Perlentausch im Münzkabinett Berlin

Weben eines Sawiiya bei den Ye’kwana, Fuduuwadunha (Auaris), 2012 © Júlio David Magalhães Rodrigues.
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Inmitten der Sammlungspräsentation des Münzkabinetts Berlin ist vom 21. Januar bis 19. April 2020 die temporäre Intervention „Perlentausch: Wissen, Welten, Werte“ zu sehen. Anhand von vier ausgewählten Objekten des Ethnologischen Museums wird die Bedeutung von Glasperlen als kulturenübergreifende, bis heute verwendete Tauschmittel und zugleich als Material regional spezifischer Handwerkstraditionen veranschaulicht.

Zur Bedeutung von Glasperlen als Kulturgut und Tauschobjekt

Glasperlen verbinden weit voneinander entfernte Welten. Sie bilden Netzwerke zwischen dem globalen Norden und Süden, dem Osten und Westen. Hergestellt als glitzernde Massenprodukte sind sie zugleich Grundlage für komplexes Kunsthandwerk. Aus Tausch- und Zahlungsmitteln westlicher Reisender und Händler*innen wurden fern von Europa Symbole indigener Identität und individuelle Werke. Diese wiederum gelangten als Zeugnisse von Tradition und Kunstfertigkeit in die Museen. Glasperlen bewegen sich zwischen Wert- und Wissenssystemen: Den Sammler*innen ethnographischer Objekte dienten die Perlen als Währung, für die sie Gegenstände eintauschten, die aus ihrer Sicht um einiges wertvoller waren. Die Tauschpartner*innen wiederum verwandelten die Perlen durch ihre Kunstfertigkeit in neue Wertgegenstände und verliehen diesen Bedeutung.

Weltweiter Handel

Zahlreiche Beispiele aus den Sammlungen des Ethnologischen Museums zeugen von der weltweiten Verwendung von Glasperlen, die im Tausch auf mehreren Kontinenten zirkulierten. Sowohl Objekte, die im Tausch gegen Glasperlen erworben wurden, als auch kunstvolle, aus Glasperlen gefertigte Schmuck- und Kleidungsstücke aus Afrika, Zentral- und Süd- ostasien, Ozeanien, Nord- und Südamerika gelangten in die Sammlungen des Ethnologischen Museums. So integrierten zum Beispiel indigene Gruppen in Amazonien die vermeintlich billige Tauschware der Händler*innen in ihr Handwerk und im Fall der Ye’kwana, der Kayapó und an- derer sogar in ihre Mythologie. Die Herstellung der Perlen war ihnen ein Rätsel, zugleich glichen sie anderen Materialien wie bunten Samen, die sie seit jeher für Schmuck und andere Gegenstände verwendeten.

Perlenschurz für Frauen, 1912 von Theodor Koch-Grünberg für das Königliche Museum für Völkerkunde erworben © Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum / Martin Franken.

Theodor Koch-Grünberg und der Perlenhandel

Der Sammler Theodor Koch-Grünberg (1872 – 1924) besuchte 1912 auf seiner Reise vom Roraima zum Orinoko das Gebiet der Ye’kwana und dokumentierte den Tausch von Perlen gegen andere Gegenstände. Neben zwei historischen Perlenschurzen aus der Zeit um 1910, die Koch- Grünberg erwarb, sind in der Ausstellung zwei zeitgenössische Stücke zu sehen, die 2019 hergestellt und von der indigenen Organisation der Ye’kwana in Brasilien direkt angekauft wurden. Diese sind Partner des Kooperationsprojekts „Geteiltes Wissen“ im Ethnologischen Museum, bei dem ausgehend von der historischen Sammlung neue Verbindungen zwi- schen Museum und Herkunftsgesellschaften aufgebaut werden.

Die Bedeutung von Glasperlen bei den Ye‘kwana

Für die Ye’kwana im Amazonasgebiet an der Grenze von Venezuela und Brasilien spielen die Perlen bis heute eine wichtige Rolle im Kunsthandwerk und sind Ausdruck ihrer indigenen Identität. Perlenschurze, wie sie in der Ausstellung zu sehen sind, werden von den Frauen bei Festen getragen, Schmuckstücke aus Perlen je nach Modell selbst genutzt oder verkauft. Eine Videodokumentation in der Ausstellung veranschaulicht die aktuelle Bedeutung von Glasperlen bei den Ye’kwana und den Herstellungsprozess der Perlenschurze.

Zur Glasperlenherstellung in Gablonz

Viele Glasperlen stammten aus den Produktionsstätten in Jablonec nad Nisou (Dt. Gablonz an der Neiße) im böhmischen Isergebirge (Tschechien), wo ab der Mitte des 18. Jahrhunderts Glaskurzwaren wie Knöpfe, Steine, Perlen und Lüsterbehang in großen Mengen produziert wurden. In der sogenannten Gablonzer Industrie organisierten sich meist kleine Betriebe zu einem Herstellungs- und Vertriebsnetzwerk, das stark auf den Export ausgerichtet war. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden diese Betriebe in Tschechien verstaatlicht; die deutschen Hersteller siedelten sich in der Gegend um Kaufbeuren neu an. Die tschechische Firma Preciosa aus Jablonec stellt bis heute die Rocailles (runde Glasperlen) her, die bei den Indigenen Amazoniens besonders beliebt sind. Einige davon sind innerhalb der ständigen Sammlung des Münzkabinetts neben weiteren Beispielen von nicht-münzlichem Geld zu sehen.

Historisch wie gegenwärtig sind Glasperlen Bestandteil eines Handelsnetzes, in dem die Identifikation mit eigenen Kulturgütern Hand in Hand geht mit der Verbreitung und Vermarktung dieser Tradition. Begleitend zur Ausstellungsintervention bieten die Ye’kwana aus Brasilien von ihnen gefertigte Originalstücke im Museumsshop zum Kauf an.

Ausstellungsintervention: Andrea Scholz (Ethnologisches Museum), Christian Stoess (Münzkabinett) und Catalina Heroven (Generaldirektion) in Zusammenarbeit mit Vertreter*innen der Associação Wanassedume Ye‘kwana – SEDUUME sowie im Rahmen des von Andrea Scholz initiierten und koordinierten Kooperationsprojektes „Geteiltes Wissen“.

Weitere Ergebnisse der Zusammenarbeit mit den Ye’kwana und anderen indigenen Partner*innen im Rahmen des Projekts „Geteiltes Wissen“ werden ab 2021 im Humboldt Forum zu sehen sein.

 

Mehr Informationen finden Sie auf der Seite des Münzkabinetts Berlin.

Zur historischen Bedeutung von Perlen als Tauschmittel geht es auch in diesem Beitrag über traditionelle Zahlungsmittel aus der Sammlung Kuhn im MoneyMuseum Zürich.