Das Forum Wissen der Universität Göttingen öffnete am 4. Juni seine Türen für die Öffentlichkeit. Im ehemaligen Naturkundemuseum, 1877 errichtet, sind nun Original-Objekte aus allen Universitätssammlungen unter einem Dach vereint. ATELIER BRÜCKNER hat das innovative Ausstellungskonzept auf 1.400 Quadratmetern realisiert: Es geht um „Wissen schaffen“ – um die Wissenschaft an sich. Besucherinnen und Besucher tauchen über begehbare Raumbilder in Prozesse und Praktiken wissenschaftlichen Arbeitens ein. Zur feierlichen Eröffnung am 31. Mai sprach der Niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil.
Das Forum Wissen vermittelt die Methoden wissenschaftlicher Forschung und trägt zugleich selbst dazu bei, dass Wissen entsteht. Begleiter auf dem Rundweg über zwei Etagen und 17 Ausstellungsräume ist eine App, die auf dem eigenen Smartphone oder einem Leihgerät genutzt werden kann. Mit ihr erschließen sich die Besuchenden die Sammlung und werden selbst zu Forschenden. Sie sammeln Objekte und können jene an Methodentischen erkunden. Der Raum „Verknüpfungen“ im Erdgeschoss des Museums vermittelt diesen Zugang; inhaltlich erfährt der Besuchende hier, wie Wissen wandert, sich verzweigt und vernetzt, beispielsweise vom Ausgrabungsort der Objekte über den Kunsthandel bis in die Universitätssammlungen, die wiederum zum Leihgeber werden.
Einführung und Überblick
Das Erdgeschoss des Museums stellt das Konzept des Hauses vor. Es dient der Einführung und dem Überblick. Einen Einblick in die Vielfalt der mehr als 40 unterschiedlichen Universitätssammlungen – von Ägyptologie und Astrophysik über Geowissenschaften, Ur- und Frühgeschichte und bis zur Zoologie – eröffnet das „Sammlungsschaufenster“. Die begehbare Großvitrine, die exemplarisch, wechselnde Objekte aller Sammlungen zeigt, birgt in ihrer Mitte einen Raum für Studienzwecke. Er steht Mitgliedern der Universität für Seminare, Meetings und zur Erforschung der Exponate offen.
Das Vorgehen des „Wissen-schaffens“, das im Obergeschoss des Museums Raum für Raum erfahrbar wird, zeigt eine Filmcollage im Raum „Praktiken“. Der daneben liegende „Freiraum“ bietet die Möglichkeit, auf aktuelle Themen zu reagieren und neue Diskurse anzustoßen, beispielsweise mit Sonderausstellungen. Im Obergeschoss entspricht ihm eine leere Vitrine pro Raum, die immer wieder neu bestückt wird, so dass neue Dialoge entstehen können.
Perspektivwechsel erwünscht
Der Raum „Perspektiven“ ist der erste Ausstellungsraum, den der Besucher des Forum Wissen betritt. Er lädt zum Perspektivwechsel ein. Ausgestellt sind Gipsbüsten berühmter Wissenschaftler, daneben auch rätselhafte Konterfeis wie Tiermasken und Kinderköpfe. Indem sich der Besuchende um die Exponate herumbewegt und seinen Standpunkt verändert, lernt er unterschiedliche Ansichten und Beschreibungen kennen.
Das Motiv des Perspektivwechsels greift der Raum Salon im Obergeschoss des Gebäudes auf. Umgesetzt gemeinsam mit dem Künstlerkollektiv Rimini Protokoll, lädt er ein, Debattenkultur kennen und verstehen zu lernen. Den herabhängenden Bubble-Chairs ist jeweils eine Sichtweise einer bestimmten Debatte zugeordnet. Der Besuchende nimmt in der Bubble Platz und ist aufgefordert, die akustisch eingespielte Meinung vor den anderen Salon-Gästen zu vertreten und zu verteidigen. Will er seinen Standpunkt wechseln, muss er die Blase verlassen und eine andere Kugel beziehen. Nur durch die eigene Bewegung ist eine Änderung der Wahrnehmung möglich. Historische Debatten, beispielsweise zur Aufrüstung in der jungen Bundesrepublik und zu Tierversuchen, sind an den Wänden des Salons dargestellt. Sie ergänzen das Raumthema exemplarisch.
Immersive Raumbilder
Über die Raumbilder der zwölf Wissensräume im Obergeschoss des Museums tauchen die Besucher intuitiv und immersiv in einzelne Forschungs- und Erfahrungswelten ein. Sie regen an, die wissenschaftlichen Methoden kennenzulernen. Die Besucherinnen und Besucher treffen auf ein Labor, eine Werkstatt und den unausweichlichen Holzweg. Kerndisziplinen und Praktiken wissenschaftlicher Forschung und Lehre werden erlebbar – etwa die Feldforschung, die Wissensvermittlung im Hörsaal und das Prinzip des Ordnens und Aufbewahrens, dem der Raum „Schränke“ gewidmet ist.
Er ist dicht an dicht mit Staumöbeln bestückt, die in ihrer Anordnung ebenfalls Ordnungsprinzipien wie Größe und Gewicht folgen. Schränke für Akten, Zeichnungen, Mineralien, Münzen und andere Preziosen sowie Kommoden und Vitrinen mit Schubladen prägen das Raumbild. Manche stehen offen, wecken die Neugier auf den Inhalt und führen zu darin hinterlegten Informationen.
Aus dem Blickwinkel einer Maus erkundet der Besuchende den Raum Schreibtisch. Notizblock, Bücherstapel, Schreibtischlampe und Notebook sind zehnmal größer als in Wirklichkeit. Hier geht es um das Erfassen und Beschreiben – eine Riesen-Aufgabe. Der Raum Markt widmet sich schließlich der Bewertung. Der Besuchende betritt gleichsam einen Messestand, an dem er seine auf dem Smartphone gesammelten Objekte tauschen und mit Blick auf ihren finanziellen, ideellen oder auch ästhetischen Wert einordnen kann. Die Frage „Welchen Wert haben die Sammlungsobjekte? Welchen Wert hat Wissenschaft?“ stellt sich.
Der Bücherturm und die Frage der Einordnung
Der letzte Raum des Rundgangs ist die Bibliothek, die als riesiger, begehbarer Turm aus hunderten von Büchern gestaltet ist. Sitzbänke im Innern laden zum Verweilen ein. In der Bibliothek sammelt sich geordnetes, aufbereitetes Wissen. Lexika, Geschichtsbände, Reiseführer, daneben auch der Schelmenroman „Till Eulenspiegel“ und profane Ratgeber zur Fettverbrennung. An einer Medienwand erhält der Besuchende Zugang zum digitalen Archiv der Universitätssammlungen. Hier speist er sein individuell gesammeltes Wissen in einen größeren Kontext ein. Wissenschaft wird fortgeschrieben.
Historischer Hintergrund: Die Sammlungen der Universität Göttingen
Die Sammlungen der Universität Göttingen wurden über einen Zeitraum von nahezu 300 Jahren hinweg aufgebaut und sind heute in Instituten und Archiven über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Im „Königlich Academischen Museum“ am Papendiek, 1773 als Einrichtung der Universität eröffnet, wurden, zeitgleich zum Aufbau einer Bibliothek, Naturalien und Artificalien für die Forschung und Lehre gesammelt. Schon damals waren die Bestände auch für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich. Durch die ständige Erweiterung und den Aufbau weiterer Sammlungen erwies sich das Academische Museum bald als zu klein. 1877 wurde das Naturkundemuseum an der Berliner Straße in nächster Nähe zum Bahnhof errichtet. Zuletzt waren dort das Zoologische Museum und das Zoologische Institut untergebracht. Nach einer umfangreichen Sanierung dient das historische Gebäude nun als Forum Wissen dem Konzept der Wissensvermittlung. Es geht um die Methoden. Wie vermittle ich Wissen? Und wie kann ich mir Wissen aneignen?
Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Forum Wissens.
Das Stavangers Museum für Handel und Schifffahrt wurde vor kurzem ebenfalls vom Atelier Brückner gestaltet.
Lesen Sie hier ein ausführliches Interview mit Professor Eberhard Schlag, einem Mitglied der Geschäftsleitung von Atelier Brückner.