Münzen, Nägel, Ketten, Nadeln und das kiloweise – im Magen! Pica-Syndrom nennen Mediziner das krankhafte Verlangen, Dinge zu essen, die man nicht essen sollte. Häufig handelt es sich um Dinge wie Asche, Kreide oder Seife, aber auch Zahnbürstenköpfe oder abgebrannte Streichhölzer können in den Magen wandern. Oder eben Münzen.
Münzen stehen selten auf dem Speiseplan
Seit 1975 verzeichnet die medizinische Fachliteratur nur sechs Fälle, in denen Menschen mit Pica-Syndrom auf Münzen fixiert waren. Doch die Fälle lassen einen staunen, was der menschliche Körper erträgt. Hätten Sie gedacht, dass man mit einer Stahlkette im Innern leben kann?
Man fragt sich: Wer in aller Welt kommt auf die Idee, Münzen zu schlucken? Und warum? Wohl kaum wegen der schlechten Verzinsung auf dem Bankkonto. Pica ist vor allem bei Menschen mit psychischen Störungen anzufinden, aber auch kleine Kinder und Schwangere sind betroffen. Allerdings wird man Kindern zugestehen, dass sie sich noch in einer Phase der Selbst- und Welterkundung befinden, Schwangere in einer Zeit der Veränderung, die nicht dauerhaft ist.
Kleingeld kann töten
Wirklich gefährlich wird es, wenn jemand seinen Speiseplan über Jahre und Jahrzehnte mit Kleingeld anreichert. So wie im Fall eines 62-jährigen Franzosen, der 2002 mit Magenschmerzen in eine Klinik eingeliefert wurde. Die Familie informierte die Ärzte sofort, dass der Mann psychisch krank war und immer wieder Münzen aß, die schon des öfteren entfernt werden mussten. Tatsächlich kamen bei einer OP rund 350 Franc- und Euromünzen (Gewicht: 6 Kilo, Nominalwert: ca. 570 Euro) heraus. Der Mann verstarb kurz darauf an Komplikationen.
Eisenwarenladen oder Verdauungstrakt?
Die Times of India listete im November 2017 auf, was ein Ärzteteam im nordindischen Rewa aus dem Magen eines 32-jährigen Patienten herausholte: 150 Eisennägel, 263 Münzen, eine Stahlkette für Hunde, ein langer Metallstreifen, eine Nähmaschinennadel, einen Eisenstachel … Die Münzen hatten einen Wert von 2.000 Rupien (etwa 24 Euro), alleine die restlichen Objekte wogen 2 Kilo – ohne die Kette. Nach Aussage eines Arztes hatte der Patient aus Depression ein Jahr lang Metallgegenstände verschluckt, ohne dass seine Familie dies bemerkte.
Ein neuer Rekord: 8 Kilo Geld
Ein 51-jähriger Japaner stellte 2017 einen traurigen Rekord auf: 1.894 Münzen im Gewicht von gut 8 Kilo holten Ärzte aus seinem Magen. Die Ärzte dokumentierten ihren Fund penibel: 140 1-Yen-Münzen, 99 5-Yen-Münzen, 1.642 10-Yen-Münzen, 8 50-Yen-Münzen und 5 100-Yen-Münzen. Diese ungeheure Menge von Metall hatte bereits zu einem Loch in der Magenwand geführt.
Obwohl die 10-Yen-Münzen zu 95 Prozent aus Kupfer bestehen, lagen die Blutwerte des Kranken im Normbereich. Anscheinend hatte der Mann, der seit Jahrzehnten an Depressionen und Schizophrenie litt, diese unglaubliche Anzahl von Münzen in relativ kurzer Zeit verschluckt. Es war sein Glück, dass das Geld noch nicht korrodiert war.
Zink oder Kupfer? Tod oder Leben?
Mehr noch als die Masse des Geldes entscheidet das Metall über die Konsequenzen. Eine Amerikanerin hatte 2008 den damaligen „Rekord“ aufgestellt: 600 Münzen holten Ärzte aus dem Magen der unter Schizophrenie leidenden Frau. Die meisten Stücke waren Pennies, bei denen (aus Kostengründen) nur noch eine dünne Kupferschicht um einen massiven Zinkkern liegt. Nachdem sich das Kupfer gelöst hatte, führte das Zink bei der Patientin zu einem multiplen Organversagen.
Anders sah die Lage in den 1980ern aus, als die Pennies hauptsächlich aus Kupfer bestanden. Damals ging ein Mann in den USA wegen Müdigkeit zum Arzt. Wie sich zeigte, war die Ursache der hohe Kupferwert in seinem Blut – verursacht durch verschlucktes Geld.
Kinder und Münzen: Auf die Währung kommt es an
Kinder nehmen gerne alles Mögliche in den Mund, das kann auch mal eine Münze sein. Als Eltern fragt man sich sofort: Wie gefährlich ist das, wenn das Geld erstmal unten ist? Die gute Nachricht (in Europa): Eine Studie hat gezeigt, dass die Euro-Münzen, auch wenn sie von der Magensäure angegriffen werden, keine scharfen Kanten bekommen, sondern verhältnismäßig ungefährlich bleiben. Das gilt ebenso für die Abgabe von Metall. Viel gefährlicher sind hingegen US-Münzen, die leichter zu inneren Verletzungen und erhöhten Zink-Werten im Körper der Kinder führen.
Zu dem Thema Münzen und Gesundheit können Sie sich ausführlich informieren (auf Englisch) im ersten MintWorld Compendium, das Sie gratis von unserer Seite herunterladen können.
Über den Fall in Indien berichtete die Times of India.
Den Fall des Japaners diskutiert ausführlich mit Bildmaterial die Fachzeitschrift „Acute Medicine & Surgery“ 5, 2 von April 2018.
Von dem Fall des kranken Franzosen berichtete NBC News.
Weitere Fälle erwähnt auch ein ausführlicher Artikel in Le Monde.
Ab wann man bei ungewöhnlichem Essverhalten von dem Pica-Syndrom spricht, erklärt der Wikipedia-Artikel.
Als ein Angestellter der Royal Canadian Mint Gold in seinem Enddarm aus der Münzstätte schmuggelte, handelte es sich also nicht um das Pica-Syndrom! Vielleicht hätte er versuchen können, sich damit auf eine psychische Erkrankung herauszureden …