Um noch nichts vom „Brexit“ gehört zu haben, hätte man die letzten drei Jahre unter einem Stein gelebt haben müssen. Die Wortschöpfung aus „Britain“ und „Exit“ wurde auf den angestrebten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU gemünzt und hat sich international durchgesetzt. Münzsammler, die die britische Politik verfolgen, haben vielleicht davon gehört, dass die Gedenkmünze auf den Brexit – sehnlich erwartet von einigen, verspottet von anderen – letzten Monat beinahe veröffentlicht worden wäre.
Nur wenige hatten das Ergebnis des Referendums im Juni 2016 richtig vorhergesagt: Das Vereinigte Königreich hatte sich dazu entschlossen, die EU nach 43 Jahren Mitgliedschaft – einer Mitgliedschaft voller Höhen und Tiefen, zugegeben – zu verlassen. Es gab Jubel, es gab Hohn. Es wurde gefeiert und es wurden bittere Sorgen über die Zukunft und die negativen Folgen des Verlustes der EU-Bürgerschaft geäußert.
Ein Ereignis von historischer Tragweite braucht doch eine Gedenkmünze!
Die letzte Frage, die die meisten normalen Briten in der Situation stellten, war: „Wird es eine Gedenkmünze auf den Brexit geben?“ Dennoch eine berechtigte Frage. Am 7. März 2017 unterzeichnete die damalige Premierministerin Theresa May ein Gesetz auf der Grundlage des Artikels 50 des Maastricht-Vertrages, in dem die Austrittsabsicht aus der EU spätestens bis zum 29. März 2019 erklärt wurde. Eine der größten Boulevardzeitungen des Landes forderte ihre Leser dazu auf, sich für die Ausgabe einer 50-Pence-Gedenkmünze einzusetzen, die an dieses denkwürdige Ereignis erinnert.
Im Oktober 2018 verkündete der britische Finanzmister dann, dass es tatsächlich eine Gedenkmünze geben würde, die den Austritt aus der EU thematisieren würde. Die Ankündigung erfolgte nach der Rede über den Jahreshaushalt und viele Sammler waren begeistert von der Nachricht. Die Bekanntmachung des Ministers schaffte es in die Schlagzeilen. Die Zeitung, die für so ein Andenken geworben hatte, verbuchte das als persönlichen Erfolg. Man hätte „die Regierung überzeugt, eine anhaltende Geste zu schaffen, die den Brexit als bahnbrechenden Moment der Nation kenntlich macht.“
Vorgänger
Die Idee einer Gedenkmünze war weder weit hergeholt noch ohne Präzedenzfall. Die zweite Gedenkmünze überhaupt, die in Großbritannien nach der Umstellung der Währung auf das Dezimalsystem 1971 ausgegeben wurde, thematisierte 1973 den Beitritt zur EWG, dem Vor-Vorgänger der EU. Es folgten zwei weitere Sonderprägungen mit Europa-Bezug, beide ebenfalls in Form von 50-Pence-Münzen mit der markanten siebenseitigen Form: 1992, als Großbritannien den rotierenden Vorsitz über den Europäischen Rat übernahm, und 1998, auf denselben Anlass. Die Ausgabe einer „finalen“ Europa-Münze auf den Austritt, so dachten sich sicher viele Münzsammler, würde diese Reihe vervollständigen und die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs zu einer Art logischem Abschluss bringen. Zumindest in ihren Sammlungen.
Rückschläge
Natürlich hängt die Ausgabe einer solchen Brexit-Münze im Wesentlichen von der Fähigkeit der Briten ab, so einen Austrittsvertrag mit der EU zu schließen und die Union tatsächlich zu verlassen. Zweimal schon kam es zu einer Verschiebung der Sonderprägung, über die viel geschrieben wurde. Abhängig von der jeweiligen Position im politischen Spektrum – gegen oder für den Brexit – war dieser Aufschub ein großer Lacher oder ein großes Ärgernis – und steht damit vielleicht stellvertretend für den Stand der Verhandlungen insgesamt. Schuldzuweisungen gibt es, wie in der gesamten Debatte, reichlich. Wenn man ganz penibel sein will, könnte man nicht sogar den Gestalter der Münze zur Verantwortung ziehen? Auf deren Rückseite findet sich schließlich, unter einem das Motiv ausmachenden Spruch, das geplante Austrittsdatum, ohne das die Münze ja nicht hätte zurückgezogen werden müssen!
Doch schauen wir uns nun den Text an: “PEACE, PROSPERITY AND FRIENDSHIP WITH ALL NATIONS, 29 MARCH 2019”, bzw. dann geändert auf “31 OCTOBER 2019”. Friede, Wohlstand und Freundschaft mit allen Nationen. Eine durchdachte Formulierung, der ein Zitat des dritten US-Präsidenten Thomas Jefferson zu Grunde liegt, der – und das ist vielleicht entscheidend – auch einer der Autoren der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung war. Das Zitat kann einfach den Wunsch nach anhaltender Freundschaft mit der EU zum Ausdruck bringen – oder aber durch den Bezug zum Unabhängigkeitskrieg als eine etwas provokante Botschaft gen Brüssel gelesen werden.
Fast geschafft
Da die Münzen das geplante Austrittsdatum trugen, hätte man dieses auch einhalten müssen, damit daraus kein teurer (man könnte auch sagen sehr sammelwerter) Fehler werden würde. Auftritt Boris Johnson, ehemaliger burschikoser Bürgermeister von London, der im Juli dieses Jahres in Nachfolge von Theresa May Premierminister wurde. Sein Motto: Austritt am 31. Oktober, ohne Wenn und Aber. Um dies zu untermauern, wies er das Finanzministerium tatsächlich an, mit der Produktion von 3 Millionen Brexit-Münzen zu beginnen. Die Royal Mint versicherte dem Finanzministerium, dass eine große Ladung der schon zu diesem Zeitpunkt viel beachteten Münzen am angepeilten Tag bereit sein würde. Anfang Oktober lief in der Münzstätte alles auf Hochtouren und nach Zeitplan, schließlich wollte man pünktlich wenigstens eine Million Münzen bereit haben. Dann beantragte die Regierung Johnson eine weitere Verlängerung des Austritts – und die Maschinen in der Münzstätte wurden angehalten. Das Finanzministerium veröffentlichte eine Pressemeldung und informierte die Öffentlichkeit, dass die signifikante Menge an fertigen 50p-Münzen, die ja nun das falsche Datum trugen, sämtlich wieder eingeschmolzen worden waren, kurz vor ihrer geplanten Veröffentlichung.
Die Austrittsfrist wurde nun also ein drittes Mal verlängert, diesmal bis zum 31. Januar 2020, zwischendurch wird es Neuwahlen geben. Werden die Brexit-Münzen es dann mit diesem Datum endlich in die Öffentlichkeit schaffen? Sie wissen ja wie man sagt: Aller guten Dinge sind drei. Tja, wer weiß, viele werden sich zu diesem Zeitpunkt keine allzu großen Hoffnungen machen. Man könnte auch Wetten darauf abschließen, ob nicht einige Exemplare der nie erschienenen Gedenkmünzen doch einiges Tages auftauchen, vielleicht ja noch vor den offiziellen Brexit-Münzen, und das zu schwindelerregenden Preisen? Halten Sie auf jeden Fall Ihre Augen offen, wenn Sie auf den einschlägigen Auktionswebseiten unterwegs sind!
Der Autor Michael Alexander ist Präsident des London Banknote and Monetary Research Centers.
Schneller als die Royal Mint waren die Münze Berlin und Cook Islands. Beide gaben Münzen mit unverfänglicheren Legenden aus.
Bei allem Ernst lässt sich das Hin und Her um den Brexit wohl nur noch mit Humor ertragen. Bereits nach dem Referendum tauchte der Brexit auch in Claire Franklins Cartoons auf.
Und auch heute bietet sie ihre Sicht der Dinge auf das leidige Thema.