Medaillen sind unterschätzt – sowohl was die heute dafür bezahlten Auktionspreise betrifft, als auch was ihre Verwendung als historische Quellen angeht. Meist werden Medaillen in Auktionskatalogen – und gelegentlich auch in sich wissenschaftlich gebärdenden Katalogwerken – ein bisschen lieblos beschrieben und vielleicht gerade noch ihr historischer Anlass auf der Basis eines Wikipedia-Artikels zusammengefasst. Gelegentlich nutzt sie ein innovativer Kulturwissenschaftler, um anhand der Medaille ein mediales Gesamtkonzept der fürstlichen Repräsentation nachzuweisen.
Doch das ist nur ein Bruchteil der Botschaften, die Medaillen enthalten. Sie sind zum einen ein wunderbares Selbstzeugnis dafür, wie ein Fürst sich in der Öffentlichkeit präsentierte. Sie sind zum anderen ein Zeugnis des höfischen Alltags, denn Medaillen wurden vor Ludwig XIV. nicht zum Sammeln geprägt, sondern spielten eine wichtige Rolle im Zeremoniell. Das Problem daran ist, dass es aufwändige Recherche braucht, um diese Rolle zu rekonstruieren. Man muss dafür in staubigen Archiven – mit meist höchst begrenzten Öffnungszeiten – nach Akten suchen und zeitgenössische Druckerzeugnisse konsultieren, um dann vielleicht ein Zipfelchen der Wahrheit zu erhaschen.
Die Historikerin Andrea Pancheri hat sich dieser schwierigen Aufgabe unterzogen. In minutiöser Kleinstarbeit bringt sie Medaillen zum Sprechen. Ihre Arbeit ist weit mehr als ein Katalog und ein neues Standardwerk für diese klar definierte Objektgruppe, sie ist ein Beitrag zur Erforschung des Phänomens Medaille in genere.
Die Jüngere Tiroler Linie und ihre Medaillen
Aber zunächst zu den behandelten Objekten. Die Autorin traf die weise Entscheidung, sich auf ein kleines, überschaubares Gebiet zu beschränken. Die von Leopold V. begründete „Jüngere Tiroler Linie“ besteht nur aus drei Herrschern: Ihrem Begründer Leopold V., der im Bruderzwist des Hauses Habsburg auf der Seite Rudolfs II. stand und 1630 von seinem Bruder Tirol als Herrschaftsanteil zugestanden erhielt; seinem Sohn Ferdinand Karl, der mit 4 Jahren die Nachfolge antrat und für den die Mutter Claudia de’ Medici die Regentschaft übernahm, und Sigismund Franz, der seinem Bruder Ferdinand Karl nach dessen frühen Tod in der Herrschaft nachfolgte, aber 1665 ebenfalls früh und kinderlos verstarb.
83 Exemplare von 27 verschiedenen Typen hat Andrea Pancheri ausfindig machen können. Wie selten Stücke dieser Linie sind, illustriert sie selbst mit der Tatsache, dass im Medaillenbestand des Münzkabinetts im Wiener Kunsthistorischen Museum von rund 60.000 Stück lediglich 23 Objekte zu ihrem Gebiet zählten. Diese überschaubare Anzahl gab ihr aber die Möglichkeit, jedem einzelnen Typ die Aufmerksamkeit zu widmen, die ihm gebührt. Sie hat Grundlagenforschung betrieben und die ihr vorliegenden Medaillen nach Funktion geordnet, denn die Funktionen von Medaillen sind so unterschiedlich wie die Medaillen selbst.
Grundsteinmedaille, Anlassmedaille, Auswurfmedaille & Co.
Es ist einleuchtend, welche Rolle Grundsteinmedaillen im Rahmen des Zeremoniells spielten. Zum einen wurde ein Stück in den Eckstein des Gebäudes bei der Grundsteinlegung eingemauert – ein Brauch, der in Einzelfällen noch heute gepflegt wird –, zum anderen waren diese Medaillen Geschenke an die hochrangigen Zeugen, die der Grundsteinlegung beiwohnten.
Ein Geschenk zu haben, das bei offiziellen Anlässen verteilt werden konnte, war im Übrigen häufig das Motiv eines Fürsten, Medaillen anzufertigen, so zum Beispiel im Falle Karls, der nach dem Ende der Erbteilungsverhandlungen eine Medaille in Auftrag gab, auf der die Brüder einträchtig abgebildet sind. Sie ist in so vielen Exemplaren vorhanden, dass eine Verteilung im größeren Kreis vermutet werden darf. Ein anderes häufiges Beispiel sind die Auswurfmedaillen, die während der großen Feste der Herrscher in die Menge geworfen wurden.
Schwieriger wird es bei den Stücken, die Andrea Pancheri als „Wahlspruchmedaillen“ bezeichnet. Sie zeigen eine Imprese, eine Art rätselhaftes Bild, häufig verbunden mit einem Motto, in dem der Fürst seine Herrschaftsvorstellungen subsummierte. Einen kleinen Hinweis für ihre Verwendung gibt ein Brief, der sich im Tiroler Landesarchiv erhalten hat, und der eine Verwendung als Gnadenpfennig nahelegt.
Gnadenpfennige als fürstliche Anerkennung und Teil der Entlohnung
Zahlreiche Quellen konnte Andrea Pancheri zur Praxis der Verleihung von Gnadenpfennigen lokalisieren. Sie geben Einblick in die Praxis des fürstlichen Schenkens, von der Bestellung der Gnadenpfennige auf Vorrat bis hin zur Organisation der Übergabe von goldener Kette mit Anhänger durch lokale Stellvertreter. Zu den Beschenkten gehörten nicht nur Personen, die dem Fürsten erhebliche Dienste geleistet hatten und deshalb eine Auszeichnung verdienten, sondern auch hohe Fürsten, denen Gnadenpfennige von besonders hohem Gewicht überreicht wurden.
Die Rolle der Sammler
Medaillen sind, wie jeder Sammler weiß, häufig in vielen unterschiedlichen Metallen überliefert. Andrea Pancheri nennt dafür einen guten Grund, der Insidern zwar bekannt ist, aber immer wieder erwähnt werden sollte: Gnadenpfennige galten als Ehrenzeichen, die auch von den Erben der Beschenkten als kostbarer Besitz gehütet wurden. Deshalb standen sie nicht zum Verkauf. Und so begannen die Kuratoren der fürstlichen Münzkabinette schon früh, Bleiabgüsse solcher Medaillen zu kaufen oder selbst anzufertigen, die dann ihrerseits wieder benutzt wurden, um weitere Medaillen herzustellen – je nach finanziellen Möglichkeiten des Sammlers in Gold, Silber, Kupfer, Blei oder Zinn.
Ein leicht lesbares Buch
Andrea Pancheri hat ein wunderbar anregendes Buch geschaffen, das sich durch ein leserfreundliches und frisches Layout auszeichnet. Mit modernsten graphischen Mitteln erleichtert sie es dem Benutzer, sich zurechtzufinden. Sie bricht dafür mit den wissenschaftlichen Sehgewohnheiten, was dazu führen könnte, dass manche ihre Arbeit unterschätzen und nicht so ernst nehmen, wie sie das bei einem bild- und gestaltungsfreien Text tun würden. Dies wäre grundlegend falsch.
Das Buch von Andrea Pancheri ist nämlich ein wichtiges Werk zur Erklärung des Phänomens Medaille. Das sorgfältig recherchierte Opus zeichnet sich dadurch aus, dass die Autorin transparent bleibt und klar angibt, wie sie zu ihren Schlussfolgerungen kam, welche Archive sie konsultieren konnte, aber auch welche nicht. Sie steht zu dem, was sie nicht weiß oder auf Grund der zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Manuskripts herrschenden pandemischen Lage nicht in Erfahrung bringen konnte.
Dadurch ist ihr Buch ein hervorragender Ausgangspunkt, von dem aus man weitergehen kann in der Forschung zur Rolle der Medaille in der komplexen und multimedialen Selbstdarstellung der Fürsten am Umbruch von Spätrenaissance zum frühen Barock.
Sie können das Werk für 39 Euro zuzüglich Versandkosten direkt bei der Autorin bestellen.