Vanuatu ist ein östlich von Australien gelegener Inselstaat, der aus mehr als 80 Inseln und Inselgruppen besteht. Dieser Staat gilt als einer der ärmsten der Erde – zugleich aber auch als einer der glücklichsten der Welt. Dass das zusammenpasst hängt, jedenfalls nach Meinung einiger, mit Eberzähnen zusammen! Aber beginnen wir von vorne:
Vor allem auf den nördlichen und mittleren Inseln dieses Archipels gilt der Besitz von Schweinen traditionell als Zeichen von Wohlstand. Doch nicht jedes Schwein ist gleich wertvoll: Ihr Wert wird von der Größe und der Biegung ihrer unteren Eckzähne bestimmt – je größer und runder ein solcher Zahn ist, desto besser. Um dies zu erreichen, müssen zunächst die gegenüberliegenden Zähne im Oberkiefer des männlichen Ferkels herausgebrochen werden, so dass die unteren Hauer ungehindert wachsen können. Allerdings wachsen die Zähne dabei teilweise in das Fleisch des Tieres – ein sehr schmerzhafter Prozess! Bis die Zähne einfach gerundet sind, vergehen sieben Jahre. Im Idealfall wachsen die Zähne noch ein zweites und drittes Mal im Kreis, so dass ein entsprechend dicker, mehrspiraliger Zahnreif entsteht, der die Tiere teilweise derart behindert, dass sie gefüttert und mit der Flasche ernährt werden müssen. Diese Zahnringe erfordern also viel Zeit und Arbeit. Doch wozu der Aufwand?
Man braucht Schwein für den Aufstieg
Diese spiralbezahnten Eber spielten traditionellerweise vor allem im sozialen Gefüge sowie im Kontakt mit der Sphäre der Ahnen eine wichtige Rolle. Insbesondere in den nördlichen Regionen Vanuatus wurde die Gesellschaft durch Rangsysteme, teilweise auch durch Geheimbünde, strukturiert, die meist den Männern vorbehalten waren. Durch das Opfern oder Verschenken von Schweinen konnte man sich einen Rang „erkaufen“. Für den Aufstieg in diesem Gefüge waren neben den Schweinen jedoch auch das traditionelle Wissen der Ranghöheren und damit ihre Unterstützung nötig. Das Wissen, um dessen Aneignung es hier ging, war das Wissen um die Welt der Ahnen. Nur wer einen der höheren Ränge innehatte, besaß die Fähigkeit, mit den Ahnen in Kontakt zu treten. Die Ansammlung von Kapital allein reichte also nicht aus, sondern man benötigte überdies die Fähigkeit, Netzwerke zu knüpfen, um in das für den Aufstieg nötige Wissen eingeweiht zu werden. Während der Zeremonien wurden die Schweine zum Teil geopfert, zum Teil aber auch unter den anderen Anwesenden verteilt.
Ein durch Schweine verbundenes Netzwerk
Die Dauer, die es braucht, ein Schwein mit gebogenen Zähnen aufzuziehen, sorgte dafür, dass Rangerhöhungen nur in relativ großen zeitlichen Abständen stattfinden konnten. Die Anzahl der nötigen Schweine stieg mit der Höhe des Rangs, den zu bekleiden man trachtete. Entsprechend war es nötig, den eigenen Schweinebestand durch Kaufen oder Leihen zu vergrößern. Das Verleihen von Schweinen wiederum war gewinnbringend, da der Entleiher zu einem späteren Zeitpunkt Zinsen in Form von Schweinen mit größeren Zähnen zurückzuzahlen hatte. Tatsächlich waren die meisten Männer sowohl Schuldner als auch Gläubiger und also auch durch diese komplexen Beziehungen miteinander verbunden. Die Kreditverhältnisse wurden teilweise bei bestimmten Feierlichkeiten, teilweise aber auch erst vom Totenbett aus in Ordnung gebracht, so dass sich lebenslange Netzwerke und Abhängigkeiten bildeten.
Des Weiteren wurden Schweine bei Zeremonien im Rahmen von Geburt, Eheschließung, Tod und Konfliktbeilegung geopfert. Wurde ein Tabu gebrochen, musste der Missetäter dies ebenfalls mit einem Schwein sühnen, da ihn gemäß traditioneller Vorstellung andernfalls in der jenseitigen Welt böse Geister erwarteten. Andere Zeremonien, bei denen Schweine geopfert wurden, dienten der Erhaltung der Fruchtbarkeit. Auch im Rahmen der Aufzucht eines Schweins fanden Feierlichkeiten statt, in deren Verlauf Schweine geopfert wurden, so dass allein für ein Paar der runden Eberzähne ein großer ritueller und sakraler Aufwand geleistet werden musste. Einige dieser Zeremonien fanden an megalithischen Strukturen statt, deren Alter und ursprünglicher Zweck unbekannt sind, die aber bis heute als sakrale Stätten genutzt werden.
Das Schwein als Eintrittskarte ins Totenreich
Von besonderer Bedeutung waren die Schweine mit den runden Zähnen im Todesfall. Starb ein Mann, so mussten die Totenzeremonien vollzogen werden, in deren Verlauf ebenfalls Schweine geopfert wurden. Die dahinterstehende Vorstellung ist die, dass die Seele des Verstorbenen zusammen mit den Seelen der geopferten Tiere auf dem Weg in die jenseitige Welt auf einen krabbenähnlichen Wächtergeist trifft, der im Idealfall die Seelen der Schweine verschlingt und den Verstorbenen passieren lässt. Sind die Zeremonien jedoch nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden, verschlingt der Wächtergeist stattdessen die Seele des Menschen. Um dies zu verhindern, brachten viele noch zu Lebzeiten ihre eigenen Totenopfer dar, um die korrekte Ausführung selber überwachen zu können.
Unklar ist, wieso es gerade die runde Form ist, welche den Zähnen ihre Bedeutung verleiht. Es gibt Spekulationen, dass das Wachstum der Hauer an das Wachstum des Mondes erinnern soll. Betrachtet man ein Schwein von allen Seiten, so stünden die Zähne der linken Seite für den abnehmenden und die der rechten Seite für den zunehmenden Mond. Das dunkle Schwein selbst repräsentiere den Neumond. Dieser Interpretation folgend stünde dahinter möglicherweise ein Konzept von der Kontinuität des Lebens. Doch ob diese Interpretation korrekt ist, oder vielleicht eher der Phantasie der Forscher des beginnenden 20. Jhs. entspringt, ist heute nicht mehr zu klären.
1 Eberzahn = 10 Schweine = 20.000 Kokosnüsse
Die Zahnreifen, die ja den eigentlichen Wert des Schweins darstellten, wurden auch als Schmuck, etwa als Halskette oder Nasenring, getragen und zeigten so den Reichtum des Trägers an. Ihr Einsatz als Zahlungsmittel war aber vor allem der sakralen und sozialen Sphäre vorbehalten. Nur größere Anschaffungen wurden mit Eberzähnen bezahlt. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war ein runder Zahn zehn Schlachtschweine oder 20.000 Kokosnüsse wert. Für kleinere Transaktionen wurden daher auch andere Geldformen genutzt, etwa Hundezähne, Muscheln, Federn und insbesondere Flechtmatten, denen ebenfalls ein zeremonieller Wert zukam. Der Wert, der den einzelnen Währungsformen zugeschrieben wurde, variierte teilweise von Insel zu Insel.
Eberzahngeld heute
Noch heute wird das runde Eberzahngeld als Brautpreis oder Sühnegeld, sowie im Rahmen des Rangsystems verwendet. Gleichzeitig hat sich dieses Währungssystem in den letzten Jahrzehnten aber auch gewandelt und an das moderne Vanuatu angepasst. Ein Jahr nachdem Vanuatu unabhängig geworden war, wurde 1981 mit dem Vatu eine eigene staatliche und konvertierbare Währung mit Münzgeld und Banknoten eingeführt. Doch der Inselstaat war so auch vom Weltmarkt abhängig und für größere Projekte auf ausländische Geldgeber angewiesen.
Dieses Problems nahm sich Chief Viraleo Boborenvanua an. Er ist der nicht ganz unumstrittene Anführer einer Bewegung, die sich für die Modernisierung und den Erhalt der Traditionen einsetzt. Er gründete 1983 im kleinen Ort Lavatmanggemu auf der Insel Pentecost die Tangbunia Bank, benannt nach den Körben, in denen traditionellerweise die Wertsachen aufbewahrt wurden. Hier können Eberzähne, aber auch Matten eingelagert werden. Diese können auf andere Konten umgebucht, anderen gegen Zins als Kredit zur Verfügung gestellt, oder natürlich bei Bedarf auch wieder abgehoben werden.
Als Rechnungseinheit hat Chief Viraleo mit dem Livatu eine eigene Werteinheit erfunden, wobei ein Livatu einem einmal gerundeten Eberzahn bzw. 18.000 Vatu entspricht. In Euro umgerechnet sind das zwischen 130 und 140 Euro. Das traditionelle Geld wird an die offizielle Währung gekoppelt, ohne diese zum Funktionieren tatsächlich zu benötigen. Mittlerweile hat die Bank bereits 14 Filialen auf der ganzen Insel eröffnet und seit 2014 gibt sie eigene Geldscheine heraus. Auch wenn Chief Viraleo seine Bankgründung mit dem Verweis auf die Verfassung und das Gewohnheitsrecht rechtfertigt, wird seine Währung von der Landeszentralbank nicht anerkannt. Andere wiederum kritisieren ihn dafür, dass er Traditionen verfälsche, doch Chief Viraleo selbst vertritt die Position, dass man in einer sich ändernden Welt auch seine Traditionen ändern müsse, um sie zu erhalten.
Und bei aller Kritik: Das System funktioniert – jedenfalls auf lokaler Ebene. Da viele Menschen weitgehend in Subsistenzwirtschaft leben, gibt es nur wenige Waren oder Dienstleistungen, für welche die offizielle Währung eingesetzt werden muss: Zwar werden sowohl Salz, Seife, Kerosin für die Lampen als auch Medizin und Arztkosten mit dem Vatu bezahlt, da diese Dinge im Kontakt mit ‚Außenstehenden‘ erworben werden. Doch die meisten anderen Transaktionen sind ohne Probleme mit der traditionellen Währung abzuwickeln. Dies gilt auch für die Schulgebühr, die in Eberzähnen entrichtet werden kann und so vielen Familien den Zugang zu Bildung erleichtert.
Glück hängt nicht vom Reichtum ab
Vanuatu gilt zwar, wie bereits erwähnt, als eines der ärmsten Länder der Welt, doch Selwyn Garu, der Generalsekretär des National Council of Chiefs von Vanuatu, betont, dass diese Einschätzung im Rahmen des westlichen Kapitalsystems gilt, nicht aber der Wahrnehmung der überwiegend im traditionellen Geldsystem lebenden Menschen entspricht. Hungern muss auf Vanuatu beispielsweise trotz der vermeintlichen Armut niemand. Gleichzeitig empfinden viele Einwohner der Inseln ihr Leben als im Einklang mit der Natur und der Gesellschaft – sicherlich mit ein Grund dafür, dass die Menschen hier als besonders glücklich gelten.
Der Stolz auf die eigenen Traditionen zeigt sich sowohl in der Symbolik der Nationalflagge, als auch in der des lokalen Biers „Tusker“, auf dem die runden Eberzähne abgebildet sind.
Die Autorin Dr. Andrea Gropp ist stellvertretende Museumsleiterin des Kultur- und Stadthistorischen Museums Duisburg und Kuratorin der Sammlung Köhler-Osbahr.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf der Seite des Kultur- und Stadthistorischen Museums Duisburg.
Sie präsentierte bereits Schneckengeld aus der Südsee.
Mehr zur umfangreichen Sammlung Köhler-Osbahr erfahren Sie auf der Seite der gleichnamigen Stiftung sowie auf der Seite des KSM Duisburg.
Prämonetäre und traditionelle Zahlungsmittel aus der Sammlung Kuhn konnte das MoneyMuseum in Zürich 2010 erwerben.