Diese Geschichte könnte als Vorlage dienen für einen Roman oder Hollywoodfilm. Beginnen wir also mit der Heldin: Laura Young betreibt ein Antiquitätengeschäft im texanischen Austin. Manchmal sucht sie nach interessanten Stücken bei Goodwill, einem Trödelladen, dessen Erlöse für gute Zwecke eingesetzt werden. Man lässt sein Zeug am Hintereingang und fährt wieder weg, wie Young es beschreibt. Dort findet sie immer wieder interessante Dinge. Einmal, so erzählt sie The Art Newspaper, stößt sie auf ein chinesisches Gemälde, das sie für einen symbolischen Preis abstaubt und bei Christie’s für 63.000 Dollar weiterverkauft.
In unserer Geschichte läuft es nicht so gut für Young, zumindest nicht finanziell. 2018 bemerkt die Händlerin eine Marmorbüste auf dem Boden unter einem Tisch. Sie habe ziemlich schmutzig und alt ausgesehen. Für 34,99 Dollar nimmt Young sie mit. Genau genommen lässt sie sich das immerhin 23,5 Kilogramm schwere Schnäppchen von einem Goodwill-Angestellten in ihr Auto wuchten. Dort schnallt sie es ordnungsgemäß an und fährt heim.
Woher kommt diese Büste?
Doch bevor Young ihren Fund weiterverkauft, will sie wissen, was sie da eigentlich gekauft hat. Sie wendet sich an Experten der Universität Texas und an verschiedene Händler. Bei Bonhams bestätigt man ihr die Echtheit, aber ohne Provenienz könne man nichts weiter für sie tun. Dann gerät Young an jemanden, der das Rätsel löst: Bei Sotheby’s erkennt Jörg Deterling in dem Marmorkopf nicht nur ein Originalporträt von Drusus dem Älteren, dem Bruder des Kaisers Tiberius (eine Identifizierung, die allerdings nicht sicher ist), sondern vor allem kann Deterling die spektakuläre Herkunft aufklären.
Eine königliche Provenienz
Vor 1833 kauft König Ludwig I. von Bayern diesen Kopf an (wo und unter welchen Umständen ist nicht bekannt). Kurz danach treibt der Monarch ein Projekt voran, das ihm besonders am Herzen liegt: In Aschaffenburg am Main errichtet der Architekt Friedrich von Gärtner in den 1840er Jahren das sogenannte Pompejanum, den Nachbau eines pompejanischen Stadthauses in Originalgröße. Im Atrium dieser Anlage findet der Römer sein neues Zuhause.
Beutekunst ist Beutekunst ist Beutekunst
Im Zweiten Weltkrieg werden auch Aschaffenburg und das Pompejanum 1944/1945 bombardiert. Danach ist der Marmorkopf weg, bis er 2018 wieder in den USA auftaucht. Laura Young wendet sich mit diesen Informationen an die auf Kulturgutschutz spezialisierte New Yorker Anwaltskanzlei Amineddoleh & Partners. Dort rät man ihr selbstverständlich davon ab, zu versuchen ein derartiges Objekt zu verkaufen. Denn, wie die Kanzlei in einer Pressemeldung betont, bei dem Objekt handele es sich nach US-amerikanischem Recht offensichtlich um Beutekunst. Die Bayerischen Schlösserverwaltung, die für das Pompejanum zuständig ist, bzw. der Freistaat Bayern waren 1945 Eigentümer der römischen Büste und haben diese nie verkauft. Unter unklaren Umständen wurde das Kunstwerk gestohlen.
Amineddoleh erwähnt in der Meldung, dass die Nazis geschätzt fast 20% der Kunstwerke Europas systematisch geraubt hätten, wir sprechen von NS-Raubkunst. Nicht von oben verordnetes Plündern hingegen sei eine Frage der Gelegenheit und alle Soldaten auf der Welt täten das – von Kleinigkeiten wie Zigaretten bis hin zu Kunstobjekten („Beutekunst“). Damit wirft die Marmorbüste auch ein Schlaglicht auf die von alliierten Soldaten im Zweiten Weltkrieg geraubte Kunst. (Wir erinnern dabei an die sogenannte alchemistische Goldmünze aus Weimar.) Alleine im Pompejanum verschwanden zahlreiche weitere Objekte. Ob amerikanische Soldaten sich direkt bedienten oder vielleicht Einheimische damit auf dem Schwarzmarkt handelten, um an das zu kommen, was sie zum Überleben brauchten? Ob die Nachfahren eines Soldaten vor ein paar Jahren das geerbte Eigenheim entrümpelten und die Büste dann bei Goodwill kurzerhand abstellten? Wir wissen es nicht.
Rückkehr eines Schatzes
Laura Young jedenfalls lässt sich von ihrer Anwältin beraten. Die Kanzlei fädelt einen Deal ein: Bis 2023 wird die Büste im San Antonio Museum of Art ausgestellt. Danach kehrt sie zurück ins Pompejanum und an ihrer Stelle erhält das texanische Museum eine Replik aus Bayern. Wie die Bayerische Schlösserverwaltung der MünzenWoche auf Anfrage mitteilt, herrsche im Haus „große Freude über die Wiederentdeckung eines verloren geglaubten Stücks bayerischer Geschichte“. Die ehrliche Finderin soll darüberhinaus angemessen erwähnt werden. Und eine Entschädigung soll sie ebenfalls erhalten. Vielleicht rechnet sich der Fund damit auch finanziell für Laura Young. Vor allem freut sie sich, Teil der langen Geschichte dieser Büste gewesen zu sein. Young findet, der Kopf habe toll ausgesehen in ihrer Wohnung. Und wer kann schon von sich sagen, ein Objekt mit königlicher Provenienz in der eigenen Wohnung zu haben?
Zahlreiche Medien berichteten über den Fall, in Deutschland z.B. die FAZ und die Süddeutsche Zeitung.
Die Anwaltskanzlei Amineddoleh verfasste eine ausführliche Pressemeldung.
Hier ist die Seite des San Antonio Museum of Art.
Numismatiker kennen Ludwig I. natürlich vor allem für seine Geschichtstaler.