„Gedanken zur Gemeindegesetzesrevision“ lautet die Schlagzeile, die am 3. Mai 1924 auf der Titelseite des zweimal wöchentlich erscheinenden „Liechtensteiner Volksblatts“ prangt. Die eigentliche Nachricht des Tages aber versteckt sich auf Seite 2. „Das Gesetz betreffend die Einführung der Frankenwährung“ steht da zu lesen: „Die ausschließlich gesetzliche Währung ist der Schweizerfranken als Liechtensteiner Franken. Als gesetzliches Zahlungsmittel gelten diejenigen Münzen, Banknoten und andern Zahlungsmittel, welche in der Schweiz jeweils als gesetzliche Zahlungsmittel anerkannt sind.“ Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass im Fürstentum nicht länger mit der österreichischen Krone bezahlt werden kann, sondern nur noch mit dem Schweizer Franken: „Wo in liechtensteinischen Gesetzen, Verordnungen und Erlassen das Wort „Krone“ vorkommt, ist es durch das Wort „Franken“ und das Wort „Heller“ durch das Wort „Rappen“ zu ersetzen und der Betrag unverändert zu belassen, so dass sie nachher auf einen gleich grossen Betrag in Franken lauten wie früher in Kronen.“
Die „Schriftleitung“, wie sich die Redaktion nennt, ist skeptisch und kann sich die eingeschobene Frage „Was soll das heißen?“ nicht verkneifen. Was Wunder: Auf die im Ländle geltende österreichische Währung ist seit Jahren kein Verlass mehr. Ebenso wie in Deutschland hat der Erste Weltkrieg auch in Österreich eine Hyperinflation zur Folge. Seit 1914 verdoppeln sich die Preise Jahr für Jahr. Im Herbst 1921 fällt die Inflation in den Galopp und erreicht über 50 Prozent pro Monat, ab August 1922 gar mehr als 100 Prozent pro Monat. Mittlerweile betragen die Lebenshaltungskosten in Österreich nominal das Vierzehntausendfache der Vorkriegszeit. Weil Geld seinen Wert in Windeseile verliert, wird Verdientes oder Erspartes so rasch wie möglich ausgegeben oder in Devisen umgetauscht. Gehandelt wird wenn immer möglich in Naturalien; falls nicht, wird der Wäschekorb zur Brieftasche.
Die seit jeher mit der Donaumonarchie durch ein Wirtschafts- und Währungsabkommen eng verbundene liechtensteinische Wirtschaft liegt darnieder. Obgleich neutral, wird auch das Fürstentum von den wirtschaftlichen Sanktionen gegen Österreich schwer getroffen. Die Hyperinflation frisst Sparguthaben, Löhne und Renten auf, Betriebe schließen, Petroleum- und Kohlelieferungen bleiben aus, die Bevölkerung leidet Hunger. Liechtenstein droht zum Armenhaus Europas zu werden. Und so beginnt sich das Land allmählich von seinem östlichen Nachbarn zu lösen. 1919 kündigt Liechtenstein den Zollvertrag mit Österreich. Wien betrachtet das Fürstentum ab sofort als Zollausland und verlangt für Einfuhren aus Liechtenstein neu eine Importbewilligung.
Druck von Notgeld
Am schwersten aber wiegt für Vaduz die „Valutafrage“: Vor dem Krieg hat die österreichische Krone noch ungefähr gleich viel gegolten wie der Schweizer Franken; bis Kriegsende ist der Kurs auf einen Drittel gesunken, um anschließend ins Bodenlose zu fallen. Im Liechtensteiner Alltag wird das Kleingeld für das tägliche Leben knapp. Anfang 1920 schliesslich erlässt Fürst Johann II eine Verordnung, welche die Ausgabe von Notgeld vorsieht. Es handelt sich dabei um Gutscheine zu 10, 20 und 50 Heller, die nur auf liechtensteinischem Staatsgebiet gültig sind. Auf die Ausgabe von 1-Krone-Noten wird nur deshalb verzichtet, weil sich das Fürstentum den aufwändigeren Druck nicht leisten kann.
Allein, auch das neue Notgeld fruchtet nichts: Nur im äußersten Notfall greift die Bevölkerung zu den Hellerscheinen, denn auch der Not-Heller verliert – wie sein Vorbild im östlichen Nachbarland – weiter rasch an Wert. Derweil wird der stabile Schweizer Franken nach und nach zur inoffiziellen Währung. Die Bürgerinnen und Bürger sind die gigantischen Verluste der Nachkriegszeit leid, und allmählich bildet sich eine regelrechte Schattenwirtschaft auf Frankenbasis: Im Tausch gegen Waren und Dienstleistungen werden nach Möglichkeit nur noch harte Schweizer Franken in Zahlung genommen. „Niemand will mehr Kronen an Zahlungsstatt nehmen, alles will Franken“, konstatiert das Volksblatt im März 1920 lakonisch.
Derweil schmunzelt man im Schweizer Nationalrat über eine Anekdote: Ein Schmied im liechtensteinischen Balzers habe seinen Kunden eines Morgens kategorisch verkündet, er arbeite ab sofort nur noch gegen Bezahlung in Franken. Seine Kunden, Bauern aus der Umgebung, waren entrüstet, doch der Schmied setzte sich mit verschränkten Armen unter seinen Birnbaum und wartete ab. Weil es sich mit stumpfem Werkzeug aber schlecht arbeiten lässt, willigte schon tags darauf ein Bauer nach dem anderen ein – wenngleich nur unter der Bedingung, dass der Schmied seinerseits seine Kartoffeln in Schweizer Währung bezahle.
1923 streckt die Regierung in Vaduz, die lange Zeit die Ausgabe eigener – liechtensteinischer – Frankennoten favorisiert hatte, die Waffen: Das Volk hat gesprochen und den Schweizer Franken längst zur gängigen Währung gemacht. Unter der Führung der Christlich-Sozialen Volkspartei, der Wahlsiegerin der Landtagswahlen von 1922, richtet sich Vaduz nun konsequent nach Bern aus. Das Fürstentum schliesst einen Zollvertrag mit der Schweiz ab, und zahlreiche schweizerische Rechtsvorschriften werden übernommen. Das Sachenrecht wird nach schweizerischem Vorbild ausgestaltet, und nachdem die Schweiz ihre „vorbehaltlose Zustimmung“ gegeben habe, wie der liechtensteinische Geschäftsträger in Bern, Emil Beck, nach Vaduz berichtet, soll nun also auch der Schweizer Franken offizielles liechtensteinisches Zahlungsmittel werden. Das Währungsgesetz, am 11. April 1924 vom Landtag beschlossen und drei Wochen später im Volksblatt publiziert, ist zwar erst ein Entwurf. Doch die Referendumsfrist bleibt ungenutzt, und so tritt die Einführung des Schweizer Frankens im Fürstentum Liechtenstein am 26. Mai 1924 offiziell in Kraft.
Der Artikel wurde auf der Website des Schweizerischen Nationalmuseums erstveröffentlicht.
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