Es ist die Rede vom umfangreichsten Angriff auf Kunstwerke in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Wie erst am Dienstag der Öffentlichkeit nach Recherchen von ZEIT und Deutschlandfunk bekannt wurde, wurden am 3. Oktober in mehreren Häusern auf der Berliner Museumsinsel Ausstellungsstücke mit einer bisher unklaren, öligen Flüssigkeit beschädigt, die nicht ätzend zu seien scheint, aber Flecken hinterlassen hat. Betroffen sind ca. 70 Exponate im Pergamonmuseum, Neuen Museum, in der Alten Nationalgalerie und dem Pergamon-Panorama. Zu den beschädigten Objekten gehören mehrere altägyptische Sarkophage und antike Statuen sowie Gemälde des 19. Jahrhunderts. Nach bisherigem Kenntnisstand war keines der Vorzeige-Exponate der Museen, wie die Büste der Nofretete oder der Pergamonaltar, von der Tat betroffen, die während der Öffnungszeit der Museen geschehen sein soll.
Ausgerechnet wieder die Museumsinsel
Über den oder die Täter herrscht bislang völlige Unklarheit. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz muss sich nun die Frage gefallen lassen, wie so ein Angriff passieren konnte, noch dazu wohl völlig unbemerkt. Immerhin reden wir hier von keinem kleinen Museum in einer ländlichen Region, sondern von einem der bedeutendsten Museumskomplexe Europas und einer kulturellen Vorzeigeeinrichtung der Bundesrepublik. Über das Sicherheitskonzept dort wurde schon seit März 2017 diskutiert, als im Bode-Museum auf eben jener Museumsinsel der spektakuläre Diebstahl der Riesengoldmünze „Big-Maple-Leaf“ geschah. Das Sicherheitskonzept scheint seitdem nicht eben besser geworden zu sein. Wie es 3 Jahre später sein kann, dass ein Täter über Stunden oder mehrere Täter gleichzeitig während der Öffnungszeiten so eine Aktion abziehen und dann völlig unbehelligt die Museen verlassen haben und auch fast drei Wochen später nicht gefasst sind, darüber kann man lachen oder weinen, ein Armutszeugnis ist es auf jeden Fall. Wieder werden wir über Sicherheit an Museen und das Budget dafür diskutieren müssen. Außerdem bröckelt die Argumentation der Stiftung im Bezug auf die Rückgabeforderungen von Objekten aus einem kolonialen Kontext, zu denen es heißt, in ihren Herkunftsländern könnten die Objekte nicht angemessen geschützt werden…
Gleichzeitig fragt man sich, wie es sein kann, dass diese Tat der Öffentlichkeit so lange verheimlicht wurde. Die Tat scheint nicht sofort bemerkt worden zu sein, spätestens am 6. Oktober waren aber der Stiftungspräsident und die Kulturstaatsministerin informiert. Dazu hieß es bisher nur, man habe aus „ermittlungstaktischen Gründen und in Abstimmung mit der Polizei“ die Öffentlichkeit nicht ins Bild gesetzt.
Ein Angriff auf den „Thron des Satans“?
Und natürlich stellt sich die Frage, wer die Tat begangen hat und warum. Nun sind die Motive eines Diebstahls ja relativ klar. Eine mutwilligen Beschädigung von antiken Kulturgütern allerdings lässt eigentlich nur Geistesgestörtheit oder Extremismus als Motiv zu.
Obwohl es bisher keinerlei Beweise oder auch nur handfeste Hinweise gibt, ist in den Zeitungen schnell ein plausibler Verdächtigen-Kreis gefunden. Es mag unsere ausländische Lesergruppe überraschen, aber Deutschland hat spätestens seit Corona ein Problem mit rechtsextremen Verschwörungstheoretikern.
Kultfigur dieser bunten Truppe aus Esoterikern, Verschwörungstheroretikern und waschechten Nazis ist Attila Hildmann, ein veganer Kochbuchautor, der in den letzten Monaten durch Volksverhetzungen, Morddrohungen, Antisemitismus und schlichte Beklopptheit aufgefallen ist, die er über den Instant-Messenger Telegram unter seinen schockierend zahlreichen Anhängern verbreitet. An jenem 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit und Nationalfeiertag, waren diese Hildmann-Anhänger in Berlin auf den Straßen, erklommen gar die Stufen des als Sicherheitszone abgesperrten Regierungssitzes – von einem „Sturm auf den Reichstag“ las man damals.
Im Sommer rief Hildmann zum Sturm auf das Pergamonmuseum auf. Dort sei das Zentrum der „globalen Satanisten-Szene und Corona Verbrecher“. „Hier machen sie nachts ihre Menschenopfer und schänden Kinder!“, wird Hildmann in den Medien zitiert. Wer „sie“ sind? Natürlich Angela Merkel, oder, wie Hildmann sie liebevoll nennt: die „Oberste Chefin des zionistischen Besatzerkonstruktes der BRD: Eine vom Satanisten Rothschild in Tavistock trainierte Stasi-Satanistin.“ Das „Argument“ baut sich auf drei Säulen auf: 1. Der Pergamonaltar ist der „Thron des Satans“, wie er tatsächlich in der Bibel bezeichnet wird. 2. Die Wohnung von Frau Merkel befindet sich direkt gegenüber dem Pergamonmuseum. Von dort gibt es sicher einen Geheimtunnel … und, 3. In der Nähe gibt es ein koreanisches Restaurant namens „Dae Mon“, wenn das kein klarer Hinweis auf eine „dämonische“ Umgebung ist.
Dieser an Lächerlichkeit kaum zu überbietende Müll könnte also das Motiv sein, aber, wie gesagt, Beweise gibt es bisher nicht. Es würde ins Bild passen, dass eines der beschädigten Gemälde den Titel „Höllische Verdammnis“ trägt.
Die Polizei bittet um Mithilfe
Die Polizei sucht nun dringend nach Zeugen, die am 3. Oktober 2020 zwischen 10 bis 18 Uhr auf der Berliner Museumsinsel waren und etwas Verdächtiges beobachtet haben. Hinweise bitte an das LKA 444 am Tempelhofer Damm 12 in 12101 Berlin-Tempelhof unter der Rufnummer (030) 4664-944409 oder an jede andere Polizeidienststelle.
Wiederholt berichteten wir über den Raub der Big Maple Leaf und die darauf folgenden Ermittlungen.
Spektakulär war auch der Einbruch ins Dresdner Grüne Gewölbe.