur laut sprechen, sondern auch zuhören können.