Eigentlich kann man sein Gegenüber relativ schnell gut einschätzen, wenn man sich mit ihm über den Urlaub unterhält. Da gibt es die unterschiedlichsten Typen. Und die Typen kann man relativ schnell erkennen, wenn das Gegenüber berichtet, welche Stadt in einem Land ihm am besten gefallen hat. Aveiro zum Beispiel. Wir hörten zum ersten Mal davon, weil Kurts 96jährige Mutter uns einen Bericht darüber in der Glückspost zeigte. Sie fand, das klänge gut. Gondeln und Kanäle, süße Spezialitäten … Ja, ja, das gab es alles…
Donnerstag, 16. April 2015 – Conimbriga und Aveiro
Wir wachten kurz nach sechs auf. Nicht etwa von selbst. Unter uns gab es interessante Geräusche, die wir nicht wirklich einordnen konnten. Es klang irgendwie wie ein primitiver Tanz, bei dem in langsamen Abständen auf eine große Trommel geschlagen wurde. Mit einem kleinen Geräuschlein dazwischen. Wir lauschten aufmerksam und konnten uns keinen Reim darauf machen. An Schlaf war natürlich nicht mehr zu denken und Frühstück gab’s auch noch keines. So machten wir uns fertig und gingen etwas angesäuert auf die Suche nach dem Verursacher des Geräusches.
Der war schnell entlarvt. Unser Zimmer lag über dem Fitnessraum, der eigentlich erst ab 9.00 geöffnet sein sollte. Eine kurze Konsultation der Rezeption brachte es ans Licht: Ja, man habe ihn früher geöffnet, weil ein (sehr wichtiger) Geschäftsmann seinen Body eben vor der entscheidenden Verhandlung noch kurz shapen wollte. Dass es einen Sinn machen könnte, warum der Fitnessraum nicht vor 9.00 geöffnet werden sollte, war der Dame an der Rezeption nicht in den Sinn gekommen.
Einen Vorteil hatte der Frühsport. Wir gehörten zu den ersten Besuchern in Conimbriga, das etwa 16 Kilometer vom heutigen Coimbra entfernt ist. Da wir dort auf der Rückreise vorbeikommen würden, standen heute nur die Ausgrabungen auf dem Programm. Und die waren beeindruckend, schon allein durch ihre Größe. Etwa 10 % der ehemaligen Stadt sollen ans Licht gebracht worden sein.
Besonders beeindruckend ist die ehemalige Palästra der südlichen Bäder, und das nicht nur wegen ihrer Größe und der versuchten Rekonstruktion. Dort, wo heute nur ein niedriges Geländer zu sehen ist, grenzte einst eine Wandelhalle den Bau von den steil abstürzenden Klippen ab, die in ein rund 50 Meter tiefes Tal hinunterführen.
Zentrum der Anlage ist das Forum, von dem es ein sehr gutes Modell im lokalen Museum gibt.
Unter dem Forum sind noch heute einige Spuren der vorrömischen Bevölkerung zu sehen. Schon der Name – Conimbriga – weist darauf hin, dass hier lange vor den Römern gesiedelt wurde. „Conim“ bezeichnet einen Platz, der auf einem Felsen thront, und „briga“ ist eine keltische Nachsilbe, mit der eine Festung bezeichnet wurde. Conimbriga ist also die Festung, die auf dem Felsen thront, und tatsächlich gab es hier bereits im 9. Jahrhundert v. Chr. eine Besiedelung durch Menschen, die wir heute als die „Castro Kultur“ zusammenfassen.
Wenn Sie eine vollständig ausgegrabene Siedlung der Castro Kultur sehen möchten, sowie rekonstruierte Häuser, dann lesen Sie doch noch einmal unseren Bericht über A Guara in Teil 5 von Numismatisches Nordspanien.
Auch in Conimbriga hat man entdeckt, dass romantische Ruinen sich gut in Verbindung mit Theateraufführungen und Konzerten vermarkten lassen. Leider hat man aber kein Theater gefunden, das sich geeignet hätte, dieses Konzept umzusetzen. Kein Problem, man baute einfach das Badebecken einer kleinen Thermenanlage zu einer Bühne um, die nun allerdings zu einiger Verwirrung bei den Besuchern führt.
Krönender Abschluss ist die Casa dos Repuxos, das Haus der Springbrunnen mit seinen gepflegten Blumenbeeten, die gleich eine so viel bessere Vorstellung davon geben, wie diese Luxusvilla irgendwann einmal ausgesehen haben mag.
Prachtvolle Mosaiken schmückten jeden Raum. Entstanden ist die herrschaftliche Residenz irgendwann im 1. Jahrhundert n. Chr. Sie wurde aber bereits Ende des 3. oder Anfang des 4. Jahrhunderts aufgegeben, weil sie außerhalb der schützenden Stadtmauern lag.
Die Ausgrabung verfügt über ein eigenes, kleines Museum, das liebevoll zeigt, wie man sich die Ruinen des Grabungsgeländes vorstellen soll.
Ich gebe zu, ich merkte erst im Museum, dass die aus Ziegel gemauerten Säulenstümpfe keine moderne Rekonstruktion darstellten, sondern tatsächlich Überreste aus der Antike waren.
Auch Münzfunde gab es. So zum Beispiel diesen kleinen Topf, in dem während des Einfalls der Sueben Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. 10 Solidi versteckt wurden.
Spannend ist auch eine Vitrine, in der ein Schmelztiegel eines Schmieds zu sehen ist.
Von Conimbriga fuhren wir nach Aveiro. Ein Parkhaus war mitten in einem Einkaufszentrum schnell gefunden. Und das Einkaufszentrum war eine gute Wahl, weil es mittlerweile nieselte und wir nun doch ernsthaft daran gehen mussten, uns einen Schirm zu kaufen.
Leider gab es im ganzen Einkaufszentrum keinen Schirm! Es gab schicke Sonnenbrillen, kurze Röcke, hochhackige Schuhe, elegante Ledermappen. Ein vernünftiger Schirm? Fehlanzeige. Schirme gab es übrigens in der ganzen Stadt nicht, dafür gab es kleine Plastik-Souvenirgondeln, denn Aveiro ist stolz darauf, das Venedig Portugals zu sein.
Das Venedig Portugals ist eine schlaue Erfindung des Fremdenverkehrsamtes, um die wirklich hübsche Altstadt mit ihren drei Kanälen besser zu vermarkten.
Wobei die Stadt beim Vergleich mit Venedig nur verlieren kann. Sie ist schön aus eigenem Recht. Aveiro war nämlich einst sehr reich. Hier wurde seit der Antike Salz gewonnen, woher die Stadt auch ihren Namen hatte: Alavarium et Salinas, ein Sammelplatz der Vögel mit Salzbecken.
Heute ist Aveiro bei schönem Wetter eher ein Sammelplatz der Touristen, die sich mit Begeisterung über die Kanäle herumschippern lassen. Sie fahren dafür in bunt angemalten Booten, die von ihrer Form her auf die Schiffe zurückgehen sollen, mit denen hier früher Fischfang betrieben wurde. Aber lassen Sie sich von all der Idylle nicht täuschen. Im 16. Jahrhundert war das eine boomende Stadt, in der Fischfang im industriellen Stil betrieben wurde. Fischer aus Aveiro fuhren mit ihren (hoffentlich ein bisschen größeren) Booten bis nach Neufundland, als vor Portugal der Fisch knapp wurde.
Doch dann verlandete der Hafen durch einen schrecklichen Sturm im Jahr 1575. Aveiro versank in die Bedeutungslosigkeit. Von den 14.000 Einwohnern des 16. Jahrhundert – ja, das war für diese Zeit eine enorme Zahl! – blieben gerade mal 3.500 hier. Aveiro verkam zu einer Sumpflandschaft, in der immer noch ein bisschen Salz abgebaut wurde, bis die Stadt im Jahr 1864 einen Anschluss an die Eisenbahn erhielt. Die Linha do Norte fuhr von Lissabon nach Porto über Aveiro. Damit war es möglich, produzierte Waren schnell und billig zu transportieren. Und das verursachte einen wirtschaftlichen Boom.
Was man heute noch im Stadtbild sieht. Prachtvolle Jugenstilfassaden sind hier in Mengen vorhanden.
Die meisten Besucher interessieren sich jedoch wesentlich mehr für die süßen Schleckereien, die in den Konditoreien der Stadt angeboten werden. Die Spezialität heißt Ovos Moles de Aveiro. Die „weichen Eier“ erlauben einen kulinarischen Ausflug in die Kindheit, als man noch Mamas Teigschüssel ausschlecken durfte. In einer dünnen Hülle aus Oblatenteig wird eine gehaltvolle Füllung aus Eigelb und Zucker serviert, die Tonnen von Kalorien liefert und keine geschmacklichen Höhenflüge, außer dem Erlebenis „süß“, bietet.
Wir verließen Aveiro – ohne Schirm und ohne mit den Schiffchen gefahren zu sein. Das Wetter wechselte von Nieselregen zu Regengüssen, und wir fuhren zu unserer nächsten Pousada, einem modernen, direkt an einer ruhigen Lagune gelegenen Bau.
Es war nicht unsere erste Pousada. Aber wir hatten noch in keiner Pousada so viel aufmerksame Freundlichkeit erlebt. Das begann mit der Spezialführung durch den ganzen Bau bei unserer Ankunft, ging über die freundliche und kompetente Bedienung beim Abendessen (nein, süßsaure Schweineohren wollten wir doch nicht probieren!) bis zur liebevollen Betreuung beim Frühstück. Mariana schickt mir bis heute immer wieder Grüße aus der Pousada mit wundervollen Ausblicken in die freie Natur.
Auch wenn die Pousada vielleicht nicht mit architektonischen Höhenflügen punkten kann, ist die Umgebung phantastisch. Sie steht mitten in einem Naturschutzgebiet. Vom Balkon aus, der über der Lagune liegt, kann man den Fischern bei ihrem Handwerk zusehen.
Die Strände, an denen sich an Sonnentagen die Touristen erholen, liegen auf der anderen Seite zum Atlantik hin.
Wir verbrachten einen ganzen Tag hier mitten in der Natur, um endlich das Tagebuch nachführen zu können, E-Mails von daheim zu beantworten und einen langen, langen, einsamen Strandspaziergang zu genießen, bis es wieder zu regnen anfing. Ach ja, einen Schirm hatten wir immer noch nicht.
Folgen Sie uns in der nächsten Folge nach Guimaraes, dort wo die erste Hauptstadt des zukünftigen Portugals lag. Salazar sollte es später zur nationalen Identitätsfindung nutzen. Nichtsdestotrotz ist die Stadt eine Perle von besonderer Schönheit.
Hier finden Sie alle Folgen der Serie „Weltmacht Portugal“.