Man ist stolz in Athen auf das Numismatische Museum, und das zurecht. Schon in unserem Hotel fanden wir die Adresse und Öffnungszeiten prominent ausgehängt, zusammen mit denen des Nationalmuseums und des Akropolismuseums. Natürlich freuten wir uns auf den Besuch. Er war als Höhepunkt gedacht. Schließlich handelt es sich nicht nur um eines der weltweit bedeutendsten Münzkabinetts, sondern es ist dazu im Hause des bekannten Hobby-Archäologen Heinrich Schliemann untergebracht! Welcher Münzbegeisterte könnte dieser Kombination widerstehen?
Eine Gründung von nationaler Bedeutung
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Geschichte des Athener Münzkabinetts, denn sie hat sich stark auf seine Sammlung ausgewirkt. Eine nationale Münzsammlung für Griechenland wurde bereits am 21. Oktober 1829 gegründet, und zwar von Johannes Kapodistrias. Wer Euro-Münzen sammelt oder sie sich wenigstens gelegentlich ansieht, weiß, dass dieser Mann auf den griechischen 20 Cent-Stücken abgebildet ist.
Das hat einen Grund: Johannes Kapodistrias gilt – anders als König Otto oder Georg I. – als Gründervater des autonomen Griechenlands. Er schuf die Grundlage zu Institutionen, die das griechische Nationalgefühl stärkten. Dazu gehört zum Beispiel das Archäologische Nationalmuseum und natürlich eine Münzsammlung. Beide befanden sich damals noch am Regierungssitz in Ägina und hatten einen äußerst bescheidenen Umfang. Im Falle des Münzkabinetts waren dies exakt 359 Objekte. Heute zählt die Sammlung 600.000 Stücke.
Dieses enorme Wachstum verdankt das Kabinett nicht nur Funden aus Ausgrabungen, sondern vor allem Geschenken aus dem Ausland: Viele reiche Exilgriechen übergaben oder vererbten ihre Münzsammlung der griechischen Nation. Nennen wir an dieser Stelle Namen wie die Zosimas Brüder (18.000 Münzen und Medaillen), Pavlos Lambros (der Kauf seiner einzigartigen Sammlung von Münzen der Ionischen Inseln finanziert mit 25.000 Drachmen, die der in St. Petersburg lebende Alexandros Mourouzis zur Verfügung gestellt hatte) oder Ioannis Dimitriou, der seine in Ägypten zusammengetragene Sammlung von rund 10.000 Münzen der Ptolemäer und alexandrinischer Tetradrachmen dem Museum anvertraute. Dies sind nur die bedeutendsten der vielen Sammler, deren Sammlungen heute für das hohe Niveau der Ausstellungsstücke sorgen, die eben nicht nur aus Horten und Grabungen stammen, sondern von den bekanntesten Münzhändlern ihrer Epoche.
Die Münzsammlung wurde bald so groß, dass sie einen eigenen Aufbewahrungsort verlangte. Seit 1867 lagerte sie in einem Anbau der Griechischen Nationalbibliothek – sicherheitstechnisch gesehen unter suboptimalen Bedingungen. Es ist ein Trauerspiel, dass der seit 1887 geplante Umzug noch nicht stattgefunden hatte, als eine Räuberbande ihren Einbruch realisierte. Ein großer Teil der unwiederbringlichen Sammlung dürfte damals im Schmelztiegel gelandet sein.
Die Aera Svoronos
1890 wurde Ioannis Svoronos als Numismatiker im Athener Münzkabinett angestellt. Der in Berlin, London und Paris ausgebildete Wissenschaftler wurde 1899 zum Direktor des Kabinetts und diente in dieser Funktion bis 1922. Unter ihm gewann das Münzkabinett seine internationale Reputation. Seine Werke über das antike Kreta und die Münzprägung der Ptolemäer – basierend auf der Schenkung von Ioannis Dimitriou – sind heute noch Standardliteratur genauso wie etliche Artikel des von ihm begründeten und redigierten Journal Intérnational d’Archéologie Numismatique.
Seine Haltung zum Münzhandel – und die Tatsache, dass er genauso wie der Export antiker Objekte im Griechenland des Jahres 1922 als völlig legal betrachtet wurde – beweist eine kleine Bemerkung in einem seiner Werke, der Publikation der Fälschungen des Constantin Christodoulos (in Übersetzung aus dem Französischen): „Am häufigsten aber täuschen die Fälscher die Karawanen der Tausenden von Touristen, die als Erinnerung an ihre Griechenlandreise wenigstens eine antike Münze mitnehmen möchten. Diese reisen ab im Gefühl der Zufriedenheit mit ihren schönen Erwerbungen; aber in dem Moment, in dem sie entdecken, dass sie bestohlen wurden, [indem man ihnen eine Fälschung verkaufte,] verkünden sie in ihren Heimatländern, dass das moderne Griechenland – auch wenn die legendären Könige der Berge nicht mehr existieren – in seiner ruhmreichen Hauptstadt immer noch gelehrte Räuber beherbergt. Um auf die Schande zu reagieren, mein Land derart in Verruf gebracht zu sehen, habe ich in dem Moment, in dem ich zum Direktor des numismatischen Museums ernannt wurde, begonnen, die Meisterwerke unserer Athener Fälscher öffentlich zu machen. Zugleich schlug ich der Regierung meines Landes – als das einzige Mittel, die Fälscher und all die allmächtigen heimlichen Antikenhändler auszurotten – vor, den Handel selbst in die Hand zu nehmen wie die Museen von Ägypten, Berlin, London usw.: Man könnte Auktionen veranstalten und die Doubletten und die Vielzahl von Münzen und anderen antiken Objekten, von denen ein Gegenwert von Millionen in unseren Museen schlummert, tauschen. Durch ihren Verkauf könnten unsere Museen ein großes Kapital erwerben. Das würde ihnen erlauben, – wie unsere Archaiokapeloi regelmäßig zu einem guten Preis und ohne getäuscht zu werden – all die Funde zu erwerben, die Bauern und andere Personen zufällig machen.“ (J. N. Svoronos, Synopsis de mille coins faux du faussaire C. Christodoulos. Athen 1922. Nachdruck Basel – Amsterdam 1963, S. 3.)
Der Umzug ins Schliemannhaus
Seit Svoronos haben viele Direktoren und Direktorinnen des Münzkabinetts auf internationaler Ebene gearbeitet. Mando Oekonomides, Direktorin von 1964 bis 1994, gelang es, den Umzug des Münzkabinetts ins Schliemannhaus politisch durchzusetzen. Ihr Nachfolger Ioannis Touratsoglou, Direktor in den Jahren zwischen 1994 und 2002, realisierte ihn. Wer heute das Museum leitet, ist fraglich. Gemäß der hauseigenen Website ist es Georgios Kakavas, während Evangelia Apostolou für die numismatische Abteilung zuständig ist. Gemäß Wikipedia (und zwar der deutschen Variante) ist es Despina Evgenidou. Die Sache erklärt sich dank der MünzenWoche. Das Numismatische Museum leistet sich nicht nur einen Direktor, sondern auch einen „Honorary Director“.
Hochgestimmt machten wir uns also auf den Weg zum vermeintlichen Höhepunkt unseres Aufenthalts in Athen. Das Schliemannhaus zog uns gleich in seinen Bann. Es ist der wahr gewordene Jugendtraum eines zu Geld gekommenen Antikenfetischisten. Schliemann sagte von sich selbst, wie sehr er die engen Räume der ärmlichen Behausungen seiner Kindheit gehasst habe. Deshalb habe er mit seinem Geld ein Haus gebaut, in dem Luft und Licht allgegenwärtig seien. Und so eignet sich das für einen Privatmann erbaute Schliemannhaus hervorragend als Museum: Seine Räume haben eine Höhe und eine Größe, von der moderne Mieter nur träumen können.
Schliemanns Traum von einem mykenischen Palast
Am 30. Januar 1881 weihte der stolze Heinrich Schliemann zusammen mit seiner griechischen Gattin Sophia das prachtvolle Haus ein. Als Architekt diente ihm Ernst Ziller, damals der gefragteste Künstler von Athen. 439.650 Drachmen kostete der Bau. Er wurde im Stil der Neorenaissance errichtet. Das war durchaus programmatisch. In dieser Zeit wählte man den Stil eines Gebäudes nach seinem Zweck, und die Neorenaissance wurde mit Bildung und Bürgertum assoziiert.
Die Münzsammlung von Heinrich Schliemann
Heinrich Schliemann war nicht nur ein bekannter Hobby-Archäologe, sondern auch Münzsammler. Dies wissen wir, weil der in Wien geborene und ausgebildete Numismatiker Achilleas Postolakas, der 1856 an das Athener Münzkabinett berufen wurde, seine Sammlung katalogisierte. Das Originalmanuskript hat sich erhalten. Schliemann sammelte griechische, römische und spätrömische Münzen, die seine Witwe 1928 an das Numismatische Museum Athen verkaufte.
Die Münzen wurden im Arbeitszimmer aufbewahrt. Im Erdgeschoss gab es dazu eine Art Privatmuseum mit Objekten aus seinen Grabungen, die er wissbegierigen Besuchern gerne persönlich erklärte. Auch wir bewunderten das prachtvolle Erdgeschoss. Und wir waren natürlich begeistert von der Qualität der Münzen, die heute hier ausgestellt sind.
Besonders beeindruckend ist die Auswahl an Münzen der Stadt Athen. Hier findet man Raritäten, die selbst in Toppauktionen nur selten zu sehen sind: Von den frühen Wappenmünzen der Stadt, ehe Athena die Vorderseite eroberte, über ein Beispiel der berühmten Dekadrachmen-Serie, hin zu einem Goldstater von 295, geprägt aus dem auf der Akropolis deponierten Tempelschatz während der Belagerung durch Demetrios Poliorketes, und einem Rückseitenstempel für Tetradrachmen, nicht zu vergessen eine staatliche Notprägung, wie sie Aristophanes in seiner Komödie „Die Frösche“ 725-276 verulkt hat: „Genauso wie wir die alten und vertrauenswürdigen Münzen zusammen mit dem neuen Gold behandeln. Beide sind aus reinem Metall und werden in ganz Griechenland und dem Rest der Welt benutzt, aber wir benutzen sie überhaupt nicht und arbeiten stattdessen mit diesen nutzlosen Kupfermünzen, die wir nur ein oder zwei Tage zuvor mit einem möglichst schlechten Stempel geprägt haben!“
Schatzfunde im Numismatischen Museum
Natürlich verfügt das numismatische Museum auch über Schatzfunde, die aus ganz Griechenland hierher gebracht wurden. Der 1970 entdeckte Hort von Karditsa wurde etwa um 440 v. Chr. vergraben und enthält eine interessante Zusammenstellung von äginetischen Stateren. Kenner werden sich für den Fund von Olynthos begeistern, der 348 v. Chr. vergraben und 1931 geborgen wurde. Das genaue Datum der Verbergung kennen wir, weil der Hort mit der Eroberung von Olynthos durch Philipp II. in Verbindung gebracht wird. Ebenfalls prachtvoll sind die Münzen aus dem Hort von Korinth, der nach 330 v. Chr. in die Erde kam und 1930 wieder gefunden wurde. Die Goldstatere von Philipp II. und Alexander III. waren zusammen mit einer Goldkette im Apollontempel versteckt.
Die Vertreibung aus dem Paradies
Und wie wir da noch standen und uns im Münz-Paradies wähnten, kam der Erzengel mit seinem Flammenschwert vulgo eine Aufsicht, die uns freundlich mitteilte, dass unsere Viertelstunde um sei. Unsere Viertelstunde? Fragend sahen wir einander an. Ja, erhielten wir zur Antwort, jeder Besucher des Münzkabinetts dürfe pro Stockwerk lediglich eine Viertelstunde verbringen. Es sei wegen Corona. Da gäbe es jetzt diese neue Bestimmung.
Wir waren sprachlos. Das Numismatische Museum war nicht das erste Museum, das wir in Athen besucht hatten. Es war, um genau zu sein, das sechste. In jedem der vorhergehenden fünf Museen galt eine strenge Maskenpflicht und eine Höchstzahl von Besuchern pro Raum – übrigens auch in allen anderen Museen Griechenlands, die wir danach besichtigten. Eine Besucherbegrenzung pro Raum? Nichts dagegen zu sagen. Durchaus verständlich und sinnvoll. Warum sich aber ausgerechnet das Münzkabinett mit seiner großen Zahl von Objekten – im Erdgeschoss geschätzt gut über 1.000 Stück – und seiner geringen Zahl von Besuchern – wir sahen während unseres gesamten Besuches einen weiteren Sammler, der ebenfalls vertrieben wurde, und eine Familie mit zwei Kindern, die im Laufschritt durch die Säle eilte – ausgerechnet diese Regel gegeben hat, das übersteigt bis heute mein Vorstellungsvermögen.
Ich appellierte an die Vernunft – es ist doch nur eine weitere Person da und niemand wartet vor der Tür. Ich appellierte an das Herz – wir sind begeistert von Münzen, wir kommen aus Deutschland, wir werden so schnell nicht mehr die Chance haben, die Schätze des Kabinetts zu sehen. Ja, ich ließ mich sogar zu den Numismatikern im Untergeschoß führen und bat darum, als Kollegin vom Fach ein bisschen mehr Zeit zugestanden zu bekommen. Ob bei der Aufsicht oder bei der Kollegin, ich blitzte eiskalt ab. Ich hätte eben, so der wenig hilfreiche Hinweis der Kollegin, bereits im Vorfeld ein eMail an den Direktor schicken sollen, der mir dann eine Ausnahmegenehmigung hätte erteilen können. Nein, es täte ihr leid, aber so sei das nun mal: 15 Minuten pro Stockwerk und basta.
Wir waren sauer. Den Rest des Museums – byzantinische Münzen Siegel und Mittelalter im ersten Stock, moderne Münzen und Medaillen im zweiten – durcheilten wir im Dauerlauf. Deshalb kann ich Ihnen keine Fotos der Ausstellung zeigen.
Doch als wir immer noch wutschnaubend das Numismatische Museum verließen, eilte uns eine freundliche Aufsicht nach, die mitbekommen hatte, wie tief enttäuscht wir waren. Sie verriet uns einen Trick: Das Museum verlassen, im Café nebenan einen Kaffee trinken, nochmal ein Ticket lösen, um dann ein zweites Mal in jedem Stockwerk 15 Minuten zu bleiben.
Eine gute Idee: So kann man seine Besucherstatistik auch schönen.
Hier kommen Sie zur griechischen Website des Museums. Dank Google Translate werden Sie sich dort sicher zurechtfinden. Entdeckt habe ich die Website übrigens nur dank der englischen Wikipedia.
Wenn Sie in Zeiten von Corona nach Athen reisen und eine Sondergenehmigung erhalten wollen, länger als 15 Minuten pro Stockwerk bleiben zu dürfen, schicken Sie an den Direktor des Museum ein eMail.
Vor genau zehn Jahren waren wir das letzte Mal in Griechenland unterwegs. Wenn Sie uns durch den Norden des Landes begleiten wollen, lesen Sie noch einmal das Numismatische Tagebuch.