Was macht ein Museum aus? Es ist eine dieser Fragen, die auf den ersten Blick geradezu banal erscheinen, die aber jede Menge Sprengstoff in sich tragen, eben weil sie so grundlegend sind. Es geht um nichts weniger als den Fortbestand des Internationalen Museumsrats ICOM (International Council of Museums). Das oberste Gremium für Museen vereinigt unter seinem Dach 118 nationale Komitees, 30 Fachkomitees und etwa 37.000 Personen als Mitglieder. Gleich im Jahr seine Gründung (in Zusammenarbeit mit der UNESCO), 1946, hat ICOM klar definiert, was ein Museum ist.
Museen bewahren und deuten Kulturgüter
Ein Museum machten seither für ICOM – mit leichten Anpassungen – mehrere Grundelemente aus: Museen bewahren und deuten natürliche und kulturelle Objekte des Erbes der Menschheit; Museen verstehen sich dabei als Räume, in denen Kultur vermittelt wird, in denen es zu einem interkulturellen Dialog kommt und in denen Diskussionen und Bildungsvermittlung stattfinden. Zusammengefasst sind das die fünf „Säulen“ Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellungen und Vermitteln. Doch vor allem in den USA, Dänemark und Australien reicht den Fachleuten diese bisherige Definition nicht mehr.
Das Museum des 21. Jahrhunderts: Modern oder wischiwaschi?
Auf der 25. Generalversammlung von ICOM im August 2019 in Kyoto kam es zum Eklat. Der ICOM-Vorstand, insbesondere die Präsidentin Suay Aksoy sowie die dänische Kuratorin Jette Sandahl, hatte seine Mitglieder kurz zuvor mit einer vermeintlich zeitgemäßeren Definition überrascht. Demnach sollten Museen fortan verstanden werden als „demokratisierende, inklusive und polyphone Räume für kritischen Dialog über die Vergangenheit und die Zukunft … sie setzen sich auseinander mit den Konflikten und Herausforderungen der Gegenwart, indem sie Werke und Gegenstände als Treuhänder der Gesellschaft beherbergen. Sie bewahren unterschiedliche Erinnerungen für künftige Generationen und garantieren allen Menschen gleiche Rechte und gleichen Zugang zum Erbe“. Sie sollen dabei „partizipativ“ sein, „transparent“ und „zur menschlichen Würde beitragen, zur sozialen Gerechtigkeit, zu weltweiter Gleichberechtigung und dem globalen Wohlergehen“. Kurzum, Museen sollen eine Art NGO werden, die Menschen nicht nur Wissen um ihre Vergangenheit vermitteln, sondern auch gemäß einem speziellen (vor allem westlichen) Weltbild formen.
Wie The Art Newspaper berichtet, verließ der französische Museologe François Mairesse kürzlich eine Kommission, die von der Dänin Sandahl geleitet wurde. Seiner Meinung nach spiegelt der neue Definitionsvorschlag nicht die Diskussionen der vergangenen Jahre. Der Text sei keine konkrete Definition, sondern nur eine Ansammlung von gerade in Mode befindlichen Werten und viel zu kompliziert. Selbst der Louvre könnte nicht alle diese Vorgaben erfüllen, viele andere Museen erst recht nicht. Vor allem könnten sich Juristen auf eine solche unpräzise und weitgefasste Definition berufen – mit dramatischen Folgen.
Viele andere ICOM-Mitglieder sehen das ähnlich. Nach ihrer Ansicht geht ein zentraler Aspekt unter, nämlich dass Museen zunächst einmal materielle Hinterlassenschaften bewahren, untersuchen und darüber informieren. Die Vorsitzende von ICOM Frankreich, Juliette Raoul-Duval, soll den Text ein „ideologisches Manifest“ genannt haben, der frühere ICOM-Leiter Hugues de Varine hielt ihn nach einem Bericht in „The Art Newspaper“ für eine „ideologische Präambel mit übertrieben aufgeblähtem Blabla“, der dazu führen würde, dass sich Museen nicht mehr von einem beliebigen Kulturzentrum oder einer Bibliothek unterscheiden ließen.
Revolution und Konterrevolution
Frankreich und 28 andere Komitees verlangten während der Generalversammlung eine Verschiebung der Abstimmung auf unbestimmte Zeit. Dafür stimmten 70 % der Teilnehmer.
Im März 2020 luden verschiedene Länderkomitees zu einem Treffen in Paris. Sandahl weigerte sich teilzunehmen und schlug eine Neuabstimmung im Juni 2021 vor. Der Vorstand lehnte das mehrheitlich ab. Sandahl reagierte mit ihrem Rücktritt aus dem Vorstand, fünf weitere Mitglieder – darunter auch Präsidentin Aksoy – folgten wegen „mangelnder Unterstützung im Pariser Generalsekretariat“.
Der neue Präsident, der Italiener Alberto Garlandini möchte nun ideologische Gräben überwinden und eine konstruktive Diskussion führen. Diskussionsbedarf scheint es auch über die Definitionsfrage hinaus zu geben. Angeblich haben afrikanische Delegierte den westlichen Ländern vorgeworfen, die Dekolonialisierung und Rückgabeforderungen von einst geraubtem Kulturgut zu blockieren. Ein weiteres Minenfeld.
Juliette Raoul-Duval mahnt unterdessen, dass es bei diesen Themen um ICOMs Zukunft geht. Sie fragt: „Sollen wir ein politisches Werkzeug werden, geführt von Wissenschaftlern, oder ein Berufsverband bleiben, der nach professionellen Kriterien geführt wird?“
Vorerst sind weitere strategische Meetings geplant, eine virtuelle Generalversammlung im Juli 2021 und dann eine echte in Prag 2022. Offenbar sollen die Mitglieder aktiver in die Diskussion eingebunden werden, um das Schlimmste zu verhindern: ein völliges Auseinanderbrechen des globalen Museums-Dachverbandes.
The Art Newspaper berichtete ausführlich über die Auseinandersetzungen bei ICOM. Über die Generalversammlung 2019, den Ausgang in Kyoto und die Rücktritte im Juni 2020.
Auf der ICOM-Seite finden Sie in einem Statement die aktuelle Definition.
Dies ist die Seite von ICOM Deutschland.
Hier gibt es eine erste Äußerung des neuen ICOM-Präsidenten Alberto Garlandini.