Wer die Festschrift, die anlässlich des 500jährigen Bestehens von Orell Füssli ausgegeben wurde, aufschlägt, nimmt als erstes den Stolz eines Verlags in sein Produkt wahr. Orell Füssli hat wieder einmal ein bibliophiles Prachtwerk geschaffen, ein Buch, das mit vielen Techniken spielt, die für Bücher heute Verwendung finden könnten: Es beginnt mit einer ungewohnten Bindung, bei der der Buchblock nur am Buchrücken befestigt ist. Der Titel ist teils auf dem Buchdeckel, teils auf dem Vorderschnitt wiedergegeben. Exquisites Material und modernes Design sind geradezu selbstverständlich.
Dieser Stolz auf das handwerkliche Können, sollte nicht verwundern. Um kurz die Bedeutung des Zürcher Verlags zu subsummieren: Orell Füssli ist einer der, wenn nicht überhaupt der älteste, heute noch aktive Verlag der Welt. Seine Gründung ist eng mit der Zürcher Reformation und der Entstehung des Schweizerischen Selbstverständnisses verbunden: Christoph Froschauer unterstützte Zwingli in Tat und Wort. Er publizierte die Zwingli- oder Froschauer-Bibel, eine Übersetzung der kompletten Bibel ins Deutsche, und das bereits ein paar Jahre VOR Luther. Er lieferte mit seiner reich bebilderten Schweizer Chronik aus der Feder von Johannes Stumpf die Grundlage für das heutige Geschichtsbild der Schweiz, das die anti-Habsburgischen Tendenzen der reformierten Kleriker immer noch als selbstverständlich und wahr akzeptiert.
Im Verlag Orell Füssli erschienen einige der wichtigsten Werke der Epoche der Aufklärung, darunter der Vorgänger einer Zeitung, die heute als Neue Zürcher Zeitung weltweit bekannt ist, auch wenn sie inzwischen nicht mehr von Orell Füssli herausgegeben wird.
In der Schweiz ist die Sicherheitsdruckerei des Verlags vor allem deshalb bekannt, weil sie verantwortlich zeichnet für die Schweizer Banknoten und den Schweizer Pass. Aber auch Plakate, Postkarten, Landkarten und Kreditkarten wurden von Orell Füssli hergestellt.
Ist es die Fülle an Material oder die Rücksichtnahme auf moderne Lesegewohnheiten: Alle Beiträge der Festschrift sind extrem kurz, fast noch kürzer als das, was man heute im Internet finden kann. So reduziert der kürzlich verstorbene Hans Peter Treichler ein halbes Jahrtausend Bücher – natürlich reich illustriert – auf exakt sechs Seiten. Urs Leu, dem Leiter der Abteilung „Alte Drucke“ der Zürcher ZB, stehen drei Seiten zur Verfügung, um Leben und Leistung des Christoph Froschauer zusammenzufassen. Dieselbe Seitenzahl hat Wirtschaftshistorikerin und Aktienspezialistin Dagmar Schönig, um über die Wertpapierdruckerei Orell Füssli zu sprechen. All diese Autoren sind ausgewiesene und renommierte Kenner ihres Fachs und wissen, wie man zusammenfasst. Nichtsdestotrotz bleiben ihre Beiträge Amuse-Gueules, die einem den Mund wässern, ohne satt zu machen.
Die Beiträge erinnern auch hinsichtlich ihrer Gliederung an die Appetithäppchen auf einem noblen Büffet. Sie sind ohne allzu strenge Ordnung um die Themen, sprich die Produkte des Verlags, gruppiert. Den Banknoten wird dabei mit immerhin 40 Seiten am meisten Platz eingeräumt. Einen roten Faden sucht man allerdings auch dort vergebens. Interviews, technische Details, die verschiedenen Serien, Firmengeschichte, Auslandsgeschäft, dazu Titel, die hübsch klingen, aber nicht immer den Inhalt eines Beitrags ahnen lassen. Dem Leser wird nicht allzu viel Hilfestellung geboten bei der Frage, welchen der Artikel er lesen soll.
Nun, wahrscheinlich hat das System. Die Festschrift will nämlich sicher eines nicht sein: ein Fachbuch über Orell Füssli. Sie gibt vielmehr Häppchenweise einen Einblick in Vergangenheit, Gegenwart, Herausforderungen, Leistungen und Produkte des Traditionsunternehmens. Sie ist eines dieser Coffee Table Books, mit denen man früher den Empfangsraum in noblen Haushalten ausstattete, um dem Wartenden mittels mundgerechter, aber bitte ja nicht anstrengender Lektüre die Zeit zu verkürzen.
Der fachlich interessierte Leser wird deshalb vor allem eines an dem Buch interessant finden: Das (leider sehr kurze und nicht nach Sachgebieten geordnete) Literaturverzeichnis.
Bei 128 Euro Ladenpreis für das Buch darf man sich durchaus fragen, welche Zielgruppe der Verlag anvisiert. Aber wahrscheinlich stand diese Frage bei einem Prestigeobjekt wie der Festschrift nicht im Mittelpunkt der Überlegungen.
Das Schweizerische Landesmuseum widmete der Druckerei eine eigene Ausstellung, über die wir natürlich berichteten.
Orell Füssli zeichnet natürlich auch verantwortlich für die Ausgabe der 8. Serie von Schweizer Franken. Wir berichteten unter anderem über die 200-Franken-Note und die 1000-Franken-Note.
Bestellen können Sie das Buch direkt bei Orell Füssli.