Provenienzforschung – und was es bringt

Museum August Kestner, Johannes Schwartz und Simone Vogt, Spuren der NS-Verfolgung. Provenienzforschung in den kulturhistorischen Sammlungen der Stadt Hannover. Wienand Verlag, Köln 2019. 258 S., farbige Abbildungen. Hardcover, 24,6 x 17,5 cm. ISBN: 978-3-86832-551-5. 38 Euro.
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Provenienzforschung? Ist das nicht Geldverschwendung? Diese Frage hört man oft, wenn es ums Thema geht. Und doch ist es gerade in Zeiten staatlicher Begierden, Kulturgut zu monopolisieren, ein Thema, das jeden Sammler elektrisieren sollte. Denn kein einziges Objekt ist je aus eigenem Willen in ein Museum gewandert. Kuratoren haben gekauft, von Sammlern Geschenke erhalten, ja und manchmal waren sie Komplizen in einem Raub. Ihre Opfer war Bürger, die das Pech hatten, machtlos zu sein und Objekte zu besitzen, die das Interesse des offiziellen Kulturbetriebs erregten.

Die kulturhistorischen Sammlungen der Stadt Hannover haben sich zusammengeschlossen, um in einem Buch die Geschichten von Objekten zu erzählen, die sie recherchieren konnten. Es sind nicht allzu viele. Gerade deshalb sollte der Band Pflichtlektüre sein, allerdings nicht in erster Linie für Münzsammler und Münzhändler, sondern vor allem für Politiker, die immer noch an einfache Lösungen im Kulturgüterschutzbereich glauben.

„Spuren der NS-Verfolgung“ zeigt, wie komplex die Probleme sind, mit denen wir uns herumschlagen müssen, wenn wir Unrecht wieder gut machen wollen; Unrecht, das irgendwann einmal Recht zu sein schien, und dessen Geschehen nur wenige Jahrzehnte zurückliegt.

Man sieht jedem einzelnen Artikel an, wie viel Forschung notwendig war, um in Fällen mit einer ausgezeichneten Quellenlage ein rudimentäres Bild vom Geschehen zu gewinnen, ohne dennoch am Schluss in der Lage zu sein, abschließend zu urteilen.

Was ich damit meine? Nun, hier zwei Beispiele – inhaltlich stark gekürzt, aber dennoch eindrücklich.

Das Schicksal der Sammlung Albert Davids

Der Arzt Dr. Albert David sammelte Goldmünzen. Und ja, er war Jude. Wie alle jüdischen Ärzte, wurde ihm systematisch über Jahre hinweg ein immer umfangreicheres Berufsverbot erteilt und so die Lebensgrundlage entzogen. Währenddessen stellte ihm das Finanzamt seine Rechnungen. Sein Vermögen betrug im Jahre 1938, als man ihm die Approbation aberkannte, 59.618 Reichsmark. Davon berechnete man 504 Reichsmark Einkommenssteuer, 250 Reichsmark Vermögenssteuer und 40 Reichsmarkt Umsatzsteuer, schon das dürfte viel zu viel gewesen sein bei einem Mann, der nicht mehr praktizieren durfte. Dennoch war die Rechnung des Finanzamts noch wesentlich höher: Da nicht auszuschließen war, dass er das Land heimlich verlassen würde, schickte ihm das Finanzamt schon mal vorsorglich eine Rechnung über die in diesem Falle anfallende Reichsfluchtsteuer in Höhe von 14.904 Reichsmark. Sie war nicht sofort zu begleichen, sondern „nur“ als Sicherheit mit einer Bankbürgschaft oder Wertpapieren zu hinterlegen. Nun, wie immer man es nennen wollte, das Geld war weg. Und sollte Albert David nicht in der Lage sein, die Mittel aufzubringen, drohte ihm die Zwangsvollstreckung.

Im November eben dieses Jahres 1938 verwüsteten NS-Aktivisten nicht nur Synagogen und jüdische Geschäfte, sondern auch Arztpraxen. Und Goebbels forderte von den deutschen Juden am 12. November 1938 als „Sühneleistung“ eine Milliarde Reichsmark.

An diesem Tag setzte Dr. Albert David sein Testament auf. Er vermachte den größten Teil seines Besitzes seinem (jüdischen) Bruder. Zahlreiche Legate gingen an (arische) Kaufleute, Apotheker und Landwirte – wahrscheinlich hatte David bei ihnen Schulden, weil er seinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen konnte. Unter ihnen war ein (arischer) Arzt, dessen Verbundenheit mit dem NS-Regime heute erwiesen zu sein scheint, der aber laut der Aussage seiner Erbin eine freundschaftliche Beziehung zu Albert David gehabt haben soll. Ihm vermachte David seine Goldmünzen im Wert von 600 Reichsmark.

Haupterbe war neben Davids Bruder sein Vermieter. Von ihm war David völlig abhängig. Er hätte ihn – juristisch völlig korrekt – jederzeit aus seiner Wohnung werfen können. Das Amtsgericht ernannte den Vermieter zum Haupterben und überging die Ansprüche des (jüdischen) Bruders.

Und damit haben wir die Ausgangslage für einen Prozess, bei dem es nicht nur um das Recht, sondern auch um die Gerechtigkeit gehen soll. Vermachte Albert David aus freien Stücken die Münzen, die heute im Kestner-Museum liegen, dem Kollegen und haben deshalb dessen Nachkommen ein Recht darauf? Gibt es irgendwo auf der Welt weitere Verwandte von Albert David, die vielleicht einen größeren Anspruch hätten? Handelt es sich bei den Münzen überhaupt um die im Testament genannten? Wären diese Münzen nicht besser im Besitz der Öffentlichkeit aufgehoben als in denen eines Nutznießers seiner Verfolgung?

Schon dieser Fall scheint kompliziert genug, wenn man auch gefühlsmäßig eine Meinung dazu entwickeln kann. Das nächste Beispiel ist noch verwirrender.

Der Schatzfund von Zagórzyn

Es beschäftigt sich mit einem Schatzfund, der im Herbst 1926 oder Anfang 1927 zwischen Polen und Westrussland gemacht wurde. Es muss ein gigantischer Hort gewesen sein, dessen Prunkstück, ein Goldmultiplum im Gewicht von 48 Solidi, heute im Berliner Münzkabinett liegt. Ganz legal angekauft übrigens – oder zumindest wahrscheinlich.

Der polnische Archäologe und Museumsdirektor von Polen, Marian Gumowski, hatte seine Kollegen über den Fund informiert und ihnen wichtige Stücke im Auftrag des Besitzers zum Kauf angeboten. Involviert war dabei auch der mit Gumowski gut bekannte Münzhändler Philipp Lederer, der seinerseits vier Münzen aus diesem Schatzfund an das Kestnermuseum weiterverkaufte.

Aber waren diese Verkäufe tatsächlich rechtmäßig? Gibt es einen Grund, warum der Fundort nur ansatzweise beschrieben wurde. Wurde er systematisch verschleiert? Machte der Finder tatsächlich exakt zu dieser Zeit den Fund und nicht vielleicht später, als es bereits eine Gesetzgebung gab, die dem polnischen Staat das Recht an dem Fund zugesprochen hätte? Dürfen wir auf einen bloßen Verdacht hin postum den Ruf eines verdienten Wissenschaftler wie Marian Gumowski schädigen, der sich nicht mehr verteidigen kann? Werden wir jemals in der Lage sein, nachzuweisen, ob unser Verdacht gerechtfertigt oder eine Verleumdung ist? Ist es überhaupt den Aufwand wert, dies zu tun?

Sind wir wirklich so arrogant, dass wir glauben, das gesamte Unrecht, das in den vergangenen 300.000 Jahren Menschheitsgeschichte geschehen ist, in unserer Generation zurechtrücken zu können?

Beispiellose Komplexität

„Spuren der NS-Verfolgung“ ist ein überaus lehrreiches Buch. Es erzählt, was Menschen Menschen antun. Es beleuchtet die Schicksale von Sammlern, Händlern, die in einem rechtlosen Staat lebten. Oder sagen wir besser, in einem Staat, in dem der Staat die Gesetze so machte, wie sie ihm am besten dienten, und nicht seinen Bürgern.

Man kann nicht gleichgültig bleiben bei der Lektüre. Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zum Grundrecht des Menschen auf die Sicherheit seines Besitzes. Jedes Menschen, wohlgemerkt. Denn es ist eine existentielle Aufgabe des Staats, auch den Besitz seines Bürgers zu schützen.

 

Dass manche Vertreter des deutschen Staats dies vergessen zu haben scheinen, ist umso trauriger.

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