„Physisches Bargeld ist unersetzlich“ – Teil 1

[bsa_pro_ad_space id=4]

Im Oktober 2019 veröffentlichte Cash Matters, die Pro-Bargeld-Initiative der International Currency Association ICA, das Whitepaper „Virtually Irreplaceable – Cash as Public Infrastructure“ von Dr. Ursula Dalinghaus und führte Argumente dafür an, wie und warum Bargeld als öffentliches Gut verstanden werden muss.

Dalinghaus, Gastprofessorin für Anthropologie am Ripon College (Wisconsin, USA), ist assoziierte Wissenschaftlerin am Institute for Money, Technology & Financial Inclusion (IMTFI) der University of California in Irvine. Das IMTFI hat sich einen Namen als eines der führenden Institute gemacht, wenn es um die Rolle von Geld im täglichen Leben und Gebrauch geht und um den besten Weg zur finanziellen Inklusion.

Direktor des IMTFI ist Professor Bill Maurer, Mitglied der American Association for the Advancement of Science, Mitglied des Filene Research Institute, Dekan der School of Social Sciences und Professor für Anthropologie an der University of California, Irvine. Bill Maurer wird auch einer der Hauptredner beim Global Currency Forum 2020 der ICA in Barcelona sein.

Prof. Bill Maurer, Direktor des IMTFI.

Currency News: Professor Maurer, was hat Sie zur Gründung des IMTFI im Jahr 2008 bewogen?

Maurer: 2008 gab es große Veränderungen in der Welt des Geldes und des Zahlungsverkehrs. Die globale Finanzkrise, der Aufstieg von Smartphones und in Kenia der mobile Zahlungsdienst M-Pesa haben die Aufmerksamkeit von Expertinnen und Experten aus einem breiten Fachspektrum weltweit auf die Schnittfläche von Geld und neuen Technologien gelenkt. Wir haben das IMTFI gegründet, um die Perspektive der Forschung vor Ort zum Umgang mit Geld im Alltag der Menschen aus aller Welt zu vermitteln. Unsere Forschung soll gemeinnützigen Organisationen und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern helfen, die tiefgreifenden Auswirkungen der Technologie auf das Spar-, Ausgabe- und Zahlungsverhalten der Menschen zu verstehen. Wir wollten auch sicherstellen, dass politische und wirtschaftliche Entscheider jene Menschen berücksichtigen, die am stärksten von diesen technologischen Veränderungen betroffen sind. Auf internationalen Workshops und Konferenzen sprechen immer dieselben Organisationen und Referentinnen und Referenten. Wir haben das Ziel, dass Forschungsmittel genau dort eingesetzt werden, wo die Entwicklungen stattfinden, also beispielsweise gerade mobile Zahlungsdienste eingeführt werden. Die Idee bestand darin, einen globalen Braintrust aus neuen Expertinnen und Experten für Geld, Technologie und finanzielle Inklusion zu schaffen.

CN: Worin unterscheidet sich das IMTFI von anderen Institutionen oder Fakultäten?

Maurer: Der große Unterschied besteht darin, dass wir in erster Linie Anthropologen sind. Auch wenn wir im Laufe der Jahre viele Expert*innen aus anderen akademischen Bereichen – Design, Informatik oder Wirtschaftswissenschaft – unterstützt haben, so versuchen wir doch immer, einen anthropologischen Blickwinkel einfließen zu lassen. Wir bieten auch Schulungen in anthropologischen Methoden, wie z.B. ethnographischer Forschung, an, damit sie besser verstehen, was im Leben der Menschen in Bezug auf Geld und Technologie wirklich vor sich geht. Beispielsweise hatten Umfragen ergeben, dass Leute in Kenia M-Pesa verwendeten, um Schulgelder zu bezahlen. Unsere Forschung ergab, dass sie zwar Schulgebühren zahlten, das Geld oft aber zuerst für Rituale verwendet wurde, die den Übergang ins Erwachsenenleben kennzeichnen oder für den Kauf von Vieh als Geschenk zu einem wichtigen Meilenstein. Da ist so viel mehr als das, was die Menschen einem – meist ausländischen – Forscher erzählen werden. Wichtig ist für uns, den Forschungsgegenstand immer objektiv zu betrachten. Wir arbeiten keine vorgegebene Liste ab. Das gefällt nicht allen. Und last but not least veröffentlichen wir alle unsere Ergebnisse – das ist ein Grundwert, der sich aus der Zugehörigkeit zu einer öffentlichen Forschungsuniversität ergibt. Bei anderen Organisationen und Unternehmen gelten für die Durchführung von Forschungen oft Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitsvereinbarungen.

CN: Das IMTFI arbeitet mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt zusammen. Wie steuern Sie die globale Zusammenarbeit?

Maurer: Ha! Vom ersten Tag an war das ein Abenteuer. Der Schlüssel zu unserem Erfolg war das Team der UC Irvine. Es besteht aus einer Verwaltungsfachkraft, die für das Zeitmanagement zuständig ist, und einer kleinen Gruppe von Doktoranden und Postdoktoranden, die unsere Forscher*innen aus der ganzen Welt bei ihrer Arbeit unterstützen – mit Ratschlägen zur Methodik, Unterstützung bei der Vorbereitung von Präsentationen und Studien sowie bei der Veröffentlichung oder Verbreitung ihrer Forschungsergebnisse. Wir stellen uns dabei auch auf aktuelle Anforderungen und Umstände ein: Manchmal bedeutet das, Publikationen und Ausschreibungen über den guten, alten Postweg bekannt zu machen und Poster und Flyer aus Papier zu verwenden, anstatt nur auf E-Mails zu setzen.

CN: Worauf legt das Institut seinen Schwerpunkt? Können Sie über ein aktuelles Projekt sprechen?

Maurer: Wir möchten verstehen, wie sich die verschiedenen Interaktionen der Menschen mit Geld durch neue Technologien verändern – von neuen Zahlungsplattformen bis hin zu künstlicher Intelligenz bei der Finanzberatung oder bei der Entwicklung von Alternativen zur traditionellen Bewertung der Kreditwürdigkeit. Entscheidend ist, dass wir uns auf die Benutzerseite konzentrieren, auf die tatsächlichen Interaktionen der Menschen mit Geld und diesen Technologien, mit Fragen wie: Wo bewahren sie ihr Geld auf und warum? Wie sehen ihre Transaktionen im Alltag aus? Welche verschiedenen Systeme und Überzeugungen beeinflussen ihren Umgang mit Geld? Wir haben die Konzepte von „Monetary Ecology“ und „Monetary Repertoires“ entwickelt, um diesen Ansatz im Hinblick auf Geld und Technologie zu erfassen, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht. So haben wir vor kurzem eine Studie durchgeführt, in der wir untersucht haben, welche Lehren Menschen tatsächlich aus Fintech-Apps ziehen. Dabei haben wir uns hauptsächlich auf US-Collegestudentinnen und -studenten konzentriert, die Finanzverwaltungs-Apps wie Mint und Investitions-Apps wie Acorns verwenden. Herausgekommen sind faszinierende Ergebnisse, so beispielsweise die Art und Weise, wie junge Leute Bargeld als Mittel zum Sparen verwenden, indem sie es in einem Umschlag in einer Schublade aufbewahren, damit sie es nicht ausgeben, weil es so einfach ist, Geld über Venmo oder die Debitkarte auszugeben.

CN: Das IMTFI wurde ursprünglich von der Gates Foundation finanziert, wichtigen Unterstützern der Better than Cash Alliance. Im Hinblick auf Zahlungsmethoden ist das IMTFI neutral, jedoch verschiebt sich der Schwerpunkt zunehmend auf Bargeld. Wodurch kam es zu dieser Entwicklung?

Maurer: Wir haben ziemlich schnell erkannt, dass fast überall auf der Welt einige allgemeingültige Entwicklungen stattfanden. Erstens dienten die meisten der neuen mobilen Bezahlmethoden, an denen die Gates Foundation ursprünglich als potenziellen Bankingsystemen für Menschen ohne Zugang zu Finanzdienstleistungen (Banking the Unbanked) interessiert war, in Wirklichkeit als Zahlungsweg – nicht als Mittel zum Sparen, sondern als Mittel, um Gelder zu bewegen. Aus diesem Grund haben wir uns mehr und mehr auf Bezahlsysteme als eigenständiges Forschungsgebiet konzentriert. Zweitens stellten wir fest, dass weltweit neue Systeme die alten nicht ersetzten, sondern einfach dazukamen. Die Menschen nutzen eine Art des Bezahlens für eine bestimmte Transaktion und andere Bezahlformen für andere Transaktionen. Aber nicht das eine ersetzt das andere. Ich glaube, viele Menschen sind davon ausgegangen, dass zum Beispiel mobiles Bezahlen das Bargeld verdrängen würde. Stattdessen wurde mobiles Geld zu einer effizienteren Möglichkeit, Geld zu bewegen; der Zugriff hingegen erfolgt in Form von Bargeld.

 

Lesen Sie in der nächsten Ausgabe der MünzenWoche den zweiten Teil, diesmal mit dem Interview zu Dr. Ursula Dalingshaus’ Studie.

Wenn Sie sich für dieses Thema interessieren, legen wir Ihnen einen Besuch der Internetseiten von Cash Matters und dem IMFTI ans Herz.

Außerdem kann man das Whitepaper hier als PDF herunterladen (in Englisch).

Einen kurzweiligen Überblick über die Arbeit des IMFTI können Sie sich mit einem kurzen YouTube-Video verschaffen.

Wir berichteten bereits über die Veröffentlichung der Studie. Unter dem Artikel finden Sie weitere weiterführende Links.