Eigentlich begann alles schon im Jahr 2011. Damals entdeckten die Kuratoren einiger Naturkunde- und Jagdmuseen in verschiedenen Städten Europas überrascht, dass ihre historischen Nashornschädel des Horns beraubt worden waren. Viele Tageszeitungen fanden das eher lustig. Jagdtrophäen des 19. Jahrhunderts galten bereits als ein eher peinliches Kulturgut, das Leute mit gutem Geschmack sowieso für nicht mehr ausstellungswürdig hielten. Dass Männer mit Potenzproblemen den Wert eines alten Nashornhorns auf bis zu 60.000 Euro hochgetrieben hatten, wurde mit leichtem Befremden wahrgenommen.
Die bestohlenen Museen – meist kleinere Museen mit eher marginalen Sicherheitseinrichtungen – warnten andere Museen, und die reagierten, indem sie alle Exponate mit Nashorn-Hörnern erst mal ins Depot räumten. Dort liegen sie immer noch. Auch Zoos haben aufgerüstet, seit 2017 im privat betriebenen Thoiry Zoo im französischen Thoiry-en-Yvelines ein Nashorn erschossen und seines Horns beraubt wurde.
Sammelobjekte besitzen nicht nur einen Sammel-, sondern einen Materialwert
Was haben nun aber diese kuriosen Berichte mit dem Diebstahl im Berliner Bode-Museum und im Dresdner Zwinger zu tun? Ganz einfach: Die Nashorndiebstähle von 2011 waren die erste Manifestation einer Tatsache, die wir geradezu vergessen hatten: Sammelobjekte haben nicht nur einen Sammlerwert, sondern auch einen Materialwert. Skrupellose Verbrecher können das Risiko vermeiden, ihre illegale Ware bei einem Hehler zu verhökern, indem sie das Diebesgut auf sein Material reduzieren und so mit geringem Risiko unerkannt in den Warenkreislauf einspeisen. Einem Nashornhorn sieht der Laie eben nicht an, ob es eben in Afrika frisch gewildert oder aus einem europäischen Museum gestohlen wurde, genauso wenig wie sich für Otto Normalverbraucher eingeschmolzenes Zahngold vom Gold eines eingeschmolzenen „Big Maple Leaf“ unterscheidet, resp. ein neu geschliffener Diamant aus einer afrikanischen Mine oder aus einem uralten Orden mit kommen kann.
Juweliere als Vertriebsweg für den Big Maple Leaf
Nun bestand der „Big Maple Leaf“ aber nicht aus normalem Gold, sondern aus Gold mit einem besonders hohen Reinheitsfaktor. Deshalb hofft die Polizei immer noch, Spuren der Münze wieder aufzufinden. Sie führte deshalb in den Berliner Stadtteilen Neukölln und Reinickendorf am 16. Dezember 2020 um 7.00 Uhr morgens mit 120 Kriminalbeamten und einer Hundertschaft Bereitschaftspolizisten Haussuchungen in Privatwohnungen und Geschäften von Berliner Juwelieren durch. Man suchte nach Spuren des Maple-Leaf-Goldes.
Verhaftet wurde zwar keiner von den acht Tatverdächtigen im Alter zwischen 14(!) und 51 Jahren, aber immerhin gelang es, Beweismittel zu beschlagnahmen: mutmaßlich gefälschte Anlagemünzen, Werkzeug zur Münzfälschung und Bargeld.
Das untermauert die in zahlreichen Medien vertretene These, der „Big Maple Leaf“ sei schon längst eingeschmolzen. Wahrscheinlich fertigte man daraus eine Fülle von kleinen (falschen) Anlagegoldmünzen. Damit richten sich auch die Verbrecher nach der Marktlage. Anlagegold gehört in Deutschland derzeit wohl zu den großen Mangelartikeln. Viele verängstigte Anleger suchen im Gold einen sicheren Hafen. Berliner, die ihre Bullionmünzen in einem Juweliergeschäft in Neukölln oder Reinickendorf gekauft haben, könnten also ein echtes Stück vom „Big Maple Leaf“ daheim haben – und das hätte seinerseits schon wieder Sammlerwert, allerdings erst in ein paar Jahrzehnten, wenn es nicht mehr als Beweismittel eingezogen werden kann.
Zum Schicksal der historischen Juwelen aus dem Dresdner Zwinger
Von diesem Wissen ist der Weg nicht weit zur starken Vermutung, dass wir wohl auch nicht mehr damit rechnen können, die Orden und Bijous Augusts des Starken wiederzusehen. Allein die große Brustschleife enthielt 51 große und 611 kleine Diamanten, der prachtvolle Degen der Diamantrosengarnitur neun größere und 770 kleinere Diamanten, der Bruststern des Weißen Adler Ordens 200 Diamanten. Einzelne Stücke weisen bis zu 49 Karat auf. Denkt man daran, dass bereits ein Diamant im Gewicht von einem Karat zwischen 4.000 und 6.000 Euro gehandelt wird, wird das finanzielle Potential des Raubs erst so richtig deutlich. Die gestohlenen Ausstellungsstücke sind eben nicht unbezahlbar, sondern haben einen exakt zu beziffernden Materialwert.
Bei der guten Vernetzung des Remmo-Clans dürfte es ein Kinderspiel sein, die herausgebrochenen Diamanten umzuschleifen. Schließlich wird die Kunst des Diamantenschleifens nicht nur in Antwerpen betrieben. Und Juweliergeschäfte vertreiben eben nicht nur Anlagemünzen, sondern auch alle Formen von Diamantschmuck.
Die Ermittler selbst rechnen jedenfalls nicht mehr damit, die historischen Zeugnisse noch zu finden. Der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Peter Guld, sagt: „Ich befürchte, dass hier nur der Materialwert von Bedeutung war und die Objekte, wenn überhaupt, in Einzelteilen wieder auftauchen.“
Was heißt das für den Kulturgüterschutz?
Hatten viele Nashornhörner und „Big Maple Leaf“ noch für quasi untergeordnetes Kulturgut gehalten und eher geschmunzelt beim Gedanken, dass diese Objekte als Material weiterverkauft wurden, schmerzt der Verlust der historisch bedeutenden Juwelen aus dem Dresdner Zwinger uns alle.
Was aber wohl den wenigsten bewusst sein dürfte, ist die Tatsache, dass wir hinsichtlich der Zerstörung historischen Erbes wegen seines Materialwerts einen Kreis beschrieben haben. Wir sind zurück im 19. Jahrhundert, in dem man Mumienteile als exotische Medizin vertrieb, die aus der Bibliothèque nationale gestohlenen Goldmünzen einschmolz und die Reliefs des Pergamonaltars, die Humann aus Zeitgründen nicht mehr nach Berlin überführen konnte, im Kalkofen verbrannte.
Kulturgut ist eben nur dann Kulturgut und wertvoll, wenn jemand ihm einen kulturellen Wert zuschreibt. Und mittlerweile gibt es neben Sammlern und einer kulturinteressierten Öffentlichkeit auch in Europa eine breite Schicht von Menschen, denen kulturelles Erbe nichts (mehr) bedeutet. Nicht wirklich überraschend ist es, dass diese Personen unter denen, die Museen und Wohnungen ausrauben, überrepräsentiert sind.
Ein Ende des Early Warning Systems?
Das könnte auch Auswirkungen auf das Early Warning System der IAPN und der daran angeschlossenen nationalen Händlervereinigungen haben. War noch vor einigen Jahrzehnten die Chance relativ hoch, nach einem Münzdiebstahl die gestohlenen Objekte wieder zurückzubekommen, weil ein aufmerksamer Händler bemerkte, dass es sich bei der ihm zum Kauf angebotenen Münze um Diebesgut handelte, ist diese Wahrscheinlichkeit in Zeiten von Internet und E-Mail nicht gestiegen, sondern gefallen. Zu einfach ist es heute, mittels Bildsuche, das Internet nach bestimmten Objekten durchzukämmen. Es existieren – außer in Museen – kaum mehr Objekte, die nicht irgendwann fotografiert wurden. Schließlich wird der Großteil der Münzverkäufe heute über Webauktionen und Webshops abgewickelt. Deshalb ist es praktisch unmöglich geworden, eine entwendete Sammlung wieder zu verkaufen.
Das heißt aber nicht, dass Münzen wie es heute schon mit Bildern geschieht, einfach nicht mehr gestohlen werden. Im Gegenteil: Edelmetall lässt sich einschmelzen. Gestohlene Münzen werden also nicht mehr als Objekte verkauft, sondern als Mischgold eingeschmolzen. Kleine Schmelzöfchen können für unter 200 Euro im Internet bezogen werden.
Und das bedeutet, dass jeder, dem seine Sammlung lieb und wert ist, diese nicht in der heimischen Schublade aufbewahren möge, sondern in einem stark gesicherten Tresor.
Für Museen, die unser kulturelles Erbe ja schützen sollen, bedeutet das, dass jeder Kurator vor dem Ausstellen sorgfältig überlegen sollte, ob der Materialwert in der Vitrine und die Sicherheitsmaßnahmen des Museums in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Die Dokumentation der eigenen Sammlung wird umso wichtiger, nicht nur um im Falle eines Diebstahls nachweisen zu können, welche Stücke gestohlen wurden, sondern auch um die Aussage jedes Objekts im Falle des Einschmelzens für die Nachwelt gesichert zu haben.
Wenn wir daran denken, dass all unsere Staaten dank der hohen Ausgaben, die in diesem Jahr fällig waren, in den nächsten Jahren wohl mal wieder an der Kultur und der Polizei sparen werden, wird deutlich, dass gerade die Münzen in unseren Museen ein bevorzugtes Ziel für Räuber sein werden, die hohen Gewinn mit geringem Risiko kombinieren möchten.
Über den Diebstahl von Nashornhörnern berichtete 2011 die Neue Presse.
In Offenburg widmete man diesem Thema eine eigene Ausstellung: HORN_LOS.
Über den Raub des „Big Maple Leaf“ aus dem Bode-Museum haben wir wiederholt berichtet, zuletzt im Zusammenhang mit den Urteilen.
Über die Großrazzia im November berichteten wir ebenfalls.
Über die späteren Durchsuchungen bei Berliner Juwelieren berichtete der Berliner Tagesspiegel.