Bricht Ägypten seine eigenen Gesetze?

Wenn Ägypten sein strenges Exportverbot für Altertümer rückwirkend anwendet, würde selbst die ehemals legale Ausfuhr nachträglich kriminalisiert.
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Fast 10 Millionen US-Dollar erzielte eine ägyptische Statue aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. am 27. Januar 2022 bei Sotheby’s in London. Dabei war der Verkauf der etwa 80 cm hohen Figur aus Kalkstein illegal. Jedenfalls nach Ansicht der ägyptischen Regierung, die Sotheby’s noch vor der Auktion aufgefordert hatte, das Objekt zurückzuziehen und Ägypten zurückzuerstatten.

Solche Forderungen gibt es immer wieder, Grund dafür ist meist eine unklare Provenienz. Doch der aktuelle Fall liegt völlig anders und betrifft den Antikenhandel grundsätzlich. Die mit 3 bis 5 Millionen Dollar geschätzte Kalksteinstatue weist nämlich eine lupenreine Provenienz auf und übertraf auch deswegen ihre Schätzung um ein Vielfaches.

Die umstrittene Statue wurde während einer Expedition des Museum of Fine Arts in Boston und der Harvard University 1913 ausgegraben und 1921 völlig legal exportiert. Ägypten möchte diese Ausfuhr nachträglich für illegal erklären. Foto: Merriweather / CC BY-SA 4.0

Legale Ausgrabung, legaler Export

1913 grub der amerikanische Archäologe George Andrew Reisner Grab Nr. G 2415 im Großen Westlichen Friedhof bei der Cheops-Pyramide in Gizeh aus. Darin fand er auch die umstrittene Statue aus der späten 5. Dynastie (etwa circa 2440-2355 v. Chr.). Reisner arbeitete damals im Rahmen einer Kampagne der Harvard University und des Museum of Fine Arts in Boston; wie es damals üblich war, durften die Ausgräber einen Teil ihrer Funde mit der (dokumentierten!) Erlaubnis der ägyptischen Altertümerverwaltung 1921 exportieren. Das Museum of Fine Arts trennte sich 1978 von der Statue, die zunächst 1996 in einer Auktion bei Sotheby’s in London angeboten wurde und nun erneut. Eine solche unumstrittene Provenienz ist der Traum eines jeden Sammlers, denn nur selten ist es möglich, die Geschichte eines Fundstücks auch zu belegen. Wo also ist der Haken?

Neuinterpretation eines alten Gesetzes

Abdel Rahim Rihan, der Generaldirektor für archäologische Studien im Sinai, erklärte der Zeitung „Egypt Today“, warum Ägypten den Export mittlerweile für illegal hält.

Rihan begründet diese Ansicht mit dem Antiquities Protection Law, einem Gesetz von 1983, das dem Land Ägypten in Artikel 35 alle gefundenen Altertümer zuspricht und den Export verbietet.

Seine Sprengkraft erhielt dieses Gesetz allerdings erst durch eine Neuinterpretation von 2010. Über Jahrzehnte regelte das Gesetz nur den Umgang mit Neufunden. Erst 2010 kam es zu folgenreichen Änderungen. Ausdrücklich wurde der bisherige Artikel 9 komplett gestrichen, der die Möglichkeit des privaten Besitzes von Altertümern regelte. Dem Gesetzestext vorangestellt wurde eine von Zahi Hawass unterzeichnete Ergänzung. Darin betont Ägyptens damaliger Chef-Archäologe die Notwendigkeit, den früheren Usus der Fundteilung abzuschaffen. Das ist grundsätzlich verständlich, die gesicherte Beteiligung der Ausgräber an den Funden entsprach der Geisteshaltung der Kolonialzeit und ist sicherlich nicht mehr zeitgemäß.

Doch in Hinblick auf die Vergangenheit betonte der frühere Minister für Altertümer Mamdouh al-Damaty noch 2017, dass der Großteil des ägyptischen Kulturgutes nach der alten Gesetzeslage völlig legal exportiert worden sei. Auch er verstand das Gesetz von 1983 nicht rückwirkend.

Nun aber wendet Ägypten sein Antiquities Protection Law rückwirkend an, indem es frühere Vereinbarung des Staates Ägypten für ungültig erklärt. Diese Interpretation verletzt das Grundprinzip des Vertrauensschutzes. Im Allgemeinen gilt unter Juristen: Man muss sich darauf verlassen können, legal zu handeln, wenn man die aktuell gültigen Gesetze beachtet. So wie dies seinerzeit die US-amerikanische Ausgrabungsexpedition getan hat.

Rückwirkende Gesetzesänderungen sind große Ausnahmen, die vor allem dem Gemeinwohl dienen sollen. Dieser politische Akt Ägyptens, alle früheren Ausfuhren nachträglich zu kriminalisieren, würde in der letzten Konsequenz bedeuten, dass kein Sammler, kein Museum außerhalb Ägypten jemals (legal!) ausgeführte Objekte der ägyptischen Kultur rechtssicher besitzen kann.

Ob Ägypten bald auch den Obelisken auf der Pariser Place de la Concorde zurückfordert? So könnte es dann vorher und nachher aussehen … Foto: Guilhem Vellut / CC BY 2.0

Kann man Ägypten in Zukunft noch vertrauen?

Sollte Ägypten dieses Rechtsverständnis nun flächendecken anwenden, stellt sich die Frage, wie verlässlich ausländische Institutionen mit dem Land zusammenarbeiten können. Könnten Leihgaben aus anderen Museen einfach beschlagnahmt werden? (Wie schnell das in der Realität passiert, zeigte sich beim Krimgold und dem Basler Herkules.)

Was ist mit dem Obelisken auf der Place de la Concorde? Aktuell wird dieses Pariser Wahrzeichen und älteste Denkmal der Stadt restauriert. 1829 hatte Muhammad Ali Pascha, der Gouverneur von Ägypten, das Monument dem französischen König Louis-Philippe geschenkt. Ein illegaler Akt, den Ägypten bald einklagen wird?

Handel und überhaupt der Umgang zwischen Menschen und Ländern basieren auf Vertrauen. Doch die rückwirkende Aufhebung von Zusagen und Abmachungen ist das effektivste Mittel, dieses Vertrauen zu unterminieren.

 

Soetheby’s hat die ägyptische Statue ausführlich im Auktionskatalog vorgestellt.

Hier lesen Sie den Artikel in „Egypt Today“.

Den Gesetzestext des Antiquities Protection Law finden Sie auf der UNESCO-Seite.

Auf einer anderen Seite gibt es noch den Originaltext mit dem gelöschten Artikel 9.

In diesem Artikel lesen Sie die Äußerungen von Mamdouh al-Damaty in ihrem aufschlussreichen Kontext.