Wie Deutschland mit künstlicher Intelligenz illegales Kulturgut identifizieren will

Kann eine KI wirklich illegal gehandelte Objekte erkennen? Das NEXUD-Projekt erhält von deutschen Stellen zunächst 600.000 Euro Fördergelder und soll eines Tages Polizei und Zoll mit einer App assistieren, schnell illegales Kulturgut zu identifizieren. Die App soll aber gar nicht erkennen, ob es sich um Fälschungen handelt, ob das Objekt schon seit hundert Jahren im Handel kursiert und wie die zuständigen Länder die rechtliche Lage bewerten. Also nur Geldverschwendung?
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In Deutschland wird das Forschungsprojekt NEXUD mit 600.000 Euro von staatlichen Stellen gefördert. Es schließt an das ILLICID-Projekt an und soll eine App entwickeln, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz über Bilderkennung illegal gehandelte Objekte erkennt. Die Fachanwältin Kate Fitz Gibbon hat auf Cultural Property News einen ausführlichen Artikel dazu veröffentlicht, den wir in CoinsWeekly nachveröffentlichen. Dieser deutsche Text ist eine gekürzte Fassung ihres Artikels.

Wie schon das ILLICID-Projekt, wird auch NEXUD von Prof. Dr. Markus Hilgert geleitet. Hilgert äußerte, dass „mehrere Dutzend Experten“ Kriterien entwickeln werden, anhand derer die App erkennen soll, ob ein Objekt aus einer Raubgrabung stammt. Dafür soll die App Luftbildaufnahmen von Grabungsarealen untersuchen. Zwar kann eine Software äußerliche Ähnlichkeiten erkennen, nicht aber das Alter eines Objektes bestimmen oder wann es gefunden wurde. Wenn ausreichend viele Daten vorliegen, könnte ein solches Programm auch mögliche Herkunftsländer oder -orte benennen, nicht aber feststellen, ob das Objekt gestern erst illegal ausgegraben oder schon vor langer Zeit legal verkauft wurde und sich schon seit 100, 300 oder 500 Jahren im Handel befindet.

Die Softwareentwickler haben bereits angekündigt, dass das Programm nicht in der Lage sein wird zu erkennen, ob ein Objekt echt oder gefälscht ist. Was soll NEXUD dann bringen? Der Senior Kurator am British Museum St John Simpson unterstützt britische Behörden dabei, illegale Antiquitäten zu identifizieren. Er wies schon 2020 in einem Gespräch darauf hin, dass der allergrößte Teil von Altertümern, die aus dem Vorderen Orient in das Vereinigte Königreich eingeführt wurden, Fälschungen waren. Wären Fortbildungsmaßnahmen für Polizei- oder Zollbeamte daher nicht zielführender?

NEXUD: Gefahr durch Unkenntnis?

Organisationen des Kunsthandels verurteilen Raubgrabungen. Doch immer wieder werden Studiendaten falsch gelesen und interpretiert – und so gegen den legalen Handel gewandt. Als das neue NEXUS-Projekt in The Art Newspaper angekündigt wurde, antwortete Vincent Geerling von der International Association of Dealers in Ancient Art (IADAA) darauf. Seine Stellungnahme erschien in der Printausgabe, nicht aber online. Mit seinem Einverständnis übersetzen wir seinen Kommentar in voller Länge.

„Die deutsche Regierung fördert nach dem 1,2-Millionen-Euro-Projekt ILLICID nun mit 600.000 Euro ein weiteres Projekt zu illegalen Altertümern. Dabei ergeben sich mehr Fragen als Antworten vorliegen. Beide Projekte stehen in Verbindung mit dem sehr restriktiven Kulturgutschutzgesetz von 2016. Dieses sollte Deutschlands Rolle als ,El Dorado des illegalen Kulturguthandels‘ bekämpfen, wie das Bundeskriminalamt 2014 verkündete. ILLICID startete in der Annahme, ,Gewinne aus illegalem Handel mit Kulturgütern sind ein wichtiges Standbein der organisierten Kriminalität‘, während gleichzeitig erklärte wurde, dass kein belastbares Zahlenmaterial vorläge, um diese Annahme zu belegen. Mit anderen Worten, das Projekt kam zu einem Ergebnis, bevor die Untersuchung überhaupt begonnen hatte. Weder ILLICID noch die deutsche Regierung haben diese Behauptungen bisher durch irgendeinen Anhaltspunkt gestützt.

Damals sagte ich, dass das Gesetz ,eine Lösung ist, die nach einem Problem sucht‘. Fünf Jahre später ist das Problem noch immer nicht gefunden und das Gesetz wird bald evaluiert werden.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters erklärte, dass NEXUD ,belastbare Antworten aus der Wissenschaft‘ bieten werden. Offensichtlich werden keine Marktkenner eingebunden, obwohl diese sehr viel mehr Objekte begutachten als Akademiker und daher in einer besseren Position wären, diese einzuordnen. Der Handel hat seine Hilfe angeboten, bisher aber keine offizielle Antwort erhalten.

Die Bilderkennungssoftware (schon jetzt von der deutschen Regierung mit 500.000 Euro gefördert) kann keine Fälschungen erkennen oder illegale Objekte, für Warnungen wird es also auf das Expertenteam ankommen. Werden diese alle Objekte, die zum Kauf angeboten werden, überprüfen? Wie wollen sie die ,Webcrawlers‘ auf den deutschen Markt begrenzen? Wenn man all das berücksichtigt, wie kann die Reaktion der Experten dann ,zeitnah‘ sein? Und andernfalls: Was soll das alles?

Dr. Hilgert, der zunächst ILLICID geleitet hat und nun das neue Projekt anführt, wird zitiert, der Handel sei sechsmal größer als er selbst zuvor gedacht hatte. Meint er damit den illegalen Handel, den legalen Handel oder den Handel im Internet? Das ging aus dem Artikel leider nicht hervor. Auch wird Hilgert zitiert, ein zentraler Punkt im Endbericht des ILLICID-Projekts sei es, dass die verfügbaren Informationen „nicht ausreichen, um festzustellen, ob [im Internet] zum Kauf angebotene Objekte legal oder illegal gehandelt werden“. Wenn das so ist, worauf stützt sich dann seine neue Zahl und wie drückt sie sich in absoluten Zahlen statt nur im Vergleich aus?

Die einzigen verlässlichen Daten zum Umfang des illegalen Handels mit Kulturgut in Deutschland stammen von der deutschen Regierung. In einer offiziellen Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im Bundestag vom 2. März 2021 heißt es, dass seit Inkrafttreten des Kulturgutschutzgesetzes am 6. August 2016 bis zum 30. Juni 2020 insgesamt 61 Sicherstellungen erfolgten, wegen des Verdachts eines Ein- oder Ausfuhrverstoßes. Also im Durchschnitt 15 Sicherstellungen pro Jahr in allen 16 Bundesländern zusammen.

Die Bundesregierung verweist darauf, dass ihr kein Fall von Terrorfinanzierung bekannt sei, allerdings kenne sie auch nicht die Ergebnisse der Ermittlungsverfahren, da diese Ländersache seien.

In jedem Fall ist das alles kein Problem in großen Dimensionen. Warum werden also Geld und Ressourcen in solchem Maß darauf verwendet?

Drei einfache Fragen:

  • Wie viele der 356.500 von ILLICID untersuchten Objekte wurden letzten Endes illegal ausgegraben und gehandelt? Meines Wissens wurde das nie bekanntgegeben.
  • Wie vielen der 61 Sicherstellungen in den vergangenen vier Jahren lagen wirklich Verstöße zugrunde?
  • Wie viele Fälle von Terrorismusfinanzierung wurden in den vergangenen fünf Jahren aufgedeckt (eines der Hauptziele des deutschen Kulturgutschutzgesetzes)?

Ich denke, solche Fragen sollten ebenso beantwortet werden wie Fragen nach Methodik, Technik und Fachkenntnissen, bevor weitere große Summen in ein ähnliches Projekt investiert werden.

In der Zwischenzeit behauptet die UNESCO im Rahmen ihrer auf falschen Fakten basierenden Werbekampagne ,The Real Price of Art‘ weiterhin, dass der illegale Handel mit Altertümern sich auf $10 Milliarden pro Jahr belaufe – obwohl sie seit vergangenem Oktober weiß, dass diese Zahl falsch ist. Die aus der Luft gegriffenen Zahl von $10 Milliarden wird of zitiert, wenn man gegen den legalen Handel vorgehen möchte, und erscheint immer wieder in den Medien und akademischen Schriften, auch während ich das hier schreibe.“

Vincent Geerling, Vorsitzender der International Association of Dealers in Ancient Art (IADAA)

Was ist gut an ILLICID?

Leider werden die Daten des ILLICID-Projekts immer wieder falsch gelesen und stützen so Behauptungen über den vermeintlich großen Umfang des illegalen Handels mit Altertümern. Das Projekt sollte Netze illegalen Handels aufdecken und hat dafür zwischen Juli 2015 und Juli 2017 356.500 Objekte untersucht, die online oder in Auktionen angeboten wurden. Im Zentrum des Interesses war das östliche Mittelmeergebiet. Von dort kamen laut Studienbericht nur rund 6.133 der Objekte, also etwa 1,7 %. Von diesen 6.133 „relevanten Objekten“ stammten nur 24 % eindeutig echte Stücke „möglicherweise“ aus Syrien oder Irak, bei 61,5 % gab es nicht genug Hinweise auf die Herkunft, 12 % schienen gefälscht zu sein und 2 % waren ungenügend klassifiziert.

Es zeigte sich, dass viele kulturelle Hinterlassenschaften im Handel kursieren, Objekte, die Museen und Galerien nicht möchten oder benötigen, die aber aufgrund ihres Alters und ihrer Geschichte auf dem Markt gefragt sind.

Einerseits findet man im Internet viele Informationen zu Kunstobjekten, aber es wimmelt auch von Fälschungen oder betrügerischen Angeboten für schlechtinformierte Käufer. Das ist eine nützliche Information von ILLICID. Denn auch wenn die meisten Leute im Kunstbetrieb das vorher schon wussten, ist es doch schön, wenn es jetzt auch belegt ist.

 

Die englische Fassung des Artikels erschien bei Cultural Property News.

Sehr aufschlussreich ist Kate Fitz Gibbons Interview mit dem oben zitierten St John Simpson, Senior curator für den Nahen Osten im British Museum.

2020 belegte der RAND-Bericht, dass der illegale Handel mit Altertümern sehr viel kleiner ist als allgemein behauptet.