Portugal ist weit mehr als nur Lissabon, Porto und ein kleiner Streifen Land entlang der Küste. Portugal sind ausgedehnte Korkeichenwälder, große Viehherden, gigantische Weinberge und prachtvolle Kirchen irgendwo im Nirgendwo. Portugal ist eben auch das Alentejo, das Land jenseits des Tejo, mit seinen endlosen Wiesen, Weiden und Wäldern. Das Alentejo war und ist arm geblieben. Hier gehörte einigen, wenigen Großgrundbesitzern das Land. Sie lebten in ihren prachtvollen Stadtresidenzen, während ihr Boden von billigen Taglöhnern bebaut wurde, die sich keine ordentlichen Häuser leisten konnten.
Für den Touristen hat das den Vorteil, dass er eine eindrucksvolle Kulturlandschaft bewundern kann, die bis jetzt nicht zersiedelt ist. Und mitten in der Landschaft liegen Kulturschätze, von denen andere Länder nur zu träumen wagen. Megalithgräber oder ein mittelalterliches Juwel wie Evora.
Dienstag, 7.4.2015
Der Wecker klingelte morgens um 7.00 – MEZ, hier in Portugal war es mit 6.00 Uhr noch viel, viel früher. Wir schleppten uns aus dem Bett, aber weil wir nicht genau wussten, wie lange wir brauchen würden, um bis zum Bahnhof zu kommen, suchten wir uns halt so früh wie möglich ein Taxi. Während der Taxameter brav eine einstellige Summe anzeigte, forderte der Taxifahrer wieder einen Phantasiepreis. Was denn das Taxameter zu bedeuten habe? Nun, der Chauffeur erklärte gestenreich den Preisunterschied damit, dass sein Taxi für 4 Personen gemacht sei, und wenn weniger drin seien, dann müsse er eben mehr verlangen. Okay. Für die fantasievolle Ausrede zahlten wir ihm seinen kleinen Aufpreis.
Unser Intercity war für 8.50 angesagt. Was kam, würde in Deutschland nicht mal als Interregio durchgehen, aber nachdem wir ca. 15 Minuten auf die Abfahrt gewartet hatten, stellten wir fest, dass es fuhr.
Allmählich wurde die Gegend ländlicher. Wir glitten durch eine leicht hügelige Landschaft, in der von Zeit zu Zeit Kuh- und Schafsherden zu sehen waren, ehe wir nach knappen zwei Stunden in Evora ankamen.
Wir stiegen aus dem Zug aus und wunderten uns, warum sich all die anderen Passagiere beim Aussteigen so beeilten. Als wir den Taxistand gefunden hatten, wunderten wir uns nicht mehr. Die Amerikaner vor uns schnappten uns das letzte Taxi vor der Nase weg. Nur gut, dass eine junge Portugiesin noch langsamer gewesen war als wir. Sie bat den abfahrenden Taxifahrer, per Funk zwei weitere Taxis zu holen. Und das war gut so, denn zu Fuß hätten wir es nur schwer geschafft. Der Bahnhof von Evora ist gut 15 Taximinuten von der Altstadt entfernt!
Evora gehört zu den ältesten Siedlungen der iberischen Halbinsel. Hier gibt es neolithische Spuren und die Megalith-Bauten rund um Evora sind beeindruckend.
Erst Erwähnung fand die Stadt als Ebora im Zusammenhang mit dem Aufstand des Sertorius. Der ehemalige Anhänger des Marius war vor dem Regime des Sulla nach Spanien geflohen, wo er noch vor dem Machtwechsel zum Prokonsul ernannt worden war. Deshalb verfügte Sertorius über eine Armee. Und diese Armee beeindruckte die Lusitanier, die immer wieder zum Opfer der Ausplünderungsaktionen römischer Politiker geworden waren. Sie baten Sertorius, sich an ihre Spitze zu stellen, um ihren Aufstand zu leiten.
Sertorius kam und organisierte ein Reich ganz nach römischem Vorbild. Er selbst residierte als Statthalter teilweise in Ebora und konnte sich, obwohl Pompeius persönlich den Feldzug leitete, sieben lange Jahre halten! Doch mit den militärischen Erfolgen schwand auch die Unterstützung durch die Lusitanier, so dass Sertorius im Jahre 72 v. Chr. ermordet wurde.
Unter römischer Herrschaft entwickelte sich Evora zu einem wichtigen Straßenverkehrsknotenpunkt, der sogar von dem nimmermüden Plinius dem Älteren besucht und in dessen Naturalis Historia als Ebora Cerealis erwähnt wird. Tatsächlich lebt man auch heute noch in der Stadt hauptsächlich von der Landwirtschaft, wobei die einst fruchtbaren Äcker in Weiden verwandelt wurden.
584 eroberte der visigotische König Leovirgild die Stadt. 715 kam sie unter moslemische Herrschaft.
1165 gewannen die Christen sie zurück. Das blutrünstige Wappen von Evora erzählt diese Geschichte bis heute. Es zeigt Geraldo den Furchtlosen wie er mit blutendem Schwert über die abgeschlagenen Köpfe des moslemischen Statthalters und seiner Tochter galoppiert. Einen besonderen Touch gewinnt das Wappen durch die Legende, dass es sich bei der Tochter um seine Geliebte gehandelt haben soll. Dieser furchtlose Geraldo wird übrigens gerne, und das wohl nicht zu Unrecht, mit dem spanischen Cid verglichen.
Im Mittelalter war Evora eine beliebte Residenz der portugiesischen Herrscher, die durchaus mit Porto und Lissabon mithalten konnte. Natürlich gab es hier auch eine Münzstätte, deren Erzeugnisse sogar in gesunkenen Schiffen vor Brasilien gefunden werden…
Vor allem im Sklavenhandel spielte die Stadt eine wichtige Rolle. Und dann gab es natürlich noch die von Jesuiten betriebene Universität.
Als der Marquis von Pombal, der für den Wiederaufbau von Lissabon verantwortlich zeichnete, diese Universität schloss, war das Schicksal Evoras besiegelt. Abseits gelegen von den wichtigsten Handelsverbindungen, geriet es mehr und mehr in Vergessenheit, worüber die Stadtväter heute sehr froh sind. Dadurch nämlich ist die Altstadt von Evora in ihrer Bausubstanz fast komplett erhalten. 1986 wurde Evora deshalb in die Liste der Weltkulturerbe-Städte aufgenommen.
Gott sei Dank ist noch kein portugiesisches Rothenburg ob der Tauber aus diesem Juwel geworden. Die Andenkenläden beschränken sich auf eine einzige Straße, die den Hauptplatz mit der Kathedrale verbindet. Noch stolpert man über mehr Sehenswürdigkeiten als Kitschläden.
Wir brachten zunächst unser Gepäck in die Pousada. Und fielen bei dieser Gelegenheit gleich über das Wahrzeichen von Evora, den römischen Tempel. Nun ja, wer in Italien, Südfrankreich und der Türkei Tempel gesehen hat, fällt bei seinem Anblick nicht gerade vom Hocker. Die lokale Überlieferung behauptet, Diana sei hier verehrt worden, was genauso falsch sein dürfte, wie dass Sertorius ihn erbaut hat. Viel eher dürfte er mit dem Kaiserkult in Verbindung stehen und irgendwann in der frühen Kaiserzeit errichtet worden sein. Er gilt als der besterhaltene Tempel in ganz Portugal. Sein Überleben verdankt er der Tatsache, dass man ihn im Mittelalter in die Stadtmauer integrierte und später ein Schlachthaus daraus machte, das bis ins 19. Jahrhundert in Funktion blieb.
Aber zurück zu unserer Pousada. Die ist zunächst einmal nichts anderes als ein spanischer Parador. Es ist ein von der Regierung angelegtes Hotel, das in einem historischen Gebäude untergebracht ist, in diesem Fall im Kloster dos Loios. Während die dazugehörige Kirche prachtvoll ist und ganz viel Platz bot, waren die Zimmer in der Pousada eher übersichtlich. Nun, klar, man hatte die alten Zellen in Zimmer umgewandelt. Und ich bin mir sicher, dass die Mönche problemlos mit dem darin zur Verfügung stehenden Raum klarkamen. Schließlich schleppten die nicht drei Koffer mit sich rum (zwei große und ein kleiner, so viel eben mit aller Mühe in einen Smart reingeht). Außerdem waren Doppelbetten eher seltener in Zellen anzutreffen. Wie auch immer, wir beschlossen, dass wir sowieso nicht allzu lange in unserem Zimmer sein würden.
So besichtigten wir gleich die Klosterkirche. Und da überkam mich die Erleuchtung. Loios war das portugiesische Wort für Eligius. Es hatte in Portugal tatsächlich einen Orden des heiligen Eligius gegeben, über den ich aber bis jetzt noch nichts genaues herausfinden konnte. Er könnte mit der Kongregation in Zusammenhang stehen, die der Venezianer Lorenzo Giustiniani im 15. Jahrhundert in aller Welt propagierte. Merkwürdig, ich sah unser Zimmer mit ganz anderen Augen, als mir bewusst wurde, dass wir sozusagen unter dem persönlichen Schutz des Patrons aller Numismatiker nächtigten.
Wir spazierten durch die wunderschöne Stadt. Ließen uns die Sonne ins Gesicht scheinen, während wir uns an den hiesigen Pasteis delektierten. Wir sahen uns ein paar Kirchen an. (Nein, ich werde sie nicht alle aufzählen. Sie hatten alle vorne Gold und im Kirchenschiff Kacheln.)
Wir kamen am Largo das Portas de Moura vorbei, und der war interessant. Zu sehen war dort ein Brunnen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, der so ganz nebenbei eine frühe Darstellung des Erdenballs mitten im Wasser zeigte. Schließlich hatte Magellan den Portugiesen mit seiner Weltumsegelung bewiesen, dass die Erde einen Kugel ist. Hier, in diesem unscheinbaren Brunnen, der so belanglos schien, verkörperte sich im 16. Jahrhundert Wissen um die Welt und Anspruch auf die Weltmacht.
Und irgendwann entschieden wir, eine weitere Lektion Portugiesisch mit dem Abendessen zu verbinden. Portugiesen sind nämlich unglaublich nett, vor allem wenn man versucht, ihre Sprache zu radebrechen. Unser Kellner wiederholte jedes portugiesische Wort, das ich versucht hatte zu sagen, mindestens 10 Mal, bis ich sogar die unauffälligste Silbe zweifelsfrei beherrschte.
Und so saßen wir idyllisch im Kreuzgang des alten Klosters und sahen auf die Orangenbäume und beobachteten eine kleine Wasserschildkröte, die in einem winzigen Steinbecken ihr Domizil hatte.
Mittwoch, 8. April 2015
Als wir aufstanden, war der Sonnenschein verschwunden und der Himmel hatte sich verdüstert. Noch regnete es nicht, aber das Wetter inspirierte einen zu dem Gedanken, wo man einen Regenschirm kaufen könnte. Wir entschieden uns, zuerst zur Kathedrale zu gehen, einem der ältesten Bauten von Evora. Man hatte bereits 1186 mit dem Bau begonnen.
Laut Kunstreiseführer sollen die Skulpturen am Eingang der Kathedrale zu den eindrucksvollsten Beispielen gotischer Plastik gehören, die in ganz Portugal aufzufinden sind. Wahrscheinlich täuschte unseren ersten Blick, dass diese Figuren auf Hochglanz poliert waren. Wir übersahen sie nämlich völlig. Aber nach der Lektüre des Reiseführers und so auf den zweiten Blick…
Die Kathedrale bot das Übliche. Einen prachtvollen, hohen Bau und viel Gold.
Dazu konnte man auf dem Dach herumspazieren und in die sich immer mehr eintrübende Gegend gucken.
Direkt neben der Kirche liegt das Museum von Evora. Es geht zurück auf die Sammlung seines Erzbischofs, Frei Manuel do Cenáculo, die dieser Anfang des 19. Jahrhunderts zusammentrug. Wie damals üblich interessierte er sich für Archäologie und Numismatik, sammelte dazu Bilder und historische Objekte aus der Gegend.
Seine Münzen sind in der mittleren Vitrine ausgestellt. Wohlgeordnet und gut bestimmt. Der Erzbischof interessierte sich natürlich auch für Italien und hatte in seiner Sammlung ein Bild von einem Ausbruch des Vesuvs. Dazu hatte er sich eine Daktyliothek angeschafft. Das bedeutendste Werk des Museums sind die Gemälde vom Hauptaltar der Kathedrale. Sie kommen aus Brügge und wurden im Jahr 1495 vom Erzbischof bestellt. Mit seiner farbenfrohen und detailgenauen Malerei übten die Bilder einen großen Einfluss auf die portugiesischen Künstler aus.
Als wir die Kirche verließen, goss es in Strömen. Es blieb uns also nicht viel anderes übrig, als uns das Kutschenmuseum anzusehen, dass wir sonst sicher nicht betreten hätten. Was wäre uns damit entgangen! Es handelte sich um ein Privatmuseum der in Evora höchst aktiven Stiftung des Eugenio d’Almeida. Alle ausgestellten Kutschen waren von seiner Familie noch benutzt worden.
Der letzte Erbe hatte eine Stiftung gegründet. Sie ist nicht ganz so reich dotiert wie die Gulbenkian Stiftung, aber für Evora ist sie ein Gottesgeschenk. Mit ihrem Geld wurde zum Beispiel der Palacio dos Condes de Basto renoviert, der in seinem Inneren wundervolle Fresken birgt, die enigmatische Bilder und Episoden aus der portugiesischen Geschichte darstellen.
Wir durften den Palast besichtigen, und ein Mitarbeiter der Stiftung kam extra, um uns die Türen zu öffnen. Und als er merkte, wie groß unser Interesse war, führte er uns in einen Raum nach dem anderen, ja, er ließ er uns sogar in das Archiv der Almeidas. Zu Beginn der Führung hatte er gemeint, er hätte vielleicht eine Viertelstunde Zeit. Als wir gingen, waren zwei Stunden verflogen. Aber was für einen Schatz hatten wir gesehen! Nicht nur die prachtvollen Fresken, sondern Urkunden über Urkunden! Und Rechnungsbücher, detailliert, ausführlich. Solche Rechnungsbücher geben ein besseres Bild vom Alltag der portugiesischen Oberschicht, als alle Architektur der Welt es könnte.
Leider habe ich keine Fotos (sonst wäre der Bericht noch wesentlich länger geworden), weil das Fotografieren strengstens verboten war. Ein Fehler. So werden viel zu wenige Leute darauf aufmerksam, was die Stiftung in Evora alles zu bieten hat. Sollten Sie jemals die Chance haben, hier einzukehren, zögern Sie nicht, es zu tun!
Wir hatten danach genug. Außerdem schüttete es in Strömen. Als wir wieder im Kreuzgang der Pousada beim Essen saßen, fragten wir uns ernsthaft, ob die kleine Schildkröte, deren Becken durch den Regen zu einer sprudelnden Quelle geworden war, vielleicht ertrunken sein könnte. (War sie nicht, wir sahen sie beim Frühstück einen kleinen Morgenspaziergang machen.)
Wir fragten uns, wie das Wetter am nächsten Tag sein würde, denn diesmal würde es keine Museen mit einem Dach überm Kopf geben: Wir planten, die Megalith-Bauten um Evora zu besichtigen. Was wir dort alles zu sehen bekamen, lesen Sie in der nächsten Folge. Nur eines schon mal vorweg: Es war spektakulär!
Hier finden Sie alle Folgen der Serie „Weltmacht Portugal“.
Ein Nachtrag noch zum Loios-Orden: Der Co-Autor des DuMont-Kunstreiseführers Portugal, Jürgen Strohmaier, machte mich darauf aufmerksam, dass der Orden tatsächlich Anfang des 15. Jhs. in Lissabon gegründet wurde und in diesem Jahrhundert durchaus einige Bedeutung erlante, allerdings eher im Norden. Er betrieb Klöster u.a. in Lissabon, Porto, Braga und eben Evora.