„Physisches Bargeld ist unersetzlich“ – Teil 2

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Im Oktober 2019 veröffentlichte Cash Matters, die Pro-Bargeld-Initiative der International Currency Association ICA, das Whitepaper „Virtually Irreplaceable – Cash as Public Infrastructure“ von Dr. Ursula Dalinghaus und führte Argumente dafür an, wie und warum Bargeld als öffentliches Gut verstanden werden muss.

Dalinghaus, Gastprofessorin für Anthropologie am Ripon College (Wisconsin, USA), ist assoziierte Wissenschaftlerin am Institute for Money, Technology & Financial Inclusion (IMTFI) der University of California in Irvine. Das IMTFI hat sich einen Namen als eines der führenden Institute gemacht, wenn es um die Rolle von Geld im täglichen Leben und Gebrauch geht und um den besten Weg zur finanziellen Inklusion.

Dr. Ursula Dalingshaus ist die Autorin der Studie, laut der es sich bei Bargeld um ein öffentliches Gut handelt.

CN: Dr. Dalinghaus, Sie haben gerade die Studie Virtually Irreplaceable Cash as Public Infrastructurefür Cash Matters veröffentlicht. Sie sind Gastprofessorin für Anthropologie am Ripon College und haben gleichzeitig Ihre Arbeit als assoziierte Wissenschaftlerin am IMTFI fortgesetzt. Was macht die Arbeit mit dem IMTFI so besonders?

Dalinghaus: Ganz besonders spannend am IMTFI ist die Zugehörigkeit zu einer Forschungsgemeinschaft, die fundierte Forschung in den lokalen Gemeinschaften vor Ort betreibt. In den letzten zehn Jahren hat das IMTFI ein enorm reichhaltiges und unglaublich vielfältiges Archiv aufgebaut, das Feldforschung und Studien beinhaltet, wie Gemeinschaften im globalen Süden neue digitale und mobile Bezahlmethoden mit traditionellen Finanzpraktiken kombinieren. Diese wissenschaftlichen Arbeiten sind grundlegend für die Entwicklung eines systematischeren Verständnisses, wie Menschen tatsächlich bezahlen. Sie sind in einer Vielzahl von Formaten öffentlich zugänglich, von Blog-Posts bis hin zu Arbeitspapieren; es gibt auch einen neuen Sammelband „Money at the Margins: Global Perspectives on Technology, Financial Inclusion, and Design“ (Berghahn/ Maurer, Musaraj und Small, Hrsg.).

Ebenfalls einzigartig am IMTFI ist, dass es empirische und theoretische Forschungsergebnisse aus dem globalen Süden nutzt, um wissenschaftliche Fragen zu Geld und Bezahlen in den Industrieländern im globalen Norden aufzuwerfen – und nicht umgekehrt, wie es häufiger der Fall ist. Erkenntnisse aus dem globalen Süden zur Stückelung von Bargeld weltweit als Instrument der Budgetplanung oder als Mittel zur Differenzierung der Bedeutung und Absicht eines Geldgeschenks schärfen die wissenschaftliche Perspektive auf den Norden. Das gilt auch für die Bedeutung von verschiedenen Nennwerten als kommunikatives Mittel, um universellen Zugang, Gerechtigkeit und Inklusion im Hinblick auf die jeweilige Landeswährung zu fördern (wie etwa jüngste Vorschläge zur Neugestaltung einzelner Denominationen in Kanada, Australien, Großbritannien und den USA zeigen). „Monetary Ecology“ und „Monetary Repertoires“ sind ausgesprochen hilfreiche Instrumente in Forschung und Lehre, wenn es um die wissenschaftliche Aus- und Bewertung von Nutzererfahrungen mit Zahlungsmethoden geht. Indem wir aufzeigen, wie wichtig das Nebeneinander von Zahlungsinstrumenten aus Nutzersicht ist, erkennen wir auch, welch große Rolle Bargeld sowohl im täglichen Alltag als auch im sozialen Gefüge und bei Strategien zur Risikodiversifizierung spielt.

Bargeld als demokratisierende Kraft

CN: Was ist der wichtigste Punkt Ihres Whitepapers über Bargeld als öffentliches Gut?

Dalinghaus: Der wichtigste Punkt besteht darin, dass physisches Bargeld auch in Zukunft eine wichtige und ergänzende Rolle neben dem digitalen Geld spielen wird, nicht nur als Zahlungsmittel, sondern auch als demokratisierende Kraft – eine wichtige Form der Machtteilung zwischen Ausgeber und Nutzer, die sich vom digitalen Geld unterscheidet. Bargeld wird zunehmend als eine vorübergehende Bezahlform diskutiert, die letztlich durch digitales Geld ersetzt werden wird – wenn nicht bald, dann irgendwann in ferner Zukunft. Es zeigt sich aber, im Gegensatz zu diesem hauptsächlich medial geführten Diskurs, dass physisches Bargeld unersetzlich ist. Das ist die Haupterkenntnis dieser Studie. Erstens schätzen Menschen die Möglichkeit, zwischen mehreren Zahlungsformen wählen zu können. Zweitens, noch wichtiger, spielt die Bargeldinfrastruktur eine wichtige öffentliche Rolle, da Bargeld unabhängig vom Ausgeber und offline genutzt werden kann. Historische und interkulturelle Studien zur Nutzung physischer Währung belegen, dass es die „Anfassbarkeit“ von Bargeld als universell zugänglichem Bezahlmedium ist, die es zum Bestandteil unterschiedlicher finanzieller, politischer und sozialer Praktiken macht. Diese Flexibilität macht Bargeld als öffentliches Medium unverzichtbar. Wie diese Studie jedoch auch zeigt, ist Bargeld als öffentliches Gut abhängig von gesetzlichen Vorgaben, von verantwortungsbewusster Regierungsführung, garantiertem Zugang und von Technologie zur Aufrechterhaltung der Bargeldinfrastruktur als Bestandteil der gesamten Bezahllandschaft.

Die kambrische Explosion beim Bezahlen

CN: Welche Entwicklungen in der Bezahllandschaft sehen Sie, wenn Sie die Expertise des IMTFI im Feld vor Ort und im größeren Forschungskontext aus globaler Sicht betrachten?

Maurer: Beim Bezahlen findet seit fast einem Jahrzehnt so etwas wie eine kambrische Explosion statt. Das geologische Zeitalter des Kambriums war gekennzeichnet durch eine starke Vermehrung unterschiedlicher Lebensformen auf der Erde, die verschiedene Nischen besetzten und eine unglaubliche Vielfalt an physischen Erscheinungen aufwiesen. Beim Bezahlen erleben wir gerade etwas Ähnliches. Denken Sie nur an die vielen neuen Zahlungsmöglichkeiten, die Startups und etablierte Finanzunternehmen gerade in den letzten Jahren geschaffen haben. Die Bandbreite reicht von Tap-and-Pay-Karten über biometrisch abgesicherte Zahlungen bis hin zu Venmo oder WeChat Pay. Sie alle nutzen unterschiedliche Technologien und Schnittstellen. Häufig werden verschiedene, bereits vorhandene Zahlungswege genutzt, oder es wird versucht, völlig neue aufzubauen, wie es beispielsweise bei einigen Kryptowährung der Fall ist. Die große Frage für uns ist: Was davon hat Bestand? Wer nutzt welche Technologien und zu welchem Zweck? Wie passen diese neuen Methoden zu den etablierten Verhaltensweisen rund um Geld und Bezahlen?

Bargeld als öffentliches Gut

CN: Was ist Ihre Empfehlung an Banken, Politiker und Regierungen im Hinblick auf Zahlungen im Allgemeinen und Bargeld im Besonderen?

Maurer: Vor allem müssen sie verstehen, dass es keine universelle Zahlungslösung gibt. Menschen werden immer unterschiedliche Technologien für verschiedene Zwecke nutzen – Venmo mit Freunden und für die Miete, Debitkarten für Lebensmittel, Kreditkarten für teurere Einkäufe wie Geräte, PayPal online usw. Man muss in Betracht ziehen, wie Menschen unterschiedlich Zahlungsmittel nutzen, um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen. Zweitens müssen sie berücksichtigen, dass man für das Bezahlen bezahlen muss – es sei denn, man nutzt Bargeld. Diese Tatsache stellt für ärmere Menschen und jene, die kaum oder gar keinen Zugang zum offiziellen Bankensystem haben, häufig eine hohe Barriere dar. In vielen Fällen ist Bargeld weiterhin die beste Option. Für die Nutzer ist es die günstigste Lösung: es kostet nichts, kann überallhin genutzt werden und schützt die Privatsphäre. Nicht jeder Mensch auf der Welt arbeitet als gut gestellte Fachkraft in einem sauberen Büro und hat einen sicheren Arbeitsplatz. Wir müssen Zahlungsmöglichkeiten für alle Menschen anbieten – und die befinden sich in den unterschiedlichsten Lebenslagen. Viele prekäre Lebensverhältnisse werden leider in den kommenden Jahren immer häufiger in Erscheinung treten; man denke nur an Flüchtlinge, die vor politischer Gewalt oder vor Umweltzerstörung durch den Klimawandel fliehen. Politiker und Regierungen sollten sich immer fragen: Was ist, wenn etwas schief geht? Ob Datenschutzverstoß, massive Störungen in Politik und Gesellschaft oder Ausfälle von Infrastruktur oder Stromnetz: wie werden die Menschen dann bezahlen? Wie kann die Vielfalt der Zahlungsmöglichkeiten – ähnlich wie die biologische Vielfalt in Ökosystemen – die menschliche Resilienz sicherstellen?

Eine differenzierte Diskussion über Zahlungsmöglichkeiten

Dalinghaus: Zusätzlich zu den in der Studie dargelegten politischen Überlegungen plädiere ich für eine differenziertere Diskussion über Zahlungsmöglichkeiten. Wenn es um die Messung und Erhebung von Daten zur Bargeldnutzung und den Bargeldumlauf geht, sollten Forscher und politische Entscheidungsträger sich eingehender mit den Ergebnissen befassen, um die Vielfalt der Zahlungsmöglichkeiten besser zu verstehen und zu durchdringen. Anzahl und Prozentsätze von Transaktionen mit verschiedenen Bezahlformen sind wichtig, ermöglichen aber keine endgültige Aussage über eine Hierarchie der Verbraucherpräferenzen. Vor allem aber sind sie ohne jede Aussage, was die Zukunft des Bezahlens angeht und liefern mit Sicherheit keine Argumente für eine bargeldlose Zukunft. Wie Bill Maurer bereits erwähnt hat, nutzen Menschen spezifische Technologien für unterschiedliche Anliegen. Diese Vielfalt kann nur durch eine Langzeitforschung – die neben quantitativen auch qualitative Erhebungsmethoden verwendet – über ein breites Spektrum von Transaktionen und Praktiken reflektiert werden. Ein Verständnis für die Vielfalt der Zahlungsmethoden auf der alltäglichen Mikroebene ist wichtig für die Gestaltung der Geld- und Finanzpolitik. So gibt es beispielsweise immer mehr Belege dafür, dass Menschen auf Bargeld zurückgreifen, um ihre wachsende Verschuldung zu begrenzen, die wiederum teilweise durch Gebühren und Kosten bei der Nutzung digitaler Zahlungen entstanden ist. Verschuldung trifft nicht nur Menschen in prekären Verhältnissen, sondern zum Beispiel auch Studierende, die zunehmend mit der Tilgung von Krediten belastet sind, wie ein aktueller Artikel zeigt.

Es gilt, eine Vielfalt an Zahlungsmethoden und vor allem eine adäquate Bargeldinfrastruktur aufrechtzuerhalten, um der zunehmenden politischen Besorgnis mit Blick auf unhaltbare Verschuldung und wachsende Ungleichheit zu begegnen. Beides verhindert die Teilhabe an sozialen und wirtschaftlichen Strukturen. Der Besitz bzw. die Nutzung von Bargeld stellt eine konkrete Brücke und einen Zugangspunkt zu Währungsbehörden und staatlichen Institutionen dar, was die öffentliche Rechenschaftspflicht verstärkt. Im Rahmen meiner Forschung konnte ich beobachten, wie Bargeld und materielle monetäre Objekte die Kommunikation zwischen Notenbanken und der Öffentlichkeit über komplexe politische Fragestellungen und die Finanzaufklärung erleichtern. Der Umgang mit Bargeld ist eine Form des Wissensaustauschs, der für alle zugänglich ist, so wie ein Buch in Papierform geteilt, ausgeliehen und von Hand zu Hand an andere weitergegeben werden kann, während digitale Bücher oft so codiert sind, dass sie den Austausch unter Benutzern und Geräten verhindern. Während also generell sowohl physische als auch digitale Formen den Wissensaustausch fördern, tun sie dies auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Auswirkungen auf Eigentum und Zugang. Bargeld ist besonders wichtig für die Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung, da es unabhängig von der Staatsangehörigkeit und über Ländergrenzen hinweg genutzt, geteilt und ausgetauscht werden kann. Die institutionellen Akteure sollten daher bedenken, dass Bargeld bereits ein effektiver Bestandteil ihres öffentlichen Auftrags ist. Gleichzeitig sollten sie daran arbeiten, eine größere Integration, Transparenz und Resilienz von Finanzsystemen sicherzustellen, die für alle Mitglieder einer Gesellschaft gleichermaßen funktionieren.

 

Wenn Sie Teil 1 dieses Interviews lesen möchten, klicken Sie hier.

Wenn Sie sich für dieses Thema interessieren, legen wir Ihnen einen Besuch der Internetseiten von Cash Matters und dem IMFTI ans Herz.

Außerdem kann man das Whitepaper hier als PDF herunterladen (in Englisch).

Einen kurzweiligen Überblick über die Arbeit des IMFTI können Sie sich mit einem kurzen YouTube-Video verschaffen.

Wir berichteten bereits über die Veröffentlichung der Studie. Unter dem Artikel finden Sie weitere weiterführende Links.