Als Howard Carter 1922 im Tal der Könige das Grab des Tutanchamun entdeckte, begann ein Medienhype, wie ihn die Welt der Archäologie wohl nie zuvor erlebt hatte. Für 5.000 Pfund verkaufte der Finanzier der Ausgrabung, Lord Carnarvon, die Erstberichterstattungsrechte exklusiv an die Londoner Times und in kürzester Zeit war die Welt im Ägyptenrausch.
Großzügig ließ Ägyptens Regierung, bei der die gefundenen Objekte verblieben, diese berauschte Welt teilhaben. Ab 1961 gingen 30 Kunstobjekte auf Welttournee – aus finanzieller Not. Hochwasser bedrohte zahlreiche archäologische Stätten am Nil. Dem British Museum zum Beispiel bescherten die 1,6 Millionen Besucher Redkordzahlen. Jetzt ist es wieder soweit. Angeblich zum letzten Mal.
Big Business mit Tutanchamun
Tutanchamun, der King der Pop-Archäologie, ist noch einmal auf Tour. Pop-Archäologie trifft die Ausstellung mit Hinblick auf die Inszenierung gut, wie der „Guardian“ meint. Sogar die passenden Pop-Songs laufen stimmungsvoll im Hintergrund. Auch die Zahlen sprechen für sich: 1,4 Millionen Besucher bei der letzten Station in Paris, in der Londoner Saatchi Gallery werden wieder Rekorde erwartet. Aber Ästhetik und Kultur beiseite: Die Sache ist knallhartes Business.
Wenn Sie an den Feiertagen als Familie ihrem Kind die 166 Objekte Tutanchamuns im Original zeigen möchten, muss Ihnen das umgerechnet schon gut 100 Euro wert sein sowie mindestens 30 Minuten Schlangestehen. Vorausgesetzt Sie kommen pünktlich im gebuchten Zeitfenster.
Die ägyptische „Egypt Independent“ hat über einen guten Kontakt zum Altertumsministerium ein paar Zahlen „geleakt“. Nach Ägypten fließen alleine für die Station in London 5 Millionen Pfund Sterling (etwa 6 Millionen Euro). Hinzu kommt eine prozentuale Beteiligung in Abhängigkeit von der Nachfrage. Ab 400.000 Besuchern gibt es ein Pfund pro Eintrittskarte, ab 500.000 Besuchern verdoppelt sich diese Summe nochmals. Und diese Besucherzahlen dürften schon nach ein paar Wochen zusammenkommen. Die Ausstellung läuft seit Anfang November noch bis Mai 2020. Außerdem sind 10 Prozent Beteiligung gesichert am Verkauf der Objekte, die im Museumsshop zu erstehen sind. Ob diese Einnahmen auch den Ausgrabungsstätten in Ägypten zugute kommen?
Das Grand Egyptian Museum – Tutanchamuns letztes Grab?
Der Generalsekretär des Ägyptischen Altertumsministeriums unterstützt diese Tour nachdrücklich: „Bitte schauen Sie sich diese Objekte an. Besuchen Sie sie, bevor sie nach Ägypten zurückkehren – für immer.“ Ein Schuft, wer darin eine Drohnung hören möchte.
Bislang tourten Teile der 5.000 Objekte, die mit Tutanchamun in Verbindung gebracht werden, regelmäßig. Doch Ende 2020 soll endlich das bombastische Grand Egyptian Museum eingeweiht werden. Dort finden sie ihre letzte Ruhestätte, pardon ihren endgültigen Ausstellungsort. So jedenfalls ist immer wieder zu lesen. Der Informant im Ministerium erwähnte allerdings, dass man in Verhandlungen sei, die Stücke noch bis 2022 weiterreisen zu lassen. Ob danach wirklich keines der Objekte mehr herausgegeben wird?
Kulturgut: Ein Geschäft wie jedes andere?
Der Vergleich mit der Pop-Musik liegt nicht so fern. Denken wir an die berühmten Abschiedstourneen, die gefolgt werden von einer Revival-Tour und einer allerletzten Show – schließlich müssen auch Musiker im Alter von etwas leben. Cher ist seit 2002 auf Abschiedstour(en), Chris Rea seit 2006. Und Tutanchamun? Auch hier wird es ganz prosaisch eine Frage der Finanzen sein. Allerdings ist das Interesse derart groß an ihm, dass es mittlerweile schon Touren mit Repliken gegeben hat. Vielleicht stören sich Besucher einer Pop-Archäologie-Ausstellung in Zukunft gar nicht mehr daran, dass sie nicht die Originale vor sich haben, wenn nur die Inszenierung stimmt. Auch Cover-Bands können erfolgreich sein.
Die genauen Zahlen, die hinter der Ausstellung stehen, hat Egypt Independent publik gemacht.
Dort finden Sie auch einen interessanten Artikel zu dem finanziellen Aspekt der Ägyptomanie.
Falls Sie sich die Ausstellung in London anschauen möchten, geht es hier zu den Tickets.
Als Hollywood-Spektakel und Pop-Archäologie ordnete der Guardian in diesem Artikel die Ausstellung ein.
Hier kündigte der Guardian die Ausstellung an.
Der gewaltige Neubau der Grand Egyptian Museum ist übrigens nicht unumstritten, er zog Gelder von anderen Stellen ab wie dem Schutz vieler Ausgrabungsstätten oder Personalkosten im laufenden Betrieb anderer Museen.