Weltmacht Portugal Teil 4: Das mittelalterliche Lissabon

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Irgendwann muss man sich der Wahrheit stellen: Man wird es nie schaffen, die großen Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, wenn man sich nicht in das touristische Getümmel wirft.

Ostersonntag, 5. April 2015

Uns traf diese Erkenntnis am Ostersonntag, als kein einziges entlegenes Museum wegen des Feiertags geöffnet war. Am Montag würde es nicht anders sein. Das bedeutete, wir mussten in die Altstadt, ohne Gnade.

In die Altstadt kommt man am bequemsten mittels der vielen Zahnradbahnen, die auf die verschiedenen Hügel hinauffahren. Wir erspähten eine, vor der nicht bereits eine lange Schlange aufs Einsteigen wartete. Wir kauften das Ticket und saßen eng aneinandergeschmiegt, die Hände auf die Geldbeutel gepresst, mit Touristen aus mindestens sieben verschiedenen Nationen im Bähnchen, das langsam nach oben wackelte.

Als wir oben angekommen waren, stellten wir fest, warum die Schlange so kurz gewesen war. Zu sehen gab es nämlich nur einen kleinen Park. Die Festung, zu der wir eigentlich gewollt hatten, lag auf einem anderen Hügel. Wir mussten also wieder nach unten und noch einmal mit dem Aufstieg beginnen.

Die Straßen, durch die uns unser Spaziergang führte, waren nicht überlaufen. Im Gegenteil. Wir hörten hier sogar in einer Stunde mehr Menschen portugiesisch sprechen, als während unseres gesamten Tagesausflugs nach Belem.

Danach entschieden wir uns gegen die überfüllten Bahnen und für einen gesundheitsfördernden Spaziergang. Bergauf. Es war ein Bad in der Menge. Wir schnauften an zahlreichen Souvenirgeschäften vorbei zur Kathedrale, die selbstverständlich nicht zu besichtigen war. Schließlich wollte die Gemeinde am Ostersonntag ihre Messe in Ruhe feiern. Was natürlich nur einen Bruchteil der Touristen von einem Besuch abhielt. (Wir gehörten zu diesem Bruchteil.)

Statue des Afonso Henriques. Foto: KW.

Wir schnauften weiter und kamen irgendwann beim Castelo de Sao Jorge an. Dabei handelt es sich immerhin um das älteste Bauwerk in ganz Lissabon.

Eingang zur Burg. Foto: KW.

Auf diesem Hügel sollen schon in vorgeschichtlicher Zeit Menschen gesiedelt haben. Die Römer errichteten hier ihre Fluchtburg. Als Colonia Felicitas Iulia diente sie der Erinnerung an den Sieg des Iulius Caesar über die Truppen des Pompeius. Auch die Araber hatten auf dem Burgberg ihr Stadtzentrum. Lissabon war damals einer der wichtigsten Häfen des Kalifats von Cordoba und deshalb ein hochrangiges militärisches Ziel, das endgültig erst von Afonso Henriques im Jahr 1147 erobert wurde. Deshalb setzte man ihm in den 30er Jahren ein monumentales Denkmal auf der zentralen Aussichtsplattform der Burg.

Diese Eroberung wurde mit Hilfe des christlichen Kreuzfahrerheeres durchgeführt, das sich auf dem Weg ins Heilige Land befand. Der heilige Bernhard von Clairvaux hatte mit seinen Predigten dafür gesorgt, dass sich nicht wie beim ersten Kreuzzug die Hefe des Volks auf den Weg machte, sondern ausschließlich die Elite der christlichen Ritterschaft inklusive der Könige Englands, Frankreichs und Deutschlands (nicht zu vergessen, die skandalumwitterte Eleonore von Aquitanien).

Und 164 Schiffe aus dieser Flotte, voll beladen mit normannischen Kreuzfahrern, landeten 1147 in Porto. Afonso Henriques versprach den Helden eine ordentliche Plünderung, wenn sie ihm dafür helfen würden, Lissabon zu erobern. Es dauerte ein paar Monate, aber nachdem die maurische Garnison die Stadt den Christen überlassen hatte, konnten die sich ordentlich schadlos halten. Und weil’s so schön (und lukrativ) war, gab’s als Rabatt gleich noch die Eroberung der maurischen Burgen Sintra und Palmela dazu. Ein Engländer namens Gilbert von Hastings wurde dafür zum Bischof von Lissabon ernannt, und ein paar Kreuzfahrer, die glaubten, genug für die christliche Sache getan zu haben, ließen sich in Portugal nieder. Die anderen fuhren weiter ins Heilige Land, wo sie überhaupt nichts erreichten. Sehr zum Entsetzen des heiligen Bernhard von Clairvaux, der dem Papst das Scheitern des Kreuzzugs als Strafe Gottes für die Sünden der christlichen Ritterschaft erklären wollte. Ach ja.

Natürlich hat sich das Castelo de Sao Jorge nicht 900 Jahre so gut erhalten, wie es heute da steht. Im Gegenteil. Es war eine Ruine, als es in den 1930er Jahren restauriert – oder besser wieder aufgebaut wurde.

Die Maßnahmen zum Wiederaufbau gehörten zur Politik des Antonio Salazar, der die Hauptstadt seines „Neuen Staats“ zu einer modernen Stadt ausbauen wollte, der man gleichzeitig ansah, dass sie auf den Siegen der Vergangenheit gründete. Und ein christliches Kastell, das den Mauren entrissen worden war, passte da natürlich prachtvoll auf die politische Agenda.

Wobei sich natürlich die wenigsten Besucher solch merkwürdige Dinge überlegen. Es sieht ja schließlich auch alles mittelalterlich aus. Nur ganz unbelehrbare Historiker wundern sich darüber, wie wenig es heute klar ist, in welch hohem Maße unser Bild von der Vergangenheit immer noch vom Nationalismus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg geprägt ist.

Wie auch immer, die Aussicht könnte prachtvoller nicht sein.

Und in dem neu erbauten Ausstellungssaal gibt es sogar Fundmünzen! Oder besser gesagt, Münzschnipsel. Sie stammen von Dirhems des Kaliphats von Cordoba und den Almoraviden.

Kalifat von Cordoba. Dirhem, 1000/1001. Künker 137 (2008), 3394.

So etwa dürften die Münzen ausgesehen haben, als sie noch komplett waren.

Pfaue im Castell de Sao Jorge. Foto: KW.

Wie gesagt, kaum ein Besucher war daran interessiert. Die meisten hielten die Pfauen, die überall in den Bäumen saßen und ihre heiseren Schreie ausstießen, für viel interessanter. Und auch wir fanden, dass sich so ein Ostersonntag Nachmittag wesentlich besser auf einer sonnigen Dachterrasse mit einem kühlen Cocktail verbringen ließ.

Ostermontag, 6. April 2015

In aller Herrgottsfrühe machten wir uns auf, um zunächst einmal unsere Weiterfahrt nach Evora zu organisieren. Als wir am Bahnhof Oriente ankamen, herrschte das Chaos. Nur ein Schalter offen, und vor dem war eine ewige Schlange. Und dann kam auch noch eine uniformierte Dame und führte die Anstehenden, einen nach den anderen, irgendwohin. Als wir an der Reihe waren, stellten wir begeistert fest, dass sie auch englisch sprach. Und so erklärte sie uns, dass heute die Bahn streiken würde. Morgen? Nein, Morgen nicht. Da wäre wieder alles normal. Was für ein Glück! Wir kauften also unser Bahnticket nach Evora und machten uns dann auf die Suche nach dem Oceanario.

Es regnete nämlich in Strömen. Und das Oceanario, eines der größten Aquarien in ganz Europa, war die einzige Sehenswürdigkeit mit Dach, die an diesem geheiligten Ostermontag offen hatte. In Folge dessen war uns die Entscheidung für einen Besuch leicht gefallen. Wir mussten dafür zum ehemaligen Expo-Gelände von 1998 fahren.

Was von der Expo übrig blieb, machte einen ziemlich tristen Eindruck und sollte allen Stadtvätern gezeigt werden, die sich überlegen, ob sie in ihrer Heimat tatsächlich eine Expo veranstalten wollen.

In endlosen Schlangen wanden wir uns zusammen mit gefühlten mehreren 100 Touristen an den Ticketschaltern des Oceanario in einer ewig langen Schlange, um dann in ein völlig überfülltes Aquarium gequetscht zu werden. Warum die mit zeitgenössischen Fliesen wunderschön gestaltete Halle nicht voller war? Ganz einfach: Der Weg zum Aquarium berührt sie nicht. Hier waren nur die Eingänge zu den Toiletten.

Ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so schnell durch ein Aquarium geeilt. (Wir wären noch schneller gewesen, wenn wir im Dunkeln nicht über so viele Kinderwägen gestolpert wären.) Vor den Becken waren Leib und Leben nämlich bedroht. Da waren zum einen die Kinder, die nicht an die Scheiben kamen und deshalb plärrten, dass einem die Trommelfelle platzten, dann gab es die Rucksackträger, die sich gedankenlos in alle Richtung wandten, und einem dabei ihre hart ausgestopften Riesenrückenbomben gegen empfindliche Körperteile rammten.

Kurz, wir hatten wirklich genug vom österlichen Lissabon. Großes Klabauter-Ehrenwort. Wir kommen wieder, aber sicher nie wieder an einem Oster-Wochenende.

In der nächsten Folge fahren wir in die Weltkulturerbe-Stadt Evora, wo wir nicht nur einen römischen Tempel, eine gotische Kathedrale, sondern auch eine Münzsammlung finden werden.

 

Hier finden Sie alle Folgen der Serie „Weltmacht Portugal“.