Die Wiener Methode, für viele Nicht-Wissenschaftler ist sie der Inbegriff des Unbegreiflichen in der Numismatik. Dabei ist der Grundgedanke eigentlich ganz einfach: Wer eine Münzprägung organisiert, definiert Themen, die er propagiert haben möchte. Dabei wird nicht ein einzelnes Motiv festgelegt, sondern ein vielschichtiges Programm formuliert. Die Wiener Methode will dieses Programm verstehen, will wissen, welche Themen gleichzeitig herausgegeben wurden.
Damit kann sie zentrale Fragen beantworten: Hatte die aktuelle Tagespolitik Auswirkungen auf die Themenfindung? Gibt es Themen, die für einen Herrscher, ein Herrscherhaus von besonderer Bedeutung waren?
In der vorliegenden Dissertation kombiniert Autor Martin Ziegert die Wiener Methode mit der Methode der Quantifizierung. Also, wie oft kommen bestimmte Münzbilder, die Erzeugnisse bestimmter Münzstätten in den uns überlieferten Hort- und Streufunden vor?
Der Sinn dieser Kombination leuchtet sofort ein. So wird es möglich, die für Sammler und Wissenschaftler besonders attraktiven Rückseitenbilder, die deshalb in Forschung und Münzkabinetten überrepräsentiert sind, in ein stimmiges Verhältnis zu ihren „langweiligeren“ Kollegen zu bringen. So zeigt, wie Autor Martin Ziegert in seiner Einführung erläutert, jeder vierte Denar des Vespasianus, der im Römischen Reich umlief, auf seiner Rückseite die thronende Pax, und eben nicht den flavischen Sieg über Judaea. Was die Bedeutung des Sieges über die Juden völlig anders gewichtet, als es numismatische Werke der Vergangenheit getan haben.
In einer langen Tradition
Die Forschungsliteratur zu den Münzen des Vespasian ist umfangreich und vielfältig. Der Autor selbst stellt die vielen Monographien und Artikel, die sich damit befasst haben, zusammen. Last but not least erschien 2007 die Neuauflage des RIC zu den Münzen der Flavier. Kann tatsächlich noch eine weitere Dissertation über Vespasian zu neuen Erkenntnissen führen?
Sie kann, auch wenn sie natürlich nicht unser Bild über seine Münzprägung grundsätzlich verändert. Da wären zum Beispiel die Bedeutungsverschiebungen einzelner Motive, wenn nicht der jeweilige Münztyp, sondern die Gruppe der gleichzeitig geprägten Münztypen betrachtet wird. Auf einmal begreift man eine Prora, die gleichzeitig mit mehreren Münztypen herausgegeben wird, die sich mit der Getreideversorgung der Stadt beschäftigen, nicht mehr als Hinweis auf einen uns nicht überlieferten Seesieg, sondern als einen weiteren Aspekt der Sorge des Kaisers für den Getreidenachschub Roms.
Quantifizierungen
Noch wesentlich ergiebiger ist die Methode der Quantifizierung. Anhand von Hort- und Siedlungsfunden unterscheidet der Autor zwischen Kern- und Marginalbildern. Pax, die römische Göttin des Friedens, wäre – wie bereits erwähnt – ein Kernbild resp. ein zentrales Anliegen der Regierung des Vespasianus. Ihr folgen hinsichtlich der Häufigkeit bei den Goldmünzen Fortuna, Victoria und Neptun.
Die Häufigkeit resp. Seltenheit von Prägungen der verschiedenen Münzstätten in Hortfunden ist nicht unbedingt überraschend, jedenfalls nicht für den Sammler oder Münzhändler, die sowieso wissen, welche Raritäten höhere Schätzungen rechtfertigen. So entstand die Masse der Prägungen in Rom, während Lugdunum bei Gold- und Buntmetallmünzen eine wichtige Rolle spielte. Der Output aller anderen Münzstätten ist dagegen zu vernachlässigen.
Wesentlich interessanter, vor allem im Hinblick auf die Begründung einer Dynastie, ist die Frage, in welchem zahlenmäßigen Verhältnis die Münzen des Vespasian mit seinem eigenen Porträt zu denen, die das Bild eines oder beider seiner Söhne zeigen, stehen. Hier stellt der Autor fest, dass ab dem Jahr 73 die Aurei häufiger die Söhne als den Vater zeigen, eine Erscheinung, die auf Denaren erst gegen Ende der Regierung zu greifen ist. Die Bronzemünzen dagegen bevorzugten in ihren Darstellungen Vespasian vor seinen Söhnen.
Vorbilder und neue Motive
Der dritte Fragenkomplex, den der Autor untersucht, beschäftigt sich mit den Vorbildern, von denen die flavischen Münzbilder inspiriert wurden. Hier zeigt sich Vespasian als der Pragmatiker, als den wir ihn aus seinen antiken Biographien kennen: Er nutzte, was ihm passend erschien, ohne wie in seiner sonstigen Politik bestimmte Kaiser zu meiden, um andere zu bevorzugen.
Eine durchaus lesenswerte Dissertation
„Zwischen Tradition und Innovation – Die Münzprägung Vespasians“ von Martin Ziegert ist eine durchaus lesenswerte Dissertation, die natürlich nicht alle bisherigen Forschungsergebnisse auf den Kopf stellt, aber die Forschung in vielen Detailfragen um bemerkenswerte Aspekte bereichert. Es ist ein Verdienst, so deutlich auszusprechen, dass wir in die Irre gehen, wenn wir die Bedeutungsschwere von Münzbildern nach ihrer Attraktivität für den modernen Sammler gewichten und nicht nach ihrer Verbreitung.
Wir freuen uns auf viele weitere Arbeiten aus der Feder des Autors.
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