Faszination Mittelalter – Die Sammlung Klaus Giesen, Teil 2 bei der Frankfurter Münzhandlung: Nach der Versteigerung des ersten Teils der Sammlung Klaus Giesen im November 2020 kommen nun die weiteren Gebiete von Sachsen bis Süddeutschland zur Auktion. Wie im letzten Jahr so gibt es auch in diesem Teil genaue Beschreibungen, historische und numismatische Anmerkungen. Wieder einmal zeigt es sich, dass Münzprägungen Zeugnisse der Geschichte sind und eine Momentaufnahme des damaligen, besonders des politischen Lebens zeigen. Die Numismatik des Mittelalters ist bekanntlich oft das einzige oder ein wichtiges Zeugnis der Ereignisse.
Zu den grundlegenden Eigenschaften der zum Kanon der klassischen Historischen Hilfswissenschaften gerechneten Disziplinen gehört, dass sie materielle Objekte (Sachquellen) untersuchen und in ihrer Analyse vielfach aufeinander bezogen sind: Für die wissenschaftliche Untersuchung einer mittelalterlichen Urkunde (Diplomatik = Urkundenlehre) braucht man neben Kenntnissen in der gebrauchten Schrifttype (Paläographie = Schriftkunde) auch ein vertieftes Wissen zum Siegelgebrauch (Sphragistik = Siegelkunde) und den gebräuchlichen Datierungsmöglichkeiten (Chronologie = Zeitrechnung). Diese Feststellung trifft auch auf die Numismatik zu, bei der ebenfalls verschiedene Schriftarten zu lesen und Chronologien zu entschlüsseln sind. Darüber hinaus betreffen Münzbilder aber auch noch eine weitere, heute kaum noch gelehrte, Hilfswissenschaft: Die Insignienkunde. In kaum einem anderen Bildmedium des Zeitraums zwischen 500 bis 1500 sind derart viele Herrschaftssymbole gebraucht und verbreitet worden, wie in der Münzprägung. Dies trifft insbesondere auf das Frühmittelalter (ca. 500-1050) zu, in dem die Anzahl der uns überlieferten Bildquellen besonders spärlich ist.
Während sich die meisten Münztypen der Karolingerzeit vor allem auf die Schriftinformation konzentrieren, entstehen in der ottonisch-salischen Kaiserzeit erstmal vielfältige Formen des Herrscherporträts. Einen Wendepunkt stellt hierbei insbesondere die Regierungszeit Heinrichs II. (1002-1024) dar, der als erster Herrscher sein Konterfei an vielen Orten auf die Gepräge setzen ließ (Los 548). Nun sind diese Bilder keine naturalistischen Porträts der jeweiligen Persönlichkeiten, sondern vielmehr ein Topos, der nicht die individuellen Züge, sondern die Attribute des Herrschers hervorhebt. Dies lässt sich schon daran erkennen, dass sowohl Otto III. (983-1002) als auch Heinrich IV. (1056-1106), die jeweils mit drei und sechs Jahren den Thron bestiegen, von Beginn an bärtig dargestellt werden.
Erstmals beschrieben werden die Insignien des Königs übrigens bei Widukind von Corvey (Res gestae Saxonicae, lib. I, cap. 25) in der Schilderung der Ereignisse um den Tod Konrads I. (911-919) und die Wahl Heinrichs I. (919-936): „[…] Das Glück, Bruder, ist mit der hervorragendsten Befähigung an Heinrich übergegangen, die Entscheidung über das Reich liegt bei den Sachsen. Deshalb nimm diese Abzeichen, die heilige Lanze (lancea sacra), die goldenen Armspangen (armillis aureis) mit dem Mantel (clamide), das Schwert (gladio) und die Krone (diademate) der alten Könige, gehe zu Heinrich und mache Frieden mit ihm […].“ Die dominierenden Symbole der Macht des Königs oder Kaisers auf den Münzen sind hierbei Krone, Zepter und Reichsapfel (Los 520). Es kommen aber auch Schwert und Fahnenlanze als Hinweise auf die kriegerische Funktion des Herrschers vor – politischer und militärischer Erfolg gingen Hand in Hand (Los 444). Ein gutes Beispiel hierfür ist die Schlacht auf dem Lechfeld (955): Nach dem Sieg über die Ungarn am Tag des Heiligen Laurentius soll das ottonische Heer Otto I. (936-973) zu Kaiser ausgerufen haben. Wenngleich man annehmen kann, dass der Chronist Widukind von Corvey hier eine antike Vorlage in Anlehnung an die römischen Soldatenkaiser kopierte, so verrät die Passage doch einiges über die Vorstellung von durch militärischen Erfolg legitimierter Herrschaft im Frühmittelalter.
Zudem könnte man in der Darstellung der Flügellanze in Verbindung mit dem Königsporträt auf einigen Münzen auch eine Abbildung der „Heiligen Lanze“ erblicken (Los 397): Sie ist das älteste Stück der Reichsinsignien und enthält angeblich ein Stück vom Nagel des Kreuzes Christi. Der Legende nach gehörte die Lanze entweder dem Heiligen Mauritius, Anführer der Thebaischen Legion, die unter Kaiser Diokletian (284-305) den Märtyrertod erlitt, oder dem römischen Hauptmann Longinus, der mit ihr den Tod Jesu am Kreuz überprüfte, indem er ihm damit in die Seite stach. Das 50 Zentimeter lange Original befindet sich heute in der Schatzkammer der Wiener Hofburg und wird dort ausgestellt.
Bei den übrigen Insignien lassen sich jeweils bestimmte Typen unterscheiden: Bei den abgebildeten Kronen reicht die Bandbreite der Darstellung von einfachen bandartigen Flachkronen über Bügelkronen (mit halbrundem Aufsatz) und Giebelkronen (mit dreieckigem Aufsatz) bis hin zu einfachen Bändern (Diademe) und zahlreichen Sonderformen besonders kreativer Stempelschneider. Zumeist sind die Kronen mit zusätzlichem Zierrat geschmückt, durch das Edelsteine oder Ornamente angedeutet werden sollten. Hinzu kommen aus der Spätantike oder aus Byzanz entlehnte Pendilien – Schmuckketten, die zu beiden Seiten der Krone herabhängen (Los 533).
Bei den Zepterformen begegnen einfache Kugelzepter neben Kreuzzeptern und Lilienzeptern (Los 398). Seit der Salierzeit verdrängt das Lilienzepter dann allmählich alle anderen Zepterformen aus dem Münzbild. Nur auf einem Würzburger Pfennig Heinrichs III. (1039-1056) erscheint auch ein Adlerzepter nach antikem Vorbild. Der Reichsapfel (Globus) – als Symbol der antiken Kaiser für die Herrschaft über das Erdenrund – erscheint als einfache Scheibe auf den Münzen sowie als Kreuzglobus oder Lilienglobus (Los 522). Erstmals erscheinen Zepter und Reichsapfel übrigens auf einem Denar Ottos III. (983-1002).
Bei den abgebildeten Insignien sollte man – ähnlich wie auch bei den Herrscherporträts – nicht immer in erster Linie nach dem Realismus der Gegenstände fragen, sondern vielmehr nach den jeweils vorherrschenden, sich abwechselnden und voneinander abhängigen Bildtraditionen. Ein Abgleich mit Handschriftenilluminationen, Bauplastiken und Wandmalereien erscheint ratsam, um nach den Vorlagen für die Stempelschneider zu suchen, die vielleicht selbst nie einen Herrscher zu Gesicht bekommen hatten und sich wahrscheinlich ebenfalls an anderen bildlichen Darstellungen orientierten. Münzen besitzen hierbei den Vorteil der Mehrfachüberlieferung und der wesentlich genaueren Datierung als Evangeliare oder Kirchenfresken. Ihnen verwandt sind die Siegelbilder, die ebenfalls vergleichend hinzugezogen werden können.
Mit dem zweiten Teil der Sammlung Giesen liegt nun eine große Anzahl an Münzbildern der ottonisch-salischen Zeit vor, die nicht nur im Hinblick auf die abgebildeten Herrschaftsinsignien vergleichend von Sammlern und Wissenschaftlern betrachtet und untersucht werden können. Dem Interessierten eröffnet sich hier eine große Bandbreite an Details der Darstellungen, die Münzen nicht nur in ihrer primären Funktion als Zahlungsmittel, sondern auch als Kunstobjekte und Bildmedien des Frühmittelalters erscheinen lassen.
Alle Lose der Auktion finden Sie im Online-Auktionskatalog.
Einen Sammelband, zu dem Klaus Giesen einen Aufsatz beisteuerte, haben wir in der MünzenWoche besprochen: Westfalia Numismatica 2013.
Bereits letztes Jahr haben wir den ersten Teil der Sammlung Giesen präsentiert.