Erbsen statt Goldbarren

Im Keller der deutschen Botschaft in Bern fanden die Schweizer Beamten am 8. Mai 1945 nur dürre Erbsen. Vom gesuchten Gold fehlte jede Spur. Illustration: Marco Heer.
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Auf Antrag des Politischen Departements beschließt der Bundesrat am 8. Mai 1945:

„Angesichts der weltgeschichtlichen militärischen und politischen Ereignisse ist der Zeitpunkt gekommen, in dem der Bundesrat die Tatsache feststellen kann, dass keine offizielle Reichsregierung mehr besteht. […] Die deutschen Vertretungen in der Schweiz sind zu schließen und deren amtliche Räume und Archive sind zu treuen Händen einer künftigen Rechtsnachfolgerin der nicht mehr anerkannten Reichsregierung in Verwahrung zu nehmen.“

Eine gähnende Leere

Um dies angesichts der Kapitulation Deutschlands möglichst reibungslos vollziehen zu können, verfügte die Bundesanwaltschaft schon am Vorabend einen geheimen Befehl der vorsieht, dass die deutschen Gesandtschaftsgebäude am Berner Willadingweg und an der Elfenstrasse am 8. Mai um 14 Uhr durch das Politische Departement übernommen und unter Polizeischutz versiegelt werden sollen. Die anschließende Inventarisierung der Häuser offenbart, dass die letzten Stunden des Deutschen Reichs in Bern dazu genutzt worden sind, um in den Heizungsanlagen große Mengen Papier aus der Welt zu schaffen und um in der Tresoranlage die Spuren der kriegswichtigen Gold- und Gelddrehscheibe zu beseitigen. Das Inventar der Bundesanwaltschaft liest sich nach Öffnung der Stahlschränke nüchtern: „Eine Kiste mit Umzugsgut, eine Blechbüchse mit Öl, eine weitere Kiste, deren Inhalt ausschließlich Lebensmittel, Konserven etc. darstellt, ein Karton enthaltend dürre Erbsen mit der Aufschrift: Ministerialdirektor Schroeder, Berlin W8, Auswärtiges Amt.“

Noch heute befindet sich die Deutsche Botschaft im Willadingweg 83, wo seinerzeit der Botschafter Otto Carl Köcher Goldlieferungen empfing und Dokumente zerstören ließ. Foto: Beat Estermann / CC BY-SA 3.0

Dokumente, Geld und Gold – alles musste verschwinden

Was am Nachmittag des 8. Mai von der jahrelangen, exterritorialen Betriebsamkeit übrigbleibt, ist das besenreine Resultat wochenlanger Vorkehrungen um belastendes Material, Dechiffriergeräte, Bargeld und vor allem außergewöhnlich viel Gold verschwinden zu lassen. Dass diese Hektik rund um die Gesandtschaft nicht verborgen blieb, zeigt ein von Bundesanwalt Balsiger am 5. Mai an die Berner Kantonspolizei adressiertes Telegramm: „Wir teilen ihnen mit, dass bei einem Wegtransport des Goldes durch Herrn Minister Köcher oder einen anderen exterritorialen Beamten polizeilich nicht eingegriffen werden darf. Hingegen sollte – aus informatorischen Gründen – dem Auto nachgefahren und festgestellt werden können, wo das Gold hingeschafft wird.“

Auch wenn schon seit längerem keine Protestnote mehr aus Berlin droht und das deutsche diplomatische Personal in der Schweiz, welches zwischen 1937 und 1945 von Otto Carl Köcher geleitet wurde, hauptsächlich damit beschäftigt ist, Vorkehrungen – für die Zeit „danach“ – zu treffen, traut sich die Eidgenössische Justiz keine Sekunde vor der „Stunde Null“ aus der Deckung ihrer Beobachterrolle. Diese Haltung pflegt auch die Spitze der Eidgenössischen Diplomatie, die in einer internen Note von Ende April festhält: „Die Schweiz, die das Hitler-Régime anerkennt und mit ihm diplomatische Beziehungen unterhält, wird sich im Dilemma befinden wie sie diese diplomatischen Beziehungen lösen kann. Trotzdem wird es kaum opportun sein, die Beziehungen zu Hitler abzubrechen, bevor die Alliierten den Krieg in Europa als beendigt erklären.“

Bis ganz zuletzt wurden im Heizungskeller der Botschaft Akten verbrannt. Das Bild der Bundesanwaltschaft zeigt die Aufräumarbeiten nach dem 8. Mail 1945.

Die Suche nach dem Berner Goldschatz

So kommt es, dass in Bern noch in der Nacht zum 8. Mai 1945 etliche Autotransporte zwischen der deutschen und der japanischen Gesandtschaft völlig unbehelligt hin und her pendeln. Kaum ist die Tinte auf den Kapitulationsurkunden jedoch trocken, beginnt die Suche nach dem Berner Goldschatz. Im Zentrum der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft steht der langjährige Hausmeister der Gesandtschaft, Karl Höbenstreit: „Seit Anfang April machte ich die Wahrnehmung, dass wöchentlich ein- bis zweimal aus Konstanz per Auto Gold nach der Gesandtschaft gebracht wurde. Das Gewicht der Kistchen variierte zwischen 20 – 30 Kilogramm. Nach meiner Schätzung mögen es ca. 15 Kistchen gewesen sein. Beschriftet waren sie mit: Absender – Auswärtiges Amt, Berlin.“

Später wird vermutet, dass es sich bei diesen Lieferungen um einen Teil des geheimen Dispositionsfonds des Berliner Auswärtigen Amtes gehandelt haben könnte, den Minister Köcher mit seinem Dienstwagen in Sicherheit bringen ließ. Doch das war nicht alles. Mehr Gold erreicht die Tresore am Willadingweg 78 per Bahntransport: „Donnerstag, den 19. April abends trafen etwa 1500 Kilogramm Kuriergepäck im Bahnhof Bern ein“, gibt Höbenstreit zu Protokoll. „Es betraf Säcke in denen Harasse waren, die Stroh enthielten und in der Mitte ein Kistchen mit Gold. Die Säcke waren plombiert. […] Ich musste nur die Säcke auspacken und die Harasse – ohne diese zu öffnen – in den Tresor verbringen.“ Auf die Frage ob er wisse, wohin das Gold weggeführt worden sei, antwortet der in jenen Tagen viel beschäftigte Hausmeister: „Nein. Ich hatte sehr viel mit dem Verbrennen von Akten zu tun und hatte deshalb nicht immer gesehen was zum Tresor gebracht, oder von dort weggetragen wurde.“

Drei Jahre später tappen die Ermittler noch immer im Dunkeln. Die Zeugenaussagen bleiben vage oder widersprechen sich. Auch von Schmuck ist nun die Rede und von einem Gesamtwert von über zehn Millionen Schweizer Franken; Geld, das prominenten Nazis das Untertauchen erleichtert haben könnte. Otto Carl Köcher – der übrigens in Basel aufgewachsen war – wird nach seiner Ausreise aus der Schweiz am 31. Juli 1945 von den Amerikanern festgenommen. Auch sie jagen das Gold der Berner Gesandtschaft, denn als Siegermacht erheben sie einen Anspruch darauf. Und Minister Köcher? Er wird im Gefangenenlager Ludwigsburg interniert und wählt am 27. Dezember den Freitod.

 

Dieser Artikel wurde zuerst im Blog des Schweizerischen Nationalmuseums veröffentlicht.

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